Öffentliche Beschaffung ist normalerweise ein langwieriges Geschäft. Dass es schneller gehen kann, zeigen Deutschlands Behörden in der Corona-Krise: Sie nutzen die Möglichkeit zu beschleunigten Vergabeverfahren, die in sogenannten Gefahren- und Dringlichkeitslagen zur Anwendung kommen können. Da geht es zum Beispiel darum, dringend benötigtes medizinisches Material zu besorgen, aber auch um Projekte, um die IT-Infrastruktur für die Bedingungen der Pandemie aufzurüsten.
Über die Frage, welche Anbieter bei dieser freihändigen Vergabe von IT-Leistungen zum Zuge kommen, regt sich in der deutschen Softwarebranche aber nun Unmut. Man beobachte mit Sorge, dass bevorzugt US-amerikanische Unternehmen zum Zuge kämen, heißt es von der Open Source Business Alliance. „Oft wird der einfachste Weg gegangen“, ärgert sich Vorstand Holger Dyroff. „Damit werden aber die bereits bestehenden Abhängigkeiten weiter verstärkt.“ Er kritisiert: „Unsere Mitglieder können hier häufig sehr schnell liefern, werden aber oft gar nicht erst angefragt.“

Industrievertreter kritisieren, die Regierung würde damit das von ihr selbst ausgegebene Ziel der digitalen Souveränität untergraben. Unter diesem Stichwort treibt Wirtschaftsminister Peter Altmaier seit dem vergangenen Jahr etwa den Plan für die europäische Cloud-Architektur Gaia-X voran. „Es ging in eine gute Richtung“, sagt Tobias Gerlinger, CEO des IT-Mittelständlers Owncloud aus Nürnberg. „Nun werden vor dem Hintergrund von Corona aber andere Fakten geschaffen.“ Es könne nicht sein, „dass die Millionen aus der Sofortbeschaffung auch noch den großen US-Anbietern zufließen“.
Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage, jeder öffentliche Auftraggeber sei „für seine eigenen Beschaffungsaktivitäten selbst verantwortlich“, es lägen daher keine Informationen darüber vor, „in welchen Fällen Auftraggeber zu Produkten europäischer Hersteller oder nicht europäischer Hersteller greifen“. Das Ziel der digitalen Souveränität bleibe für das Ministerium aber „ein Thema von großer strategischer Bedeutung“.
Microsoft und Citrix kommen zum Zuge
Auch wenn es keine gesammelten Zahlen gibt, kursieren in der Branche zumindest einige bezeichnende Beispiele: etwa der Fall des Auswärtigen Amtes, das sich für eine Cloud-Speicherlösung von Microsoft entschieden habe und gegen das Produkt einer deutschen Firma. Aus dem Ministerium heißt es, der Bezug von Microsoft-Produkten sei über einen Rahmenvertrag des Bundes „vergaberechtskonform“. Entscheidungen über Beauftragungen erfolgten im Übrigen „stets sachbezogen und nicht auf Grundlage des Unternehmenssitzes“. Um Homeoffice für die Mitarbeiter des Amts und seiner 200 Auslandsvertretungen zu ermöglichen, hat die Behörde 1900 Laptops und 1500 Smartphones beschafft, dazu 1000 virtuelle Arbeitsplätze aufgebaut.
Ein weiteres Beispiel betrifft die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit. Dort wurde die IT-Infrastruktur sogar von 6000 auf 28.000 Remote-Arbeitsplätze aufgerüstet – vor allem mit Lizenzen des US-Anbieters Citrix. Um der gestiegenen Arbeitsbelastung Herr zu werden und um die systemrelevanten Funktionen der Behörde aufrecht zu erhalten, habe man „die Kapazität einiger bereits genutzter IT-Plattformen zwingend sehr kurzfristig erweitern müssen“, heißt es von der Bundesagentur.
Gerade jetzt sei es „wichtig und richtig, dass deutsche und europäische Softwarefirmen ein Stück vom Kuchen abbekommen, um die fehlenden Aufträge aus der nahezu stillstehenden Industrie zu kompensieren“, kritisiert Owncloud-CEO Gerlinger. Die dazu nötigen Technologien seien in Deutschland und Europa durchaus vorhanden – „sie sind nur nicht so bekannt wie die Produkte der marktaggressiven US-amerikanischen Player mit ihren riesigen Marketingbudgets“.
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