Ein paar Blutstropfen aus der Fingerkuppe reichen. Meist sind es Kunden, die wissen wollen, ob sie eine stumme Infektion hinter sich haben, sagt die Angestellte eines Corona-Testzentrums im Herzen von Berlin. Das tun wohl in der Annahme, sich dann auch ohne Impfung vor einer Neuerkrankung geschützt zu fühlen. Sie würde im Zweifel in jedem Fall aber zur Spritze raten, fügt sie hinzu. Denn ohnehin könne der Schnelltest nur auflösen, ob Antikörper existieren, jedoch nichts über die Stärke einer Immunantwort verraten.
Für so wenig Gewissheit scheinen 59,90 Euro ein stolzer Preis. Ob in Berlin oder im Bergischen Land: Wo Drive-Ins oder private Zentren kostenlose Bürger-Antigen- und PCR-Tests auf Covid-19 anbieten, poppt zunehmend das neue Angebot auf. Da jüngere wissenschaftliche Studien nahelegen, dass mehr Infektionen unbemerkt bleiben, als bislang angenommen, steigt offenbar der Wunsch, den eigenen Immunstatus zu kennen. „Es werden derzeit jede Woche über hunderttausend Antikörpertests im Land durchgeführt“, sagt der Vizevorstand im Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH), Thorsten Hilbich.
Erst waren die Testzentren wie Pilze aus der Erde geschossen, nun verschwinden Warteschlangen und auch mancher Anbieter. Mit Ausnahme von Rückkehrern aus Hochinzidenz- und Hochrisikoländern sind Reisende mit Impfnachweis mittlerweile von der Testpflicht entbunden. Sie gilt in den meisten Bundesländern vorwiegend noch für das Einchecken in Ferienhotels, bei manch körpernahen Dienstleistungen, oder zum Einlass in die Innengastronomie. Nicht verwunderlich also, dass Tester und Labore auf neue Geldquellen schielen.
Testungen rückläufig
Die Testindustrie hat im vergangenen Jahr Rekordergebnisse erzielt. Vor allem wegen des enormen Volumens an Infektionstests in der Corona-Pandemie meldete der Verband VDGH 2020 ein Umsatzwachstum um mehr als 500 Mio. Euro auf 2,7 Mrd. Euro.
Die größte Dynamik herrschte im vierten Quartal bis hinein ins Frühjahr 2021. Blickt man aber heute als Richtwert auf die Kurve der vom RKI wöchentlich erfassten Testzahlen, so gehen PCR-Tests seit Mai kontinuierlich zurück: von Anfang 2021 mehr als 1 Million auf zuletzt unter 700.000 Mitte Juli – und das bei einer Laborkapazität von mehr als zwei Millionen.
Wenn die Branche also Hoffnungen darauf gesetzt hat, dass das digitale Covid-Zertifikat der EU auch positive Antikörpertests als Nachweis einer Immunisierung oder Genesung anerkennen würde, dann hat sich das zerschlagen. Wohl hatte sich das Europaparlament dafür eingesetzt, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der EVP, Peter Liese. Dies sei aber am Widerstand der EU-Kommission und aus Berlin gescheitert. Gemeinsam mit dem Politiker appelliert der Diagnostica-Verband nun an die Bundesregierung, die nationale Teststrategie für einen breiteren Einsatz von Antikörpertests zu öffnen.
Zweifel an Aussagekraft
Denn im deutschen Pandemiemanagement haben sie bislang keinen Platz – und das dürfte so bleiben. Auf Nachfrage winkt das Ministerium von Jens Spahn zumindest ab. „Ein Antikörpernachweis wird nicht als ausreichender Nachweis für eine überstandene Covid-19-Erkrankung erachtet“, heißt es da. Nur ein positiver PCR-Test gilt dafür. Zum einen seien Antikörper nicht immer wirksam, zum anderen lasse selbst ihre Menge keinen sicheren Rückschluss auf den Schutz vor einer Infektion zu. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigte der FAZ , „ein serologischer Nachweis Sars-CoV-2-spezifischer Antikörper“ lasse „keine eindeutige Aussage zur Infektiosität oder zum Immunstatus zu“.
Solange Spahn und RKI den Daumen senken, bleibt eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen wie für Bürgertests ein frommer Wunsch. Jedoch plädiert Verbandsvize Thorsten Hilbich dafür, die Impfstrategie um die sinnvolle Komponente einer Nachverfolgung zu ergänzen. Zu sehr schauten Regierung und RKI rein statistisch auf das Ziel der Herdenimmunität. Vor allem durch eine systematische Überwachung und Testung sogenannter vulnerabler Gruppen, zum Beispiel Bewohner in Altenheimen, könne wertvolles Wissen über den Verlauf individueller Immunantworten gewonnen werden. Dafür sollten Antikörpertests in die medizinische Versorgung eingereiht werden.
Teststrategie ändern?
Den Wert qualitativ hochwertiger Labortests auf den Grad der Immunisierung – dann aufwändiger, mit regulärer Blutabnahme beim Hausarzt – sieht Hilbich aber auch darin, nicht ohne Not die ganze Bevölkerung einfach gegen Corona nachzuimpfen. Der Impfstoffhersteller Biontech etwa empfiehlt bereits vorsorglich eine dritte „Booster-Impfung“.
Wohl gebe bislang keine epidemiologische Studie saubere Auskunft, ab welchem Antikörper-Level eine Person noch geschützt sei, so Hilbich. Aber statt blind „draufzuimpfen“, könne es kostengünstiger sein, davor mit medizinischer Indikation etwa elf Euro Laborkosten für einen Antikörpertest zu investieren – zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen.
Denn um sicher sagen zu können, ob das Immunsystem das Coronavirus (durch Spike-Antigene) daran hindert, in den Körperzellen anzudocken, sind hochwertigere Neutralisierungstests im Labor erforderlich, die auch quantitative Informationen über den Schutzstatus anzeigen. Die in Teststationen angebotenen Schnelltests mit einem Pikser verraten eben höchstens, ob der Körper das Virus schon einmal gesehen hat. Der freie Markt bleibt – außerhalb des öffentlichen Gesundheitsmanagements – bis auf Mindestanforderungen der Weltgesundheitsorganisation und die Listung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unreglementiert.
Dennoch scheint die Spekulation mancher Testbetriebe auf die Neugier oder auf eine offenbar weit verbreitete Unsicherheit über den individuellen Immunstatus aufzugehen. Manche Gesundheitsexperten sehen das neue Testangebot daher auch eher als Geldschneiderei. Die Betreiber der Teststation in Berlin haben den Antikörpertest schon seit vergangenem Jahr im Angebot – und zwar unter ärztlicher Aufsicht, wie der Gründer von WeCare Services, Leon Roewer, betont. Wo Blut im Spiel ist, wahrt einer der ersten und größten Anbieter in Berlin strenge Hygienestandards. Auch Roewer beobachtet, dass viele Menschen nach der Corona-Impfung prüfen wollen, ob sie Antikörper entwickeln. Gerade für die jüngeren Teststationen sei das sicher ein willkommenes zweites Standbein.
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