Gastkommentar Der Fußball nutzt sein Markenpotenzial nicht

Sportlicher Erfolg ist eine Sache. Die Clubs müssen sich aber auch überlegen, in welcher Liga sie als Marke spielen wollen. Da gibt es noch viel Luft nach oben.
Fanshop des 1. FC Köln
Fanshop des 1. FC Köln
© Getty Images

Deutschland ist wieder im Fußball-Fieber. Dass dabei das Runde ins Eckige muss, daran hat sich nichts geändert. Vieles Drumherum aber schon. Fußball ist heute mehr als nur ein Sport. Fußball ist ein emotionales, konkurrierendes Produkt. Bei dem – neben guten Spielern, Trainern und Managern – auch Branding und Design zu den Erfolgsfaktoren gehören.

Fußball und Design - ein gutes Match?


Als der FC Bayern München im Sommer sein Logo gerelaunched hat, löste das in den Medien und Sozialen Netzwerken hitzige Diskussionen aus. Viel Lärm um, wenn man mal ehrlich ist, ein paar homöopathische Design-Korrekturen. Die Steigerung dessen war der weltweite Aufschrei, als Juventus Turin es wagte, ihre Marke radikal neu zu erfinden. Und ebenso unvergessen ist die Debatte von vor einem Jahr, als sich die ewige Fußball-Rivalität von Deutschland und England in den Designbereich verlagerte und sich etablierte Medien darüber ausließen, wer die hässlichsten oder schönsten Club-Logos habe. Grund genug also, das Thema Fußballclubs und Branding einmal näher zu betrachten.

Big Money = Big Brands?


Grundsätzlich kann man sagen, dass Fußball-Angebote wie Clubs, Verbände oder Medien potentiell extrem starke Marken sind. Fußball ist hochemotional und lebendig, für viele Menschen identitätsstiftend und damit wertvoll. Emotionen, die sich sogar messen lassen: Die Bundesliga konnte ihren Umsatz dieses Jahr zum zwölften Mal in Folge auf nun 3,24 Milliarden Euro steigern. Macht einen Anstieg um fast 24 Prozent. Womit sie aber immer noch über eine Milliarde vom Umsatz der Premier League entfernt ist. Die 14 Deutschen Vereine kommen im Top 50-Ranking der wertvollsten Fußball Marken der Welt des Brand Finance Reports auf einen Gesamtmarkenwert von 3,7 Milliarden Euro (1 Milliarde davon entfällt auf den FC Bayern). Es ist viel Geld im Spiel und das kommt nicht von ungefähr. Der Markt ist hochattraktiv, denn gerade Fußballclubs können die Welt, die andere Marken erst künstlich erzeugen müssen, jedes Wochenende selbst erschaffen, in den Medien inszenieren und verlängern. Das macht sie auch als Sponsorenplattformen so begehrt.

Authentisch oder einfach nur von gestern?


Was beim Blick auf die deutsche Fußballlandschaft auffällt: Viele Clubs und Verbände sind noch immer sehr traditionell verhaftet. Sie messen dem eigenen Markenauftritt nur eine sekundäre Bedeutung bei. Branding dient vor allem dazu, eine Tradition oder ein tradiertes, authentisches Image in die Zukunft hinüberzuretten: um möglichst attraktiv für aktuelle Fans oder mehrheitlich regionale Sponsoren zu sein. Gerade die Clubs verkennen dabei die Chancen der Sportmarketing-Branche und schöpfen ihr Marken-Potential nicht mal ansatzweise aus. Ihr Hauptproblem: Sie setzen sich nicht damit auseinander, wie Marken heute in der modernen Mediengesellschaft funktionieren.

Markenidentitäten sind keine Elfenbeintürme


Fußball-Clubs, -Verbände und -Medien sind schon lange keine solitären Fußballangebote mehr, sondern echte Marken, die sich im Kosmos ihrer Partner und Zielgruppen bewegen. Sie werden in einem Lifestyle-Kontext wahrgenommen, ob sie wollen oder nicht. Dies gilt nicht nur für Marken wie den FC Bayern oder den BVB, die dies längst verstanden haben, sondern für alle Clubs der ersten und zweiten Bundesliga. Sie müssen damit anfangen, einen breiteren Blick auf die eigene Marke zu werfen. Abgesehen von sportlicher Philosophie und dem Erfolg, der letztendlich immer entscheidend ist, entsteht ihre Club-Identität immer auch in Abhängigkeit zu einer Vielzahl an Branding-Faktoren. Diese sollten daher bewusst gewählt und optimal orchestriert werden: Vom Ausrüster und Hauptsponsor, über das Merchandising Look & Feel und die Präsenz in Games und eSports. Von der Vielfalt an Möglichkeiten, sich gesellschaftlich – lokal, aber vor allem auch global – zu engagieren. Von den Herausforderungen der Digitalisierung und Diversifikation der Kommunikationskanäle und den analogen Anforderungen im Stadion sowie Event-Angeboten. Und last but not least von den Spielern. Sie sind ein perfektes Spiegelbild für das, was modernes Fußball-Branding ausmacht. Vom Haarschnitt, über Tattoos, das Outfit, bis zu den Instagram-Followern und Lifestyle-Geschichten der Spielerfrauen. Die Spieler an sich sind Ikonen der heutigen Markengesellschaft und als Marken oft weiter als die Vereine, bei denen sie spielen. Und hier schließt sich auch der Kreis: Denn zukünftige Generationen von Fans – nennen wir sie ruhig Zielgruppen – sind dies ebenso. Für die Kids sind heute vielmehr die Spieler ihre Bezugspunkte zum Fußball und immer weniger die Vereine. Und wenn Neymar von Barca zu PSG wechselt, dann wird eben auch das Fan-Trikot gewechselt. Gut, wenn die Marke des Vereins da dann mithalten kann.

Wie aus einem Fußball-Verein eine Lifestyle-Marke wrid


Wenn der Mix im Marken-Kosmos nicht passt, entsteht ein Gefälle. Zum Beispiel zwischen dem High-end Style des Ausrüsters und dem altbackenen Look der Clubmedien, der dem lokalen Anspruch vielleicht genügt, aber global nicht punkten kann. Heute geht es bei Fußball-Marken aber nicht mehr primär um die regionale Bodenhaftung samt Sponsoren oder um die Fans, die seit 25 Jahren brav ins Stadion gehen – was sie eventuell auch schon gar nicht mehr tun – sondern um viel mehr. Ein Beispiel: die mehr als 100 Jahre alte Tradition im Logo und Markenauftritt von Juventus Turin wurde zugunsten der Zukunft des Clubs als weltweite Sport- und Lifestyle-Marke „geopfert“. Und dies völlig zu Recht. Auch durch zahlreiche Schmähungen von traditionellen Fans hat man sich nicht beirren lassen, denn die Turiner wissen: In Zukunft geht es nicht mehr nur um die Fans, die zum Heimspiel kommen (by the way: der Zuschauerschnitt der Serie A liegt unter dem der zweiten Bundesliga), sondern um das internationale Potential als Marke. Und das ist enorm: Charakterstarke Spieler, die selber Marken sind, Jeep als kernigen Trikot-Sponsor und mit adidas haben sie den Marktführer im Fußball-Equipment an ihrer Seite.

Das neue Logo von Juventus Turin
Das neue Logo von Juventus Turin
© Getty Images

Sie sind eine „Brand of Choice“ im digitalen Fußball-Markt. Und inzwischen auch eine internationale, italienische Lifestyle-Marke. Dass sie dieses Jahr auch noch im Champions League-Finale standen, tut sein Übriges. Und all das nachdem der italienische Rekordmeister noch vor gut zehn Jahren, aufgrund von Korruption, in die zweite Liga strafversetzt wurde. Juventus hat erkannt, was die Fußball-Markenzukunft ist. Und die sieht vor allem gut aus.

Als Marke nur noch in der Kreisliga?


Branding und Design der Vereine und Verbände sehen sich noch viel zu oft in einer Art sozialer Fußball-Romantik gefangen. Aus der Zeit, als der Malocher zum Verein seiner Stadt steht – bis in den Tod. Fragt man heute 10-Jährige, dann spürt man, dass von einer solchen Fan-Treue in Zukunft nicht mehr die Rede sein kann. Clubs müssen sich vielmehr die Frage stellen: Wie passe ich mit meinem Image in das Mindset derer, die mich (morgen) gut finden sollen? Vereine sind (mehr oder minder) begehrliche Marken, die entweder den Ton treffen und ihren Fans mit ihrem Style Identität und Emotion vermitteln oder eben nicht. Wenn sie nicht anfangen, sich in ihrem Marketing so zu verhalten wie beispielsweise die Sportartikelhersteller, bei denen die Kids von morgen im Hauptfokus stehen, dann machen sie nicht nur zu wenig aus ihrem Potential – vielmehr besteht die Gefahr, dass sie als Marken bald nur noch in der Kreisliga spielen.

Heinrich Paravicini
© Mutabor

Heinrich Paraviciniist Gründer und Mitinhaber der Hamburger Identity Agentur MUTABOR.

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