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Bundestagswahl Das Dilemma des Friedrich Merz

Friedrich Merz steht am Rednerpult des Bundestags und zeigt auf Olaf Scholz
Abteilung Attacke: Friedrich Merz rechnete in dieser Woche mit Kanzler Olaf Scholz ab
© Emmanuele Contini/NurPhoto / Picture Alliance
CDU-Chef Friedrich Merz startet zwar als Kanlzer-Favorit in den Wahlkampf. Doch er hat auch ein Problem: Bis zur Wahl wird er Kompromisse mit Olaf Scholz eingehen und harte Positionen aufgeben müssen

Zugegeben, die Chancen standen von vornherein nicht schlecht, dass sich in dieser Woche die Verhältnisse sortieren würden. Denn noch chaotischer als in den ersten Novembertagen konnte es ja kaum werden. Aber man ist ja bescheiden geworden, insofern darf man sich jetzt schon darüber freuen, wenn wir zehn Tage nach dem Bruch der Ampelkoalition etwas klarer sehen.

Gewählt wird nun aller Voraussicht nach am 23. Februar 2025, dieses Datum liegt ziemlich genau zwischen der ersten Idee von Olaf Scholz und dem ersten Vorschlag von Friedrich Merz. Nach dem aufgeregten und ziemlich absurden Streit über Termine, Papiervorräte und die Kapazitäten bei Druckereien ist das schon mal ein echter Fortschritt. Und angesichts der, sagen wir mal, ungewöhnlichen ersten Personalentscheidungen, die Donald Trump in den USA diese Woche getroffen hat, ist es auch ganz beruhigend, wenn sich die Fraktionsspitzen im Deutschen Bundestag noch halbwegs zivilisiert auf einen Fahrplan zur nächsten Bundestagswahl einigen können.

Auch darüber hinaus haben sich einige Dinge geklärt. In den kommenden Wochen bis zur Wahl werden wir einen Vorgeschmack auf das bekommen, was uns nach der Wahl erwartet: eine ziemlich große Koalition. SPD, Grüne, FDP und Union (plus auch noch das BSW von Sahra Wagenknecht) verabschiedeten zwei kleinere Gesetze, die schon länger vereinbart waren. Zudem deutete sich eine Einigung beim sogenannten Deutschlandticket für den öffentlichen Nahverkehr an, das damit auch im kommenden Jahr gesichert sein dürfte. Das ist insofern bemerkenswert, weil einige in der Union – allen voran Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CSU – zuvor ein Ende des Tickets gefordert hatten. Weitere Kompromisse dürften folgen, etwa für Entlastungen der Steuerzahler und der Unternehmen.

Wollt Ihr lieber Merz – oder doch noch mal Scholz? 

Damit zeichnet sich aber auch ab, dass ein wichtiger Teil des Kalküls von Noch-Kanzler Olaf Scholz und seiner SPD durchaus aufgehen könnte: aus der Regierung heraus den Druck vor allem auf die Union und ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hochzuhalten, trotz Wahlkampf-Getöse immer wieder Kompromisse mit der SPD machen zu müssen. Oder aber zu riskieren, dass die Union der SPD immer wieder Steilvorlagen für ihre Kampagne liefert. So komfortabel die Ausgangslage für Friedrich Merz gut drei Monate vor dem Wahltermin auch erscheint, in diesem Punkt steckt er in einer Zwickmühle: Egal, wie er sich entscheidet und in welche Ecke des Spielfelds er auch zieht, er verliert fast immer einen Stein. 

Zwar gibt es noch eine kleine Rest-Wahrscheinlichkeit, dass die SPD Olaf Scholz noch den Laufpass für den Wahlkampf gibt, doch ansonsten scheint die Konstellation für die kommenden drei Monate ziemlich klar: Beide großen Lager legen es auf eine starke Polarisierung an, es wird allein um die eine Frage gehen: Wollt Ihr lieber Merz – oder doch noch mal Scholz? Und die absehbare Koalition dahinter wird aller Wahrscheinlichkeit nach immer die gleiche sein: Union und SPD. Jedes andere Bündnis kommt bisher nicht auf genügend Stimmen (Schwarz-Gelb) oder erscheint als ebenso konfliktbehaftet wie die gerade gescheiterte Ampel (Schwarz-Grün).

Für Merz persönlich offenbart sich darüber hinaus eine Herausforderung, die außer ihm und seinem allerengsten Umfeld alle anderen schon lange haben kommen sehen: Statt gleich loszulaufen muss er lernen, lieber intern noch mal eine Runde mehr zu drehen und alle Optionen und Folgen zu bedenken.

Der Streit um den Wahltermin war dafür recht bezeichnend. Merz wollte verständlicherweise eine möglichst schnelle Wahl, machte dabei aber nicht die Rechnung mit seinen eigenen Landes- und Kreisverbänden. Das Hin und Her ums Deutschlandticket war ein zweites Beispiel. Es ist ein häufiges Muster: Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann wollen schnell und entschlossen rüberkommen, mutig, und, wenn nötig auch bereit zu harten Entscheidungen. Sie wollen sich abgrenzen von Angela Merkel und Olaf Scholz, die langes Tarnen, Taktieren und Abwarten zur obersten Maxime ihrer Kanzlerschaft erhoben haben – auch um den Preis, dass alle anderen Beteiligten inklusive des Wahlvolks einigermaßen orientierungslos zurückblieben.

Doch Forderungen und Positionen, die nicht durchdacht sind und später wieder eingesammelt werden müssen, nutzen niemandem. Eher schaden sie sogar, vor allem einem selbst. Im Falle von Merz deuten sich die nächsten Positionswechsel bereits an: Sein ewiges Nein zu einer Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz hat er in dieser Woche kassiert – ein Kurswechsel, der zwar richtig ist und lange überfällig war, in den eigenen Reihen aber umgehend für Irritationen sorgte.

Merz bewegt sich

Gut möglich, dass Merz in den kommenden Wochen auch andere schmissige Forderungen aus seiner Zeit als Oppositionsführer revidieren wird: etwa die nach deutlichen Kürzungen für Bezieher des Bürgergelds. Hier kursierten in den vergangenen Monaten immer wieder Ideen für radikale Reformen, die für viele populär klingen – etwa jene, allen arbeitsfähigen Bürgergeldempfängern die Unterstützung komplett zu streichen, wenn sie ein Jobangebot ausschlagen. Von bis zu 1,7 Millionen Jobverweigerern und bis zu 30 Mrd. Euro an möglichen Einsparungen war zeitweise die Rede. Inzwischen klingt das alles sehr viel bescheidener: Der Name „Bürgergeld“ soll weg, ansonsten soll sich aber wohl wenig ändern. 

Auch in der Außenpolitik trat Merz bisher gerne offensiv auf, etwa mit seiner Forderung, deutsche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Auch diese Position klingt in weiten Teilen der Bevölkerung populär. Es wäre eine Maßnahme, die Olaf Scholz bis heute strikt ablehnt, da er mit diesem Schritt eine Eskalation des Kriegs fürchtet. Ob an dieser Sorge etwas dran ist, ist von außen schwer zu beurteilen. Allerdings fällt auf, dass die Amerikaner diese Entscheidung nicht wirklich infrage stellen und bei ihren weitreichenden Waffen ebenfalls klare Reichweitenlimits für die Ukrainer festlegen. Es wäre nicht völlig überraschend, wenn Merz auch hier in den kommenden Wochen etwas bescheidener auftritt.

Die nächsten Wochen werden spannend, keine Frage – das tut gut nach zwei Jahren des mühsamen Klein-Kleins und zuletzt sogar Stillstands. Aber wenn es bei den aktuellen Verhältnissen bleibt, wird der ganz große Politik- und Richtungswechsel, von dem zumindest die Oberstrategen bei CDU und CSU in diesen Tagen so gerne schwärmen, das bleiben, was er schon in der Vergangenheit oft war: Wunschdenken.

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