50 Mitarbeiter hatte Liu Xiong vor dem chinesischen Neujahr. Jetzt sind es gerade noch zwölf. Die Küche, erzählt der 46-jährige Restaurant-Manager, laufe mit fünf Mann auf Notbetrieb. Ab und zu kämen ein paar Leute zum Abendessen, auch der Lieferdienst laufe schlecht. „Die Stimmung ist mies“, erzählt er. „Aber richtig problematisch ist es für den Besitzer. Der hat ja jeden Monat hunderttausende Renminbi an Kosten.“
Nach zwei Monaten Stillstand stehen viele Chinesen vor den Trümmern ihrer Existenz. Die 25-jährige Rong versucht gerade ihre Mitgliedschaft in einem Pekinger Fitnessclub auf „Idle Fish“, einer App für Second-Hand-Produkte und Dienstleistungen, zu verkaufen. „Nach zwei Monaten Corona habe ich meinen Job in der Veranstaltungsbranche verloren“, erzählt sie. „Meine Firma gibt es nicht mehr. Jetzt gehe ich zurück in mein Heimatdorf in der Provinz.“
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Die Führung verbreitet Optimismus
Derweilen versucht die chinesische Führung gerade eine optimistische Botschaft in die Welt zu senden. Es regnete, als Xi Jinping am Sonntag den Chuanshan-Hafen bei der Stadt Ningbo, 200 Kilometer südlich von Schanghai besuchte. Zur mittlerweile obligatorischen Atemschutzmaske kam ein Regenschirm als Accessoire hinzu. Der Hafen zählt zu einem der größten weltweit. 2019 wurden 1,12 Milliarden Tonnen Fracht abgefertigt. Die Provinz Zhejiang ist eine der wirtschaftsstärksten Chinas.
Es hatte also einen Grund, weshalb Xi sich diesen Ort aussuchte. Die Botschaft: Chinas Wirtschaft läuft wieder, das Virus ist besiegt und wird höchstens noch von Ausländern ins Land gebracht. Vergangenen Freitag schloss China deswegen die Grenzen für alle Nicht-Chinesen (was den ausländischen Unternehmen im Land hart zusetzt). Das chinesische Staatsfernsehen kommentierte Xis Besuch mit den Worten: „Dies ist ein klares Signal, die Stabilität der globalen Lieferketten aufrechtzuerhalten.“ Die Realität aber sieht anders aus.
Denn es zeichnet sich immer mehr ab: Gerade Chinas Exportindustrie wird durch die Corona-Krise schwer geschädigt. Zunächst befand sich das Problem auf der Angebotsseite: Mehrere Wochen stand das Land still, Fabriken waren geschlossen, Arbeiter blieben zu Hause. Doch mit der Verlagerung der Pandemie nach Europa und in die USA kommt nun auch noch ein Nachfrage-Schock. Am Donnerstag veröffentlichte die Außenhandelskammer in Schanghai eine Umfrage unter ihren Mitgliedern. Demnach vermelden gerade einmal 57 Prozent der deutschen Unternehmen in China, dass sie zur normalen Produktionskapazität zurückgekehrt sind. Knapp über die Hälfte aber klagten über Probleme in der Nachfrage, nur bei 17 Prozent sei die Nachfrage auf Vorkrisenniveau.
Es gibt auch eine Nachfragekrise
Chinesische Kader sind in marxistischer Ideologie geschult und richten deswegen ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf die Angebotsseite: Hauptsache es wird produziert. Dabei droht Peking, Probleme auf der Nachfrageseite nicht ernst genug zu nehmen. Das Problem ist nicht nur die Krise in Europa, sondern auch die Binnennachfrage in China selbst.
Allein im Februar stiegen fällige Kreditkartenschulden um 50 Prozent. Qudian, ein Online-Geldverleih, berichtet, dass im Februar 20 Prozent der Kredite nicht zurückgezahlt wurden. Rund acht Millionen Menschen haben im Februar ihren Job verloren. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Denn noch immer sind Millionen von Wanderarbeitern nicht an ihre Arbeitsplätze an der Ostküste zurückgekehrt. In der Statistik tauchen sie nicht auf.
Vielen kleineren Unternehmen und Privatleuten drohen jetzt, ihre Schulden über den Kopf zu wachsen. Auch für Restaurant-Manager Liu in Schanghai ist die Lage nicht einfach. „Mein Einkommen wurde halbiert, jetzt bekomme ich noch gerade 5000 Yuan (ca. 640 Euro) - meine Kreditkarten-Rechnung lag im letzten Monat bei 8000 Yuan (ca. 1050 Euro).“ Davon kann er die Raten für seine Eigentumswohnung bezahlen, ansonsten aber muss er auf seine Ersparnisse zurückgreifen. So wie Liu geht es gerade vielen. Konsumlaune sieht anders aus.
Haushalte sind hoch verschuldet
Die Verschuldung der chinesischen Konsumenten hat in den vergangenen Jahren rapide zugenommen. Eine eigene Immobilie zu besitzen, gehört für die allermeisten Chinesen zur Grundausstattung des erwachsenen Lebens. Und da die Preise für Wohnungen immer weiter stiegen, war das lange ein risikoarmes Investment. Mittlerweile aber liegt die Rate von Schulden zu Einkommen bei 92 Prozent, und damit höher als in Deutschland.
Erleichtert wurde dies durch eine boomende Fintech-Branche. Unternehmen wie Ant Financial, eine Tochter des Megakonzerns Alibaba, haben Millionen von Konsumentenkrediten ausgegeben. Chinesische Haushalte sind mittlerweile mit 55 Billionen Yuan verschuldet, umgerechnet rund 8 Billionen Euro. Immer mehr Ökonomen fordern deswegen jetzt auch in China, nach amerikanischem Vorbild Helikopter-Geld an die ärmeren Bevölkerungsschichten zu verteilen.
Das kann kurzfristig helfen, bis aber die Chinesen wieder in Konsumlaune kommen, dürften noch Monate vergehen. Und sollten die Immobilienpreise nach Jahren des rasanten Anstiegs fallen, dürfte das eine Abwärtsspirale auslösen. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres, gingen die Wohnungs-Verkäufe um 40 Prozent und der Bau neuer Häuser um 45 Prozent zurück.
Und die Deflationsspirale könnte bald die ganze Welt treffen: Kleinunternehmer und Selbstständige verlieren ihren Job. In der Folge können Schulden können nicht mehr bedient werden.
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