Eins muss man der Deutschen Bahn lassen. Sie weiß sich zu inszenieren. Zur Einstimmung der Pressekonferenz gibt es ein kleines Video, eigentlich nur für den internen Gebrauch gedacht, in dem DB-Mitarbeiter erzählen, wie sie sich aufreiben für den Job. Einer etwa berichtet von Alpträumen, in denen er die Haltestellen für den Ersatzverkehr nicht findet. Es geht um die Sanierung der Riedbahn, die Feuerprobe für das größte Sanierungsvorhaben der Deutschen Bahn, das in diesem Sommer, einen Tag nach dem EM-Finale starten soll. Die Aufgabe fasst das Video in einem Satz zusammen, der groß einblendet wird. „84,7 Millionen glauben, dass wir scheitern.“
Die Bahn also gegen den Rest der Republik. Dramatischer geht's kaum. Entsprechend legt die Bahn sich ins Zeug, um zu zeigen, dass sie es doch kann: In fünf Monaten nämlich eine der meistbefahrenen und störungsanfälligsten Strecken wieder fit zu machen, so dass am Ende ganz Deutschland pünktlicher fährt. Deshalb hat die DB in diesem Januar etwas Ungewöhnliches gemacht.
Sie hat die Generalsanierung der Riedbahn, eine 70 Kilometer lange Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, schon mal im Kleinen geprobt. Nicht bloß im Metaverse oder mit einem digitalen Zwilling, sie hat tatsächlich gebuddelt und gebaut, was das Zeug hält. Angesetzt waren drei Wochen für neun Kilometer Strecke.
200 Leute und Helikopter für die Bahn
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Einerseits. Gebaut wurde Tag und Nacht, bei Schnee und Eis, 200 Leute in zwei Schichten, 60 Großmaschinen waren gleichzeitig am Werk, erzählt Berthold Huber, DB-Infrastrukturvorstand, auf der Pressekonferenz. Sogar Helikopter wurden eingesetzt, um im Schnee Masten zu setzen, frei nach dem Motto, was in Kanada geht, geht auch bei uns.
„400 Prozent mehr Bauvolumen pro Zeiteinheit als sonst haben wir so ins Gleis gebracht“, sagt Huber sichtlich stolz. Und zählt auf: 23 Weichen, 3100 Fundamente für Schallschutzwände, neue Leit- und Sicherungstechnik, Signalmasten und Kabelträger auf einer Stecke von gut 9 Kilometern. „Alles, was wir uns vorgenommen haben, haben wir geschafft“, fasst Huber zusammen.
Bahn zahlt Prämien an Baufirmen für pünktliche Fertigstellung
Möglich war das aus Sicht der Bahn, weil sie anders als sonst mit den Bauunternehmen zusammen überlegt haben, wie es am schnellsten geht, „partnerschaftlich“ also. Da wurden etwa Maschinen von anderen Baustellen aus dem Ausland abgezogen, um sie auf der Riedbahn einzusetzen, es gab Prämien fürs pünktliche Fertigwerden.
Anderseits aber offenbart die Generalprobe alte Probleme. Denn statt drei Wochen wie angekündigt, brauchte die Bahn am Ende vier Wochen, um die Strecke wieder freizugeben. Grund dafür: „Ein ungewöhnlich heftiger Wintereinbruch mit Eisregen“ sowie „zwei GDL-Streiks“, entschuldigt die DB die Verspätung und weckt mit diesen Erklärungen böse Zweifel. Dass der Winter auf den Januar fällt, ist auch der DB nicht neu. Der Streik hatte sich angekündigt. Hätte das nicht einkalkuliert werden können?
Es gab einen Puffer, erklärt Huber dazu. Doch dann kam mal wieder eins zum anderen, ein durchweichter Damm, der verdichtet werden musste, eine komplizierte Wiederinbetriebnahme der neuen Technik. Die erforderlichen Test- und Belastungsfahrten mussten verschoben werden. Und schwupp, wurden aus zwei Tagen am Ende sieben Tage Verspätung.
Kritik hat die Bahn hier doppelt verdient, einerseits, weil sie den Puffer zu knapp bemessen hat, andererseits für ihre wirre Kommunikation: Der Termin der Wiederinbetriebnahme wurde erst ein Mal, dann zwei Mal, dann drei Mal verschoben. Am Sonntagnacht des 28.Januars um vier Uhr morgens gab die DB dann schließlich die Strecke Frankfurt-Mannheim wieder frei. Zu dumm, dass diese Salamitaktik fatal an das erinnert, was Millionen Fahrgäste aus ihren Reisen mit der DB nur zu gut kennen. Da verspricht die Bahnhofsanzeige erst fünf Minuten Verspätung, dann 20 Minuten und am Ende fällt der Zug ganz aus.
Probleme beim Ersatzverkehr
Auch beim Ersatzverkehr („Umleitverkehre“) ist die Bahn mit sich zufrieden und verweist auf Kundenbefragungen. Die DB-Regio-Chefin Evelyn Palla lobt den „neuen und innovativen Ersatzverkehr“, den die Bahn für die 16.000 Fahrgäste, die sonst auf der Strecke unterwegs sind, organisiert hatte. „Zuverlässig und besonders pünktlich“ hätten diese Busse die Fahrgäste ans Ziel gebracht. Zudem auch noch „besonders komfortabel“.
Richtig ist, dass die Bahn 75 neue Busse angeschafft hat mit WLAN und USB-Ladebuchsen, was bei der Konkurrenz Flixbus längst Standard ist. Genauso viele hat Palla dazu gemietet. Was aber nicht so gut lief, räumt die DB-Regio-Chefin dann stückchenweise auf Nachfrage ein: Ja, es habe Busfahrer gegeben, die nicht wussten, wie sie fahren sollten. Ja, die Haltestellen und Busse waren für die Fahrgäste nicht immer gut auffindbar – trotz der auffälligen „Bus-Lackierung in Verkehrspurpur“. Ja, die Busse fuhren öfter auch mal fast leer umher. Ja, in der vierten Extra-Woche gab es Chaos beim Fahrplan.
Mit einem Wort: verbesserungswürdig. Doch dafür ist die Generalprobe ja schließlich auch da, aufzuzeigen, was noch fehlt. Im Sommer soll es dann mehr eigene Busse geben, eine bessere Auffindbarkeit. Im Moment sucht die Bahn dringend Busfahrer, die Rekrutierungsquote liege bei 60 Prozent, mehr als 100 fehlen noch. Die Bahn braucht für die Riedbahn-Sanierung nach eigenen Angaben 400 Busfahrer plus Reserve. Die DB sucht nun auch im Ausland, vor allem in Rumänien, Spanien und Kroatien. Als Fahrgast hofft man auf mehrsprachige Navis.
Kosten für Sanierung explodieren
Zu reden ist auch noch über die Kostenexplosion, die sich schon abzeichnet, 1,3 Mrd. Euro statt ursprünglich 518 Mio. laut DB-Planungsrunde 2022 soll die Generalsanierung der Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim nun kosten – also 153 Prozent mehr. Je Kilometer schlappe 18,6 Mio. Euro.
Bahnvorstand Huber begründet den Anstieg mit Mehrleistungen. Die neue Leit- und Sicherungstechnik, der Bau der Zukunftsbahnhöfe seien hinzugekommen. Neu sei das allerdings nicht, urteilt Peter Westenberger, Geschäftsführer vom Verband „Die Güterbahnen“. Diese Maßnahmen zählten von Anfang zu den verbindlichen Zielen bei der Generalsanierung. Warum die Kosten dafür erst jetzt ihren Weg in die Gesamtkalkulation finden, sei unklar. Mache dieses Beispiel Schule, dann werde das Geld vom Bund nicht reichen, ganz zu schweigen davon, dass zu wenig bis nichts für den dringend nötigen Neu- und Ausbau übrigbliebe.
Fazit: Will die Bahn nicht schon wieder beim Bürger durchfallen, braucht es mehr Transparenz, Ehrlichkeit und besseres Management. Schließlich soll die Riedbahn die „Blaupause“ für alle weiteren 40 Generalsanierungen sein. „It's Showtime“, hatte Bahnchef Richard Lutz dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing zuletzt noch auf der Bühne im Berliner Futurium zugerufen, als sie dort ihre neue Infra-Go-Gesellschaft feierten, die das Vorhaben umsetzen muss. Und versprochen: „Wir werden liefern.“ Am 15. Juli wird es ernst. Bitte scheitert nicht, kann man da nur hoffen.