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Thema Das Gift des Staats in Russlands Banken

Die Rettung der Otkrytie-Bank zeigt: Die russische Führung hat ein Problem geschaffen, das sie kaum noch in den Griff bekommt

Kaum war die russische Privatbank Otkrytie Ende August vor dem Untergang bewahrt worden, hatten die Werber des Instituts nichts besseres zu tun als das Ganze als erfreuliches Ereignis zu verkaufen. Wer die auf Hipster zielende App der Bank namens Rocketbank installiert hat, bekam eine eine fröhliche Nachricht. „Rocketbank ist jetzt noch sicherer geworden!“, hieß es darin. „Sie stehen jetzt unter dem Schutz der Zentralbank :)" Es war der Versuch, die Verstaatlichung einer der größten privaten Banken Russlands zu einem Werbeclaim umzudeuten. Doch der Aufstieg und Niedergang von Otkrytie zeigt, vor welcher Mammutaufgabe die Zentralbank steht, wenn sie im Finanzsektor wirklich aufräumen will. Die Bank kam praktisch aus dem Nichts und wurde innerhalb von drei Jahren zu Russlands größter Bank in Privatbesitz. Dann aber kamen Bedenken wegen ihres Kreditportfolios auf, das Rating wurde herabgestuft und Kunden zogen 30 Prozent der Einlagen ab. „Wer eine systemische Bedeutung hat, ist nicht automatisch sicher vor allen Problemen“, sagt Alexander Danilow, Analyst bei der Ratingagentur Fitch.

Dubiose Aktiva


Seit ihrem Amtsantritt hat Notenbankchefin Elvira Nabiullina mehr als 300 Banken dicht gemacht. Die meisten von ihnen waren kleine Institute, die Löcher in ihren Bilanzen mit illegalen Tricks gestopft hatten. Der spektakuläre Absturz von Otkrytie allerdings zeigt, dass die Probleme des russischen Finanzsektors noch deutlich tiefere Wurzeln haben. Zentralbank-Vize Dmitri Tulin sagte nach der Rettung, die Bank habe das Ausmaß ihrer Eigenkapitalaustattung „deutlich übertrieben“ dargestellt. Nun haben die Behörden drei Monate um festzustellen, ob es eine Lücke in der Bilanz gibt und wie groß sie ist. Gleich drei staatliche Banker deuteten an, das endgültige Rettungspaket könne mehr kosten als die 14 Mrd. Dollar, die 2011 für die Bank of Moscow aufgewendet werden mussten. „Sehen Sie sich die Bilanz an“, sagt ein Banker. „10 bis 20 Prozent sind normale Banken-Aktiva. Und der Rest besteht aus all diesen dubiosen Finanzinstrumenten, mit denen man nichts zu tun haben möchte.“ Die Zentralbank übernahm Garantien für Privat- und Unternehmenseinlagen sowie alle Otkrytie-Anleihen außer nachgeordneten Verbindlichkeiten. Es half, um die erste Nervosität einzudämmen. Nach Ansicht von Analysten kann zumindest eine Flucht der Anleger verhindert und eine Ansteckung anderer Institute vermieden werden.

Gepäppelt von der Zentralbank


Nun aber fragen sich viele in der Branche, ob die Zentralbank in der Lage ist ein Problem in den Griff zu bekommen, zu dem sie selbst beigetragen hat. „In den vergangenen Jahren sind private Finanzinstitute entstanden, die nur groß werden konnten, weil die Regulierungsbehörden sie nicht kontrollieren konnten“, sagt Oleg Tinkow, dessen Tinkoff-Bank ein Konkurrent von Otkrytie ist. „Wenn Privatunternehmen auftauchen, die 3000, 2000 oder 1000 Milliarden Rubel an Aktiva haben, dann weiß niemand, woher das Geld kommt.“ Die Karriere von Vadim Beljajew, dem verschwiegenen Gründer von Otkrytie, dümpelte lange in den Niederungen der russischen Finanzwelt dahin. Dann aber, so erzählen es Leute aus seinem Umfeld, hatte Beljajew eine Idee: Warum sollte er sich jahrelang abplagen, um eine Großbank aus dem Nichts aufzubauen – wenn das doch mit Hilfe billiger Staatsgelder viel rascher gehen könnte?

Vadim Beljaew
Vadim Beljaew
© dpa


Als Otkrytie in den früher 10er-Jahren ihr Geschäft ausgressiv ausbaute, entdeckte Beljajew zwei Quellen der Finanzierung. Die VTB, Russlands zweitgrößte Staatsbank, und die Zentralbank. Die VTB finanzierte den Kauf der Nomos-Bank im Jahr 2012, einer der zehn größten Banken des Landes. Es gab Zeiten, da über die Hälfte der Aktiva von Otkrytie als Sicherheit bei der VTB lagen. Außerdem nahm Otkrytie regelmäßig am „Finanz-Rehabilitierungsprogramm“ der Zentralbank teil und bekam damit Zugang zu sehr günstigen Krediten für angeschlagene Geldgeber, die auf zehn Jahre ausgeschrieben waren. Da dieses System kaum reguliert war, habe Otkrytie deutlich mehr Geld bekommen als sie eigentlich brauchte und habe so die Differenz für sich nutzen können, sagen Leute, die Beljajew nahe stehen. Otkrytie weist diese Darstellung zurück.

Teil der Russland AG


Im Jahr 2014 gelang es Otkrytie, die schon damals Russlands größte Privatbank war, über Nacht ihre Aktiva zu verdoppeln. Der Grund: Die Bank hatte sich an einer von der VTB organisierten Rückkaufvereinbarung beteiligt, durch die die Russland-Sanktionen des Westens umgangen und der russische Ölriese Rosneft mit frischem Geld versorgt werden sollte. Der gleiche Mechanismus kam anschließend noch einmal zum Einsatz, als Otkrytie 74 Prozent der von Russland begebenen Eurobonds für 2030 kaufte und mit der Zinsdifferenz Milliarden von Rubeln verdiente. Noch dubioser war ein Deal, bei dem Otkrytie sich an der Rettung der Trust Bank beteiligte, eines anderen angeschlagenen Finanzinstituts. Otkrytie bekam dafür 127 Mrd. Rubel vom Staat. Die Trust-Bank zahlte 82 Mrd. Rubel davon umgehend zurück. Ein Vorgang, der Beljajew den Vorwurf eintrug, er habe nur seine eigenen Schwierigkeiten überdecken wollen. Dieser Verdacht erstreckte sich bald auf alle Deals der Otkrytie mit der russischen Zentralbank. „Wenn es nicht diese Überschüsse gegeben hätte, hätte die Zentralbank schon längst rettend eingreifen müssen“, sagt ein staatlicher Banker. Trotz alledem schien der Zustand der Otkrytie Beljajew nur wenig Sorgen zu bereiten. 2015 zog sich der Gründer aus dem täglichen Geschäft zurück und konzentrierte sich auf komplizierte Private Equity-Deals. „Diese Leute halten sich wirklich für Visionäre“, heißt es aus dem Umfeld Beljajews. Als Beljajew dann Anfang August zurückkehrte, hatte Otkrytie umgerechnet 5,6 Mrd. Dollar Schulden bei der Zentralbank, mit denen eine Flucht der Bankkunden verhindert werden sollte. Der Umgang mit Otkrytie bestätigt einen langen Trend. Nachdem die Versicherung Rosgosstrach und zwei der zehn größten Pensionsfonds verstaatlicht worden warn, steigt der Staatsanteil im Finanzsektor auf etwa 60 Prozent. „Die Zentralbank macht die Risiken bei Otkrytie zu staatlichen Risiken“, sagt Michail Schlemow, Analyst bei der UBS. „Jetzt nähert sich der Staatsanteil im Bankensektor dem im Rest der Wirtschaft. Und da sind wir schon bei 70 Prozent.“ Copyright: The Financial Times Limited 2017

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