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Ökonomisches Quartett Der Ruhm von gestern

Deutschland ist zum weltweit bewunderten Modell geworden. Aber ihr schwächelt, liebe Weltmeister! Von David McWilliams
David McWilliams
David McWilliams

David McWilliams hat als Ökonom für Großbanken und für die Zentralbank Irlands gearbeitet. Heute betätigt er sich als TV-Journalist, Bühnen- und Bestsellerautor mit Wirtschaftsfragen. Er veröffentlicht einen täglichen Weltwirtschafts-Newsletter: globalmacro360.com.

Es ist schon gut einen Monat her, aber als Ire kann ich es euch nicht ersparen: unser 1:1 gegen den Fußballweltmeister! Ich war im Stadion auf Schalke und vorher in der Düsseldorfer Altstadt, die unser Volksstamm tief in irisches Grün getaucht hatte.

Vor unseren Augen brummte dort auch der deutsche Wirtschaftsmotor. Über den Rhein werden seit jeher die Güter verschifft, das nahe Ruhrgebiet, das Herz der Industrie, hat sich – verglichen etwa mit den Briten – erfolgreich neu erfunden.

Auf den ersten Blick ist das ja überhaupt die große neue Deutschland-Story: die erfolgreiche Bewältigung harter Zeiten, eine Bereitschaft der ganzen Nation, tief zu bohren und sich zu verändern. Vor zwei Jahren hatten diese Deutschen beim Länderspiel in Dublin 6:0 gewonnen.

Aber diesmal schießt John O’Shea Sekunden vor Schluss den Ausgleich für das kleine Irland! Was ist los mit dem Weltmeister?

Grund zum Nachdenken

Auf den zweiten Blick wackeln die Deutschen nicht nur im Fußball. Auch in der Wirtschaft läuft etwas nicht mehr richtig. Produktion, Umsätze und Auftragseingang der Industrie schwächelten zuletzt.

Der Arbeitsmarkt wirkt noch solide, es gibt keinen Grund zur Panik. Zum Nachdenken aber schon.

Die aktuelle Capital
Die aktuelle Capital

Der deutsche Wohlstand basiert darauf, dass anderswo Geld ausgegeben wird. Oder anders gesagt: Wenn ihr in der Leistungsbilanz und beim Budget Überschüsse haben und vom Export leben wollt, dann geht das nur, wenn wir ­anderen – trotz unserer hohen Schulden – weiterhin tief in die Tasche greifen.

Das kann auf lange Sicht nicht klappen. Haben wir anderen mal kein Geld mehr, bricht die Stimmung in der deutschen Industrie ein.

Bis 2014 gab es genügend Leute, an die Deutschland verkaufen konnte. Die Schwellenländer, vorneweg China, erlebten einen Investitionsboom, ebenso die Golfstaaten, die vom teuren Öl profitierten. Die Nachfrage in Europa war schwach, erholte sich aber nach dem Crash 2008. An den Finanzmärkten verhinderte die „Draghi-Magie“ eine neue Krise. Kredite waren billig, der Börsenwert deutscher Unternehmen stieg.

Russland, der wichtigste Energielieferant, verhielt sich anständig, an die Ukraine dachte keiner.

Jetzt hat sich all das verändert – und zwar gravierend. Nicht nur Jogi Löws Team, sondern auch das deutsche Wirtschaftsmodell zeigt Risse. Sie sind reparabel, aber es sieht so aus, als brauche Deutschland dafür einen Politikwechsel.

Euer Ritual ständiger Staudurchsagen ist lächerlich

Da ist zunächst ein Strukturproblem: Eine Industrienation ist besonders auf Energie angewiesen. Deutschland braucht langfristig eine Versorgung, die nicht einmal billig, aber unbedingt verlässlich sein muss. Die Ukrainekrise wirkt genau deshalb so verunsichernd.

Logisch wäre da eine pragmatische Allianz für das 21. Jahrhundert zwischen dem rohstoffarmen Deutschland und dem rohstoffreichen Russland. Aber das ist Zukunftsmusik.

Unmittelbar hilfreich wären höhere deutsche Ausgaben. Wenn nicht von den Bürgern, dann vom Staat. Ihr habt sie wirklich nötig.

Als Besucher wundert man sich doch über eure Toleranz für dauerverstopfte Straßen. Euer Ritual ständiger Staudurchsagen ist lächerlich, und es zeigt nur, dass die Infrastruktur nicht reicht. Wenn das Ausländern schon bei den berühmten deutschen Straßen auffällt – wie sieht es dann erst anderswo aus?

Es ist wie im Fußball: Ihr könnt euch nicht auf eurem Ruhm von gestern ausruhen.

David McWilliams gehört neben Heleen Mees (Niederlande), Jim O'Neill (Großbritannien) und Michael Pettis (USA) zu unserem Ökonomischen Quartett. Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.
Der Beitrag von David McWilliams erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

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