Man möchte meinen, die Woche ende versöhnlich: Friedrich Merz wird neuer CDU-Chef und damit oberster Oppositionsführer. Bei dieser Nachricht schwingt gleich ein „endlich“ mit – allein, weil man weiß, wie sehr er selbst sich dieses Amt ersehnt hat. Endlich also ist er dort angekommen, wo er sich all die Jahre seit dem angekündigten Rückzug Angela Merkels vom CDU-Vorsitz im Herbst 2018 gesehen hat (und zuvor natürlich auch schon). Und, das ist das Schöne für Merz, bereits der erste Wahlgang in der Mitgliederbefragung reichte aus, um diesen Sprung im dritten Anlauf zu schaffen: 62 Prozent der CDU-Mitglieder stimmten für ihn, das ist wirklich ein eindrucksvolles Ergebnis. Seine beiden Kontrahenten, der Außenpolitiker Norbert Röttgen und der enge Merkel-Vertraute Helge Braun kamen nur auf knapp 26 respektive gerade mal 12 Prozent der Stimmen.
Weil die ersten beiden Kampfabstimmungen um den CDU-Vorsitz – erst zwischen Merz und der später glücklosen Annegret Kramp-Karrenbauer Ende 2018, und dann zwischen Merz und dem ebenso glücklosen Armin Laschet vor kaum elf Monaten, so denkbar knapp zu seinen Ungunsten ausfielen, ist der Erfolg jetzt gleich im ersten Wahlgang wichtig: Eine weitere Selbstbeschäftigung bleibt der Partei vorerst erspart, Merz muss nicht in eine Stichwahl und wird auf dem nächsten Parteitag Ende Januar nun ohne weitere Gegenkandidaten ins Amt gewählt werden. Die Union hat ihre Aufstellung in der Opposition endlich geklärt – das ist die Botschaft von diesem Freitag.
Allerdings gab es in dieser Woche einen Auftritt, der durchaus Zweifel an einem baldigen Happy-End bei der CDU schürte: Auf einen maximal scholzomatigen Olaf Scholz, der seine erste Regierungserklärung als Bundeskanzler am Mittwoch als Vorlesewettbewerb anlegte (bei dem er allerdings auch nur mittelmäßig abschnitt), antwortete ein Mann, der Merz’ Eifer in den kommenden Monaten noch ausbremsen könnte: Ralph Brinkhaus, bis April gewählter Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Und offensichtlich nicht gewillt, diesen Posten einfach so zu räumen.
Fraktionschef Brinkhaus überzeugt
Brinkhaus sprach frei, ohne Zettel und Notizen, und er trat so kampfeslustig auf wie einst ein gewisser Friedrich Merz, als dieser dieses Amt bekleiden durfte – was bald 20 Jahre her ist. Allein dieser Auftritt war ein kompletter Gegenentwurf zu den quälend langen fast 90 Minuten, die Scholz für sein Regierungsprogramm brauchte und in denen selbst der regelmäßige Beifall der Ampelabgeordneten etwas Trancehaftes hatte. Brinkhaus hielt sich wohltuend nicht mit Details auf, sondern knöpfte sich jeden möglichen Gegner der Reihe nach vor.

„Ich erwarte von einem Bundeskanzler, dass er nicht in seiner ersten Regierungserklärung kleinteilig den Koalitionsvertrag referiert“, legte Brinkhaus los, „ich erwarte, dass er die großen Linien zeigt“. ‚Mehr Fortschritt wagen’, sei ja ein schönes Motto, „aber Fortschritt braucht Begeisterung – diese Begeisterung war nicht zu sehen.“
Auch Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen und FDP-Finanzminister Christian Lindner widmete sich Brinkhaus – stets mit einer freundlichen Einleitung, die sich dann aber zur umso härteren Kritik entwickelte. Mit Blick auf Habecks große Vorhaben zum Umbau der Wirtschaft rief er: „Wir werden Sie daran messen, wir werden jede Kilowattstunde Strom zählen, jedes Windrad und jeden Kilometer Bahntrasse“; und an Lindner gewandt, der diese Woche kunstvoll eine 180-Grad-Wende hinlegte und über einen Nachtragshaushalt 60 Mrd. Euro zusätzliche Schulden in die nächsten Jahre verschob (ein Manöver, das seine Partei vor einem Jahr in der Opposition noch vehement kritisiert hatte): „Fünf Mal ist die Sonne aufgegangen, und schon bricht Christian Lindner sein Versprechen, für nachhaltige Finanzen zu sorgen.“
Zugleich skizzierte Brinkhaus, wie er sich die Opposition von CDU und CSU im Bundestag vorstellt: Hart, aber nicht fundamental, sondern zur Zusammenarbeit bereit – etwa, wenn es um eine Reform der gesetzlichen Rente geht. Ihm gelang sogar das rhetorische Glanzstück, die neue Regierung anzugreifen und sich ebenso scharf von der AfD abzugrenzen: „Es gibt keine Koalition in der Opposition. Wir verstehen uns als Opposition innerhalb unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie“, sagte Brinkhaus und fügte an die AfD gewandt hinzu: „Sie verstehen sich als Opposition zur parlamentarischen Demokratie.“
Es waren 27 kurzweilige Minuten, kampfeslustig und stilvoll. Als Brinkhaus an seinen Platz zurückkehrte, standen die meisten Abgeordneten von CDU/CSU zum Beifall auf. Sicher war das auch ein bisschen Show, wie sie zu so einem Tag dazugehört, aber es war auch eine Demonstration – und zwar an eben jenen Friedrich Merz, der jetzt nicht nur CDU-, sondern auch Fraktionschef werden will, wie er diese Woche noch einmal „im Prinzip“ bekräftigte.
Der Fraktionschef ist der wahre Oppositionsführer
Schon Anfang Oktober waren Merz und Brinkhaus aneinandergeraten, als es um die Wahl der Fraktionsführung ging. Der Posten ist deshalb so wichtig, weil er – weit mehr als der Parteivorsitz – die Macht und den regelmäßigen Auftritt auf Augenhöhe mit dem Bundeskanzler sichert. Nicht der Parteichef der führenden Oppositionspartei, sondern der Fraktionschef ist der wahre Oppositionsführer. Dass Brinkhaus für diese Rolle selbstbewusst genug ist, hatte er schon mit seiner Kampfkandidatur gegen den langjährigen Merkel-Vertrauten Volker Kauder bewiesen, die ihn ins Amt brachte. Und auch in diesem Herbst ließ sich Brinkhaus nicht einfach zur Seite schieben: Er wollte für ein Jahr wiedergewählt werden, Merz und der unterlegene Kanzlerkandidat Laschet hielten das für unnötig (weil damals noch beide auf den Job schielten), man einigte sich schließlich in der Mitte: Brinkhaus wurde für sechs Monate gewählt, seine Amtszeit endet nun im April. Dass er dann geräuschlos abtritt, ist nach dem Auftritt diese Woche nicht zu erwarten.
Und so dürfte die Zeit der Konflikte auch für Merz noch nicht vorbei sein, wenn er Ende Januar zum Parteichef gewählt wird. Natürlich hat auch Merz sich in den vergangenen drei Jahren entwickelt und dazugelernt, er weiß, dass er anders auftreten muss, andere Strömungen einbinden und andere Themen bedienen muss, wenn er Wähler zurückgewinnen will.
Aber Merz ist inzwischen eben 66 Jahre alt, Brinkhaus 53. Programmatisch sind beide ähnlich aufgestellt, sie stehen eher für Wirtschaft als für Soziales. Aber im Auftritt wirkt Brinkhaus frischer, kraftvoller, überraschender. Will Merz Brinkhaus stürzen, wird er zudem die Unterstützung der CSU-Abgeordneten benötigen – doch ausgerechnet Merz und CSU-Chef Markus Söder sind sich in innigster Abneigung verbunden. Umgekehrt hat Brinkhaus gerade erst dafür gesorgt, dass wichtige Posten in der Fraktion an CSU-Kollegen gingen, die Loyalitäten dürften für’s Erste geklärt sein.
Friedrich Merz mag heute seinem Ziel einen großen Schritt nähergekommen sein, das ist sein Erfolg. Aber angekommen ist er noch nicht. Und für die Partei war der Schritt an diesem Freitag womöglich sogar nur ein kleiner.

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