Schon immer fand ich es komisch, wenn Menschen sagten, dass „wir die Welt retten müssen“. Wer ist „wir“, dachte ich dann, und vermutete, es ging um uns Deutsche, weil ich diese Sätze vor allem hierzulande höre. Und was heißt „Welt retten“ genau? Nun, natürlich ging es um das „Klima“, das gerettet werden muss, was noch komischer ist, denn das Klima kann man nicht retten. Man kann allenfalls dafür sorgen, dass es sich nicht so schnell und dramatisch verändert, damit es für uns Menschen weiterhin angenehm auf dem Erdball bleibt.
Meist aber komme ich bei solchen Gesprächen gar nicht zu den ganzen Nachfragen, sondern werde beim ersten Fragezeichen schon niedergequakt: „Das heißt aber nicht, dass nicht jeder was tun kann!“ Heißt es natürlich nicht, sagt auch keiner, auch ich bin bereit, weniger zu fliegen, und etwas mehr Veggie Burger zu verzehren. Ich bilde mir nur nicht ein, dass ich die Welt rette, wenn ich zum Lunch in Erbsenpaste beiße. Eine Varianz des Einwurfs, den ich höre: „Und nur, weil Deutschland lediglich für zwei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist, heißt das nicht, dass wir nicht für die Welt ein Vorbild sein können.“ Auch klar.
Wobei es eben auch wichtig ist, dass zum Beispiel Länder wie China mitmachen. 2020, nur so am Rande, wurde dort in etwa so viel Leistung an Kohlekraft neu installiert, wie wir bis 2038 stilllegen möchten. Ein Vorbild ist übrigens Deutschland bei der Klimapolitik nicht, weil wir unsere CO2-Ziele in der Zeit vor Corona auch gerne mal gerissen haben. Das liegt an einigen Managementfehlern unserer Energiewende, die wir aber nicht korrigieren wollen. Wenn wir ein Vorbild wären, müsste ein vergleichbares Land uns nacheifern – tut aber niemand. Aber auch das nur am Rande.
Die Erlöserin hat versagt, jetzt soll der Erlöser ran
An all diese immer viel zu emotionalen Diskussionen musste ich diese Woche denken, als es um die arme Annalena Baerbock ging – die inzwischen eine Art „Sündenbaerbock“ geworden ist. Sie ist schuld, dass die Grünen vielleicht nicht ins Kanzleramt einziehen. Und nun möglichweise auch, dass die Welt untergeht und eben das Klima nicht „gerettet“ werden kann.
„Es ist vorbei, Baerbock“, titelte diese Woche die „taz“, ausgerechnet die „taz“. Und dann hieß es, ich zitiere (das sollte man in diesen Tagen lieber ganz deutlich machen): Baerbock sei „an ihrem Ehrgeiz gescheitert und kann die Wahlen nicht mehr gewinnen. Wenn sie das Klima retten will, sollte sie an Habeck abgeben.” Nach „einer Regierungsbeteiligung sähe es bei schlechten Ergebnissen nicht mehr aus“, heißt es in dem Text weiter. „Vor allem für das Klima wäre es katastrophal, denn jedes Jahr zählt jetzt dreifach. Wenn Baerbock also etwas am Klima und der Zukunft der kommenden Generationen liegt, dann sollte sie ihre Kandidatur so schnell wie möglich an Habeck abgeben.“
Das ist eine furiose Forderung und eine beachtliche Kausalkette: Die Frau hat es verbockt, also lass den Mann ran, der ja eh besser gewesen wäre, aber leider keine Frau war. Plus: Wenn sie es nicht macht, geht die Welt unter! All die Kipppunkte bis 2030, die in der Tat dramatisch sind, all die ehrgeizigen Reduktionsziele sind also in Gefahr, weil Baerbock ihr Buch etwas viel mit Copy Paste zusammengeschustert und den Lebenslauf getuned hat, und weil sie jetzt tatsächlich immer noch Kanzlerin werden will, es aber nicht werden kann? Puh.
Niemand wird die Welt retten!
Ich finde ja zunächst, man sollte erstens nie eine Person für die Apokalypse verantwortlich machen. Vor allem aber würde man ja den gleichen Fehler nochmal machen: Nachdem die erste Erlöserfigur nach zwei Monaten versagt hat, wirft man die zweite Erlöserfigur ins Rennen, die mit den Wuschelhaaren und Metaebenen – der so groß denkt, dass er bestimmt nicht zwischen den Zeilen eines Lebenslaufes hängen bleibt.
Die Vorstellung, dass Annalena Baerbock oder Robert Habeck die Welt oder meinetwegen „das Klima“ retten können, ist infantil, und eine Form der Projektion, die nur enttäuscht werden kann. Und diese Projektion geht weit über die „taz“ hinaus, sonst müsste man sie hier nicht aufgreifen. So viel sei verraten: Niemand wird die Welt retten ab Herbst, auch wenn Greta Thunberg ins Kanzleramt zieht.
Ich glaube ja, es wäre ganz gut, wenn alle mal ein bisschen runterkommen und Baerbock quasi entlasten, indem wir ihre Mission entmythisieren: Sie ist eine ehrgeizige, talentierte Politikerin, ein frisches Gesicht, die Grünen haben ein interessantes Programm, mit vielen guten und vielen nicht so guten Ideen – und die Kampagne läuft überhaupt nicht gut, weil ihr Apparat überfordert ist – aber immerhin stehen die Grünen nach all den Präzisierungen und Peinlichkeiten noch bei knapp 18 bis 19 Prozent . Waren die 25+ nicht einfach nur ein Hype?
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Die Enttäuschung, wenn zu stark an eine „historische Chance“ geglaubt wird, wird groß, wenn Menschen gleichzeitig auf eine Rettung oder Erlösung hoffen. Glauben wir etwa, dass plötzlich ab Herbst wie von Zauberhand fünfmal so viele Windräder entstehen (2020 waren es gerade Mal 420 ) oder Hunderttausende von Ladesäulen, nur weil die Grünen an der Macht sind? Sicher, das angekündigte „Klimaschutzsofortprogramm“ der Grünen würde ein paar Ideen und vielleicht noch neue Töpfe enthalten. Bis zur Rettung der Welt ist es selbst da aber noch ziemlich weit, zumal wir zwar Energiepolitik gegen die Vernunft und gegen die Gesetze der Wirtschaftlichkeit, aber nicht gegen die Gesetze der Physik machen können.
Ungesunder Erwartungsdruck
Insofern ist es fast ein Segen, dass Annalena Baerbock sich – wenngleich nicht freiwillig – entzaubert hat und das Licht in ihrer Gestalt etwas gedämmt hat. Der Erwartungsdruck, dass nur diese junge Frau uns vor einem Untergang retten kann, ist ungesund. Er reiht sich ein in eine Klimapolitik, die vor allem in Deutschland viel zu oft über religiöse Metaphorik artikuliert wird: Klimasünde, Weltuntergang, Weltenrettung, Erlöserfigur.
Die tatsächlichen Hebel für eine erfolgreiche Klimapolitik sind ziemlich schnöde marktwirtschaftliche Instrumente, die Anreize schaffen, Rahmen neu setzen und Verhalten verändern sollen: CO2-Preis, Emissionshandel, ESG-Regulierung, Förderprogramme für E-Autos und neue Heizungen und so weiter. Und da all diese Ziele stehen in Deutschland sogar in Gesetzen, die vom Bundesverfassungsgericht jüngst noch mal eingefordert wurden – und die man sogar erreichen müsste, wenn die FDP im Herbst stärkste Kraft werden sollte.

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