Die Einschätzung des Robert-Koch-Institutes ist eindeutig: Die vierte Welle der Coronapandemie hat Deutschland erreicht. Seit Wochen steigt der Anteil an positiven Ergebnissen unter den PCR-Tests in den Laboren an. Bis Mitte August stiegen sie von vier auf sechs Prozent an – die Grundlage dieser Daten sind rund eine halbe Million Tests, die in fast 200 Laboren ausgewertet werden. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt inzwischen wieder bei 56. Regional sind die Werte hingegen sehr unterschiedlich. Zurzeit liegt NRW mit einer Inzidenz von 103 Infektionen pro 100.000 Einwohnern an der Spitze.
Der momentane Anstieg der Infektionszahlen wirkt wie ein Echo aus dem vergangenen Jahr. Auch 2020 sind die Fallzahlen im Herbst erneut angestiegen – nach einem verhältnismäßig ruhigen Sommer mit nur wenigen größeren, regionalen Ausbrüchen. Doch in diesem Jahr geht es früher los. Der Grund dafür ist vor allem die Delta-Variante, die weitaus infektiöser ist als das ursprüngliche Coronavirus, das 2020 kursierte. Zudem hatte das Virus inzwischen mehr Zeit, sich in der Bevölkerung zu verteilen, dadurch ist das Infektionsgeschehen diffuser als noch im vergangenen Sommer.
Spätestes mit dem Erscheinen der Delta-Variante wurde immer klarer, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Und das heißt auch, dass eine Politik, die sich im Wahlkampfmodus befindet, Maßnahmen durchsetzen muss, an die sich eine pandemie-müde Bevölkerung halten soll. Kein Wunder also, dass gerade wieder heftig darüber gestritten wird, was für die kommenden Monate gelten wird. Und für wen – denn neben einer neuen Virusvariante gibt es noch andere erhebliche Unterschiede, die in der aktuellen Lage nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Um der Pandemie in diesem Herbst Herr zu werden, diskutieren Wissenschaftler und Politiker, welche Regeln für Herbst und Winter gelten werden. Dazu müssen sie auch bewerten, wer sich wo infiziert, wer erkrankt und wer wegen des Virus ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Es geht darum, wie und ob ein erneuter harter Lockdown vermieden werden kann, es geht um Regeln fürs Einkaufen, für private Treffen, für den Gang in eine Bar oder ein Restaurant und fürs Büro. Ein Überblick:
Pandemiebekämpfung – ein Zwischenstand:
- Viele Menschen sind bereits geimpft – das verändert alles: Inzwischen sind 59 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig geimpft. 64 Prozent der Menschen haben mindestens eine Dosis erhalten. Schleswig-Holstein liegt mit 69 Prozent Impfquote momentan an der Spitze, Schlusslicht ist Sachsen mit 54 Prozent. Das ist einer der größten Unterschiede im Vergleich zum Vorjahr. Denn jetzt trifft das Virus nicht mehr jeden gleich – ein Umstand, der Folgen für weitere Maßnahmen und Regelungen hat.
- Die meisten Infizierten sind ungeimpft: Klar ist, kein Impfstoff bietet einen hundertprozentigen Schutz vor einer Krankheit. Und leider ist das bei den Corona-Schutzimpfungen nicht anders. Daher gibt es auch für vollständig Geimpfte ein gewisses Risiko, dass sie sich anstecken. Eine Studie des Imperial College of London hat jedoch ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit Corona zu infizieren für Menschen ohne Impfschutz dreimal höher liegt als für Menschen mit Impfschutz.
Das spiegelt auch das Geschehen in den Krankenhäusern wider: Laut RKI sind 94 Prozent der Covid-Patienten auf den Intensivstationen ungeimpft. In der Zeit von Ende Juli bis Mitte August wurden 309 Corona-Patienten in den Intensivstationen deutscher Hospitäler behandelt – nur 17 von ihnen waren vollständig geimpft. Auch außerhalb der Intensivstationen zeigt sich ein ähnliches Bild: 90 Prozent der Patienten auf den normalen Stationen der Kliniken sind ungeimpft.Aktuelle Zahlen aus Bayern zeigen, dass die Inzidenz bei denjenigen, die sich bisher nicht haben impfen lassen zehnmal höher ist als bei denen, die bereits geimpft sind. Die Zahlen zeigen zweierlei: Zum einen, dass es zwar Impfdurchbrüche gibt (bisher rund 13.000 in Deutschland). Sie zeigen aber auch, dass die Impfungen einen effektiven Schutz bieten. Das Virus kann immer noch alle treffen, doch die Pandemie wird in diesem Herbst eher zu einem Problem für Menschen, die sich nicht haben impfen lassen.
- Zahl der Impfdurchbrüche steigt: Man muss die Zahlen, die das RKI momentan erhebt, auch mit einer gewissen Vorsicht genießen. Das Institut zieht seine Schlüsse aus Stichproben, die es in den Kliniken durchführt. Deren Aussagekraft ist aber wegen der immer noch relativ niedrigen Hospitalisierungs-Zahlen relativ dünn. Eine Tendenz zeigen sie aber dennoch.Unter dem großen Trend, dass sich die Pandemie gerade in Richtung der Ungeimpften verschiebt, verbirgt sich noch ein anderer Trend: Die Zahl der Impfdurchbrüche steigt. Impfdurchbrüche sind Corona-Infektionen bei vollständig geimpften Menschen. Der Schutz, den die Impfstoffe gegen das ursrüngliche Coronavirus bieten, schwankt zwischen 65 Prozent (Johnson & Johnson) und bis zu 95 Prozent (Biontech/Pfizer) Wirksamkeit. Dass die Zahl der Durchbrüche steigt, ist eine Frage der Statistik.
Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr gibt es, die sich trotz Impfung infizieren können. Aber auch in dieser Gruppe gilt: Die Hospitalisierungs- und Todeszahlen bleiben auf einem niedrigen Niveau, wenn die Impfquoten hoch sind. Die meisten Impfdurchbrüche verlaufen glimpflich.
Bei den Impfdurchbrüchen sind hauptsächlich die Gruppen betroffen, die auch ohne Impfungen ein hohes Risiko tragen. Zahlen aus Israel lassen vermuten, dass das meistens ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen trifft. Doch: Die Dunkelziffer der Impfdurchbrüche liegt wahrscheinlich höher, da viele Infektionen ohne Symptome verlaufen und daher nicht registriert werden.
- Jüngere Menschen zunehmend mit Delta-Variante infiziert: Immer häufiger infizieren sich Menschen, die zwischen 10 und 49 Jahre alt sind. „Damit zeigt sich nun deutlich der Beginn der vierten Welle, die insbesondere durch Infektionen innerhalb der jungen erwachsenen Bevölkerung an Fahrt aufnimmt“, schreibt das RKI in seinem Bericht zur aktuellen Lage. Viele stecken sich auch im Urlaub – zum Beispiel auf dem Balkan, in der Türkei oder in Spanien – an. In Kalenderwoche 32 lag die Inzidenz bei den 20- bis 24-Jährigen bei weit über 80.Das kann zum einen daran liegen, dass die Delta-Variante im Vergleich zum ursprünglichen Virustyp auch vermehrt junge Leute betrifft und dass sie infektiöser ist. Das liegt aber auch daran, dass viele junge Menschen bisher noch ungeimpft sind. Die Ständige Impfkommission hat ihre Empfehlung zur Impfung der 12- bis 18-Jährigen erst in der vergangenen Woche ausgesprochen. Bis diese Altersgruppe geimpft ist, wird es noch etwas dauern.
1. Worauf sich Ungeimpfte sich jetzt einstellen müssen:
Seit heute gilt bundesweit die 3G-Regel. Das heißt, wer sich in öffentlich zugänglichen Innenräumen trifft, muss geimpft, genesen oder getestet sein. Bei der Regel handelt es sich quasi um die Nachfolgeregelung der Bundesnotbremse. Die Testpflicht für Ungeimpfte gilt für Besuche in Restaurants, Kinos, beim Frisör oder anderen körpernahen Dienstleistungen, sowie in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Auch Hotelübernachtungen sind nur geimpft, genesen oder mit Test möglich. Die Regeln gelten unabhängig von der Inzidenz. Sie sollen einen erneuten harten Lockdown verhindern, der vor allem die Wirtschaft besonders hart treffen würde.
Das Bundesgesundheitsministerium hat die 3G-Regel in eine Multikomponentenstrategie eingebettet: Also in eine Mischung aus den bekannten Hygiene-, Abstands-, und Quarantäneregeln. Die Rede ist auch von Testkonzepten in Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeheimen. Wer weder vollständig geimpft ist und keine Corona-Infektion durchgemacht hat, braucht einen aktuellen, negativen Antigen-Schnelltest, der nicht älter ist als 24 Stunden, oder einen negativen PCR-Test, der nicht älter ist als 48 Stunden. Doch auch bei den Tests wird es Änderungen geben. Sie werden für Ungeimpfte ab dem 11. Oktober kostenpflichtig sein. Jedenfalls für die, die sich bis dahin hätten impfen lassen können.
2. Erwartet uns durch die Delta-Variante wieder ein harter Lockdown?
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schließt einen erneuten harten Lockdown im Herbst und Winter dieses Jahres aus. „Wir werden auf keinen Fall wieder einen harten Lockdown haben“, sagte er in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „Watson“. Trotzdem warnte er vor einem harten Herbst. Um sicher durch die kalte Jahreszeit zu kommen, sei vor allem eine hohe Impfquote wichtig. Vollständige Normalität werde es erst geben, wenn noch deutlich mehr Menschen geimpft sind, so der Gesundheitsexperte. Dass die Tests ab dem 11. Oktober kostenpflichtig sein werden, könnte, so Lauterbach, einen positiven Effekt auf die Impfquote haben. Kritiker entgegnen, dass ab dann der Geldbeutel über eine gesellschaftliche Teilhabe entscheide.
3. Trotz Delta-Variante ungeimpft ins Büro – geht das?
Gastronomen können Ungeimpften den Zugang verweigern. Auch Kino- oder Hotelbetreiber können selbst entscheiden, ob sie Ungeimpften ihre Dienstleistung weiterhin anbieten – oder eben nicht. Sie üben das Hausrecht über ihre Einrichtungen aus und dürfen Leuten den Zutritt verweigern. Für Unternehmen, die Dienstleistungen des täglichen Bedarfs anbieten, sieht das anders aus. Sie könnten dazu verpflichtet sein, ihre Angebote auch weiterhin Ungeimpften anzubieten. Ähnliches gilt fürs Büro. Gesundheit ist in Deutschland Privatsache. Trotzdem haben Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern – und gegebenenfalls auch eine Schutzpflicht ihren Kunden gegenüber.
Arbeitsrechtler streiten darüber, ob sich daraus ein berechtigtes Interesse ergibt, dass Arbeitgeber den Impfstatus eines Arbeitnehmers erfahren müssen, oder ob das Geheimhaltungsinteresse höher ist. Bisher dürfen Arbeitgeber Ungeimpfte nicht des Büros verweisen. Aber: Sie dürfen ihnen Tätigkeiten zukommen lassen, die weniger Kontakt mit Kollegen oder Kunden erfordern.
4. Gilt weiterhin die Maskenpflicht?
5. Wird es eine Impfpflicht geben?
Eine vom Staat angeordnete, unmittelbare Impfpflicht wird es wohl nicht geben. Das ist verfassungsrechtlich schwierig, eine solche Pflicht stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte da. Realistisch wäre hingegen eine mittelbare Impfpflicht: Ungeimpfte könnten von weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen werden, es könnte auch Lockdowns für Ungeimpfte geben, ihnen kann der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt werden, sie könnten an der Ausübung bestimmter Berufe gehindert werden.
Natürlich ist auch das juristisch schwierig, da es einen Eingriff in die Grundrechte darstellen würde. Solange solche Maßnahmen aber mit dem Infektionsschutz zu begründen sind und einen legitimen Zwecke verfolgen, könnten sie durchgesetzt werden.
6. Wie wahrscheinlich ist eine dritte Impfung?
Der Schutz durch die Corona-Impfung hält nicht ewig, er nimmt mit der Zeit ab. In den USA gibt es sie daher schon: die Booster-Impfung. Und auch in Deutschland wird Menschen in den Risikogruppen bereits eine dritte Impfung angeboten, wenn die letzte Impfung bereits mehr als sechs Monate zurückliegt. Seit Mitte August wird daher bereits in Alten- und Pflegeheimen erneut geimpft.
In den USA und in Israel, wo bereits früh viele Menschen geimpft worden sind, zeichnet sich nun ab, dass die Infektionen unter denen, die schon zwei Spritzen bekommen haben, mit der Zeit wieder zunimmt. Das klingt zuerst nach einem eindeutigen Grund für einen dritte Spritze – ist es aber nicht: Denn es kann sein, dass sich die Menschen im Laufe der Zeit zwar wieder vermehrt infizieren. Ob das aber heißt, dass sie auch erkranken, ist noch unklar.
Klar ist aber, dass geimpfte Infizierte das Virus unbemerkt weitertragen könnten und ähnlich infektiös sein könnten wie Ungeimpfte (auch wenn die Viruslast in der Regel niedriger ist) – so würden sie zu einer Gefahr für diejenigen, die sich bisher noch nicht haben impfen lassen. Das spricht wiederum dafür, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.
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