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Kolumne Der VW-Wegseher

Niedersachsens Ministerpräsident Weil ist als Aufsichtsrat in Wolfsburg sichtlich überfordert. Von Bernd Ziesemer
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Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

Seit dem Beginn des VW-Skandals gibt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil fleißig Interviews, die vor allem einen Eindruck hinterlassen: Der SPD-Politiker ist mit der Aufarbeitung des Dieselbetrugs offensichtlich überfordert. Jüngstes Beispiel: ein längliches Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das am letzten Freitag erschienen ist. VW? Eine „echte Erfolgsgeschichte“. Eine Angstkultur im Konzern? „Aus eigenem Erleben“ konnte Weil davon nichts entdecken. Wie es wirklich zuging unter dem früheren VW-Chef Martin Winterkorn? Dazu fällt Weil nichts ein, schließlich sei er als Aufsichtsrat „nicht Teil des Innenlebens im Unternehmen“.

Genau da liegt das Problem. Der SPD-Politiker kennt den Konzern nicht von innen – und einige andere Aufsichtsräte auch nicht. Gerade deshalb konnten Männer wie Winterkorn und der VW-Patriarch Ferdinand Piëch seit Jahren nach Gutsherrenart regieren. Zahlreiche Hinweise auf die völlig verpfuschte Corporate Governance konnte man nicht nur immer wieder in den Medien lesen.

Auch Investoren und unabhängige Experten protestierten mehrfach gegen die Unkultur im Konzern. Fast 10 Jahre lang brachte beispielsweise die britische Investmentgesellschaft Hermes immer wieder die mangelhafte Zusammensetzung des Aufsichtsrats aufs Tapet. Auch auf den VW-Hauptversammlungen, an denen Weil teilnahm, sprachen Redner lange vor dem Skandal die fehlerhafte Corporate Governance an. Als Aufsichtsrat hätte Weil jederzeit die Möglichkeit gehabt, diesen Hinweisen persönlich nachzugehen. Doch der Politiker war kein Auf- sondern ein Wegseher.

Unabhängige Aufseher müssen her

Und leider ist auch kein Sinneswandel in Sicht. Bis zur Hauptversammlung im April könne die Öffentlichkeit „allenfalls mit Zwischenberichten“ zum Dieselbetrug rechnen, erklärte Weil der FAZ. So sieht sie also aus, die „schnelle Aufklärung“ bei VW, die Weil in früheren Interviews selbst angemahnt hatte. Der SPD-Politiker verlässt sich ganz auf den „großen Erfahrungsschatz“ und die „große Unabhängigkeit“ des neuen AR-Chefs Hans Dieter Pötsch. Unabhängig? Ein Mann, der zwölf Jahre lang als Finanzvorstand des Konzerns diente und dabei niemals durch ein kritisches Wort gegen Piëch und Winterkorn aufgefallen wäre?

Auf diese Idee kann man nur kommen, wenn man den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen hat. Schon fordern die ersten Großaktionäre völlig zu Recht einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, der von außen kommen sollte. Mit dem bisher eingeschlagenen Weg könne der VW-Konzern das Vertrauen der Finanzmärkte nicht zurückgewinnen, erklärte die Fondsgesellschaft Union Investment in der letzten Woche. So ist es.

Dem Aufsichtsrat kommt bei der Aufklärung des Dieselbetrugs eine vielleicht noch wichtigere Rolle zu als dem Vorstand. Gerade weil auch der neue VW-Chef Matthias Müller ein alter Konzernmann ist, müssen endlich wirklich unabhängige Aufseher her. So lange Leute wie Weil im Namen des Aufsichtsrats nichts als beschwichtigen und möglichst viel unter dem Deckel halten, kann von wirklichen Konsequenzen aus der Vergangenheit in Wolfsburg keine Rede sein.

Weitere Kolumnen von Bernd Ziesemer: Die kranke Lufthansa, Deutschlands Schrumpfkonzerne, Wiedekings Wiedergänger und Beendet die Inzucht bei VW!

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