Nun ist es amtlich, das böse R-Wort: Rezession. Nach einem (wirtschaftlich) noch trotzig-glimpflichen Jahr 2022 befinden sich die deutschen Unternehmen nun offiziell im Schrumpfmodus.
Doch halt, das Minus in zwei Quartalen – erst um 0,5 Prozent Ende 2022 und nun nochmal um 0,3 Prozent – sei ja nur eine technische Rezession, beschwichtigte umgehend Wirtschaftsminister Robert Habeck. Bald werde es wieder aufwärtsgehen, man habe ja nun schon Ende Mai, und sicher werde man demnächst den Aufschwung nicht nur spüren, sondern auch in den Zahlen sehen, versprach er. Für das gesamte Jahr rechne er weiter mit einem kleinen Plus – was ja nicht so schlecht sei, nach all den Katastrophen und Schocks in den letzten zwölf Monaten.
Das ist, wie so oft im Kampf um die Deutungshoheit, nicht ganz falsch und nicht ganz richtig. Einerseits sinken die Energiepreise, und auch die allgemeine Inflation geht etwas zurück. Es gibt also durchaus Gründe zur Hoffnung. Andererseits ist es eben auch nur dies: eine Hoffnung. Habeck, und mit ihm die gesamte Ampel-Koalition, beschwören einen Aufschwung, der zurzeit vor allem sie selbst trägt. Was er spürt, ist die Kraft der Autosuggestion.
Geschäftsklima trübt sich ein
Die Realität in vielen Unternehmen hält sich jedoch nicht an Pressekonferenzen. Sondern nur an Vertragsabschlüsse und Auftragseingänge. Und die gehen quer durch alle Branchen zurück. Das Ifo-Geschäftsklima, der wichtigste Konjunkturindikator des Landes, sank im Mai erstmals seit sechs Monaten wieder, und zwar deutlich. Die laufenden Geschäfte liegen deutlich unter den Erwartungen, und auch die Aussichten für die kommenden Monate trüben sich kräftig ein.

Es ist, als hätten der milde Winter, das doch nicht so knappe Gas und die Rekordabschlüsse vieler Unternehmen für 2022 in den vergangenen Wochen unsere Sinne getrübt. Wir dachten, wir seien schon über den Berg. Anders lässt sich jedenfalls kaum erklären, warum die Stimmung in den Unternehmen im letzten Halbjahr laut Ifo schon wieder so optimistisch ausfiel und viele Ökonomen und Politiker bereits auf ein kleines Wirtschaftswunder in diesem Jahr spekulierten (erinnern Sie sich noch an „die erstaunlich robuste deutsche Wirtschaft“?), während die Lage in Wahrheit deutlich ins Minus drehte.
Nun also hat die Stimmung ein Rendezvous mit der Wirklichkeit. Der Absatz der deutschen Autohersteller geht merklich zurück, im Inland ebenso wie im Ausland. Der private Konsum in Deutschland bricht sogar regelrecht ein, die Umsätze im Einzelhandel sanken im März dieses Jahres (neuere Daten gibt es noch nicht) bereinigt um die gestiegenen Preise um mehr als zehn Prozent. Das ist der stärkste Rückgang im Vergleich zum Vorjahr seit Beginn der Statistik im Jahr 1994.
Angesichts einer Inflationsrate von knapp neun Prozent im vergangenen Jahr und immer noch sieben bis acht Prozent aktuell brauchte es ja auch nur wenig Fantasie, um solche Entwicklungen zu erahnen. Zumal manche Güter eben auch deutlich teurer geworden sind. Mit Gehaltszuwächsen deutlich unter der Inflationsrate haben viele Haushalte heute fünf bis zehn Prozent weniger Geld in der Kasse als vor einem Jahr. Und eine echte Wende ist nicht erkennbar. Selbst der jüngste Abschluss im öffentlichen Dienst, der mit Zuwächsen von neun bis 15 Prozent je nach Tarifklasse üppig klang, wird viele der berühmten Krankenschwestern, Erzieher und Busfahrer real mit einem Minus zurücklassen. Denn ein Großteil der Erhöhung greift erst im März 2024. Bis dahin werden die Preise aber um deutlich mehr als 15 Prozent über dem Niveau von 2021 liegen.
So richtig es ist, dass in dieser Lage die Löhne die Inflation nicht noch zusätzlich anheizen, so zeigen solche Rechnungen doch, wie sich die Wirtschaft wohl in den kommenden Monaten entwickeln wird: Bestenfalls wird sie stagnieren, zu kräftigem Wachstum aber kaum zurückkehren. Die trüben 1 bis 1,5 Prozent Wachstum, die die meisten Experten für 2024 in Deutschland erwarten, könnten sich noch als optimistisch erweisen. Jedenfalls ist das kein Aufschwung, wie ihn das Land nach Pandemie und Energiepreisschock so dringend gebrauchen könnte.
Wie will die Ampel das Wirtschaftswunder vollbringen?
So steht die Ampel-Koalition nach einer Woche, die sie wieder mit ihrem Streit um Heizungsöfen, Wärmepumpen und Staatssekretäre verbrachte, vor einer durchaus drängenden Frage: Wie um alles in der Welt will sie das von Kanzler Olaf Scholz versprochene Wirtschaftswunder lostreten? Nicht, dass ihm das gleiche Schicksal droht wie jener neuen „Deutschland-Geschwindigkeit“, mit der Scholz noch zu Jahresbeginn in der Welt hausieren ging. Die steckt inzwischen ja tief im Koalitionsknatsch fest.
Im Grunde gäbe es in dieser Lage zwei Möglichkeiten: Eine eher bürgerlich-konservative Regierung würde wahrscheinlich die Angebotsbedingungen für Unternehmen verbessern – Steuerentlastungen, Bürokratieabbau, Einschnitte bei den Sozialleistungen und bei den Staatsausgaben. Ein linkes Bündnis hingegen würde vermutlich mit mehr oder weniger kreativer Buchführung trotz Schuldenbremse die Ausgaben weiter hochfahren, um Konsum und Investitionen zu stützen.
SPD, Grüne und FDP zusammen könnten sich auf beides verständigen – so zumindest klang ihr eigener Anspruch zum Regierungsantritt. Daran könnte man auch denken, wenn Habeck heute von einer „transformativen Angebotspolitik“ spricht. Doch aktuell sieht es weder nach Fortschritt noch nach Transformation aus. Sondern eher nach Rückschritt. Es beschleicht einen in diesen Wochen immer wieder das unbehagliche Gefühl, dass das Land gerade wertvolle Zeit verliert.
Man kann es jedoch auch so herum sehen: Noch haben SPD, FDP und Grüne gut zwei Jahre Zeit zum Regieren. Vielleicht versucht die Ampel zur Halbzeit ja nochmal einen Neustart – es wäre ihr und uns allen zu wünschen.