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Gastbeitrag Der moralische Imperativ für die Wirtschaft wird wichtiger

Abstand halten, ist das Gebot der Stunde
Abstand halten, ist das Gebot der Stunde
© Ralph Peters / IMAGO
Die Corona-Pandemie hält für die Wirtschaft ein paar wichtige moralischen Lehren bereit. Leon Kamhi von der Fondsgesellschaft Federated Hermes wirft ein ganz persönlichen Blick auf die ethischen Implikationen der Krise
Leon Kamhi ist Head of Responsibility bei Federated Hermes
Leon Kamhi ist Head of Responsibility bei Federated Hermes
© PR

Die Wirtschaft muss eine treibende Kraft innerhalb der Gesellschaft sein. Das ist der Grundsatz und die treibende Kraft dafür, wie wir das Kapital von Anlegern investieren und verantwortungsbewusst managen – für uns ist dies ein grundlegendes Element nachhaltiger Vermögensbildung. Obwohl wir darauf achten, dies nicht als ethisches oder moralisches Unterfangen zu betrachten, können wir – wenn wir ehrlich sind – die moralische Dimension niemals ganz außer Acht lassen. Das trifft umso mehr vor dem Hintergrund der aktuellen Covid-19-Krise zu.

Meine Mutter fiel vor einigen Wochen diesem tückischen und findigen Virus zum Opfer. Im Rahmen der mitfühlenden und intensiven Trauerrituale der jüdischen Tradition hatte ich Zeit, meine Gedanken zu den moralischen Lehren aus der gegenwärtigen Krise für die Menschheit und insbesondere die Wirtschaft zu sortieren. Wie die Schönheit liegt auch die Moral im Auge des Betrachters – und daher folgt meine persönliche Sichtweise:

Jeder Einzelne zählt – und muss abgesichert werden

  • Meine erste Feststellung ist, dass wir alle, um arbeiten zu können, eine „social licence to operate“ brauchen, also eine soziale und gesellschaftliche Akzeptanz des Daseins und Geschäftsmodells unseres Unternehmens. In den ersten Tagen nach Ausbruch des Virus war das Risiko für den Einzelnen verschwindend gering. Wenn wir jedoch so weitermachen, wie wir es alle bisher getan haben, wird das Risiko für die Gesellschaft als Ganzes und damit auch für jeden einzelnen Menschen in der Gesellschaft fast zu einer Gewissheit. Kein Mensch oder Unternehmen ist eine Insel. Jeder Einzelne muss seinen Einfluss auf die Gesellschaft bedenken und gemeinsam müssen wir daran arbeiten, eine Gesellschaft zu gestalten, die für all ihre Bürger funktioniert. Unternehmen werden dadurch gestärkt.
  • Zweitens ist es offensichtlich, dass das Virus aus gesundheitlicher Sicht niemanden aufgrund seiner Nationalität, Religion, Reichtum, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder seines moralischen Verhaltens diskriminiert. Zu seinen Opfern gehören jedoch überwiegend diejenigen, die am anfälligsten sind. Denn am stärksten betroffen sind ältere Menschen und solche mit spezifischen medizinischen Vorerkrankungen. Unternehmen müssen sich weiterhin bemühen, Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in ihre Belegschaften und Aktivitäten einzubeziehen. Sie müssen Arbeitskräfte in dieser Krise wirtschaftlich absichern und sowohl in ihrem als auch im Interesse der Leistungsempfänger handeln, also Mitglieder von Pensionskassen oder Kunden von Versicherern, die den Unternehmen einen Großteil ihres Kapitals zur Verfügung stellen.
  • Drittens: Aufgrund der eingeführten Isolierungen, Distanz- und Hygienevorschriften zur Eindämmung des Virus ist unmittelbare körperliche beziehungsweise physische Nähe nicht möglich. So wie dies die Art und Weise verändert hat, wie wir den Menschen, die uns am nächsten stehen, unsere Zuneigung zeigen – so hat es auch Auswirkungen auf die berufstätige Bevölkerung und Kunden. Wenngleich mir bewusst ist, dass dies nicht immer der Fall ist, so war es doch inspirierend zu sehen, wie meisterhaft die Unternehmen, mit denen ich zu tun habe, mit einer einfallsreichen Vielfalt von Kommunikationsinitiativen, Maßnahmen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit und der Bestätigung der Arbeitsplatzsicherheit reagierten. Die Menschlichkeit derjenigen, mit denen wir interagieren, wird immer stärker anerkannt. Allzu oft gerät der Mensch als solches im alltäglichen Geschäft in Vergessenheit.
  • Viertens hat uns die Krise gezeigt, wie wir unsere Verhaltsweise ändern können, um auf ein sich rasch veränderndes Umfeld zu reagieren. Obwohl China als erstes vom Virus betroffen war, hat das Land schnell und entschlossen gehandelt, um die Pandemie einzudämmen. Zwar haben viele westliche Regierungen inzwischen ebenfalls gehandelt, jedoch reagierten sie trotz der offensichtlichen Warnsignale aus China und Italien zu Beginn mit drastischeren Maßnahmen recht langsam. Unternehmen und Einzelpersonen wiederum sind in der Regel dem Beispiel ihrer Regierungen gefolgt. Eine wichtige Lehre aus der Krise ist, dass wir, unabhängig davon, wie schwer es ist oder wie groß der Druck ist, das Richtige tun und unser Verhalten schnell ändern müssen. Mit der richtigen Intention, Einstellung und Führung kann dies gelingen. Denn auch der Klimanotstand – wenn auch ein schleichenderer Prozess als die Ausbreitung von Covid-19 – stellt hier und jetzt ein akutes Problem dar. Allen Worten zum Trotz versäumen es Regierungen, Unternehmen und Verbraucher, zielgerichtet und radikal zu handeln. Das muss sich jetzt ändern, indem wir das gleiche Maß an Entschlossenheit im Umgang mit dem Klimawandel aufbringen, wie wir es bei der Corona-Pandemie tun.

Aus der Covid-19-Pandemie für die Zukunft lernen

Wenn es darum geht, wie Unternehmen auf diese Krise reagieren, bin ich fest davon überzeugt, dass sie danach beurteilt werden, inwiefern sie sich um ihre Interessengruppen kümmern. Unternehmen müssen jegliche Unterstützung leisten, um die Arbeitsplätze und Entlohnung ihrer Mitarbeiter sowie deren Wohlergehen zu gewährleisten. Und dort, wo es ihnen nicht möglich ist, müssen die Regierungen eingreifen – so wie sie es bereits begonnen haben –, um Unternehmen vor mangelnder Liquidität zu schützen. Zulieferer sollten, wie ich es in konkreten Fällen schon erlebt habe, nicht unter Druck gesetzt werden, nicht lebensnotwendige Waren zu liefern, wenn dies ein Risiko für ihre Mitarbeiter oder die Gesellschaft im Allgemeinen darstellt.

Die größte Bewährungsprobe für die Wirtschaft wird uns jedoch nach dem Ende der Pandemie bevorstehen – sei es in sechs oder 18 Monaten. Wie bereits erwähnt, wird der Erfolg unseres Vorgehens gegen den Klimawandel davon abhängen, was jeder Einzelne von uns und jedes Unternehmen leistet – nicht nur, um CO2-Emissionen zu reduzieren, sondern auch um einen gerechten Wandel für die gesamte Gesellschaft sicherzustellen. Auch bedeutende technologische Disruptionen werden weiterhin in allen Industriezweigen zu beobachten sein. Dies könnte enorme Auswirkungen sowohl auf den Umfang und die Qualität von Arbeitsplätzen als auch auf die Art und Weise haben, wie wir unsere Kunden bedienen.

Es liegt an uns, ob wir die Lehren aus diesem winzigen, unsichtbaren Organismus ziehen, der unsere Wirtschaft und unsere Lebensweise völlig durcheinander gebracht hat. Ich bin überzeugt, dass wir es gemeinsam mit Bescheidenheit und Entschlossenheit schaffen können.

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