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Corona-Krise China – ein zweifelhaftes Vorbild

Wuhan war wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten, jetzt werden im Hafen wieder Container verladen
Wuhan war wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten, jetzt werden im Hafen wieder Container verladen
© IMAGO / Xinhua
China hat hart gegen die Ausbreitung des Coronavirus durchgegriffen und wähnt sich nun als Vorbild. Trotz aller Kritik aus dem Westen, China dürfte den Vorsprung in der Pandemie-Bekämpfung und der wirtschaftlichen Erholung sogar noch ausbauen

Stefan Albrecht kennt sich in China aus. 15 Jahre hat der Co-Geschäftsführer des chinesisch-deutschen Research-Hauses Qilin für die Unternehmensberatung McKinsey in China gearbeitet. 2002 und 2003 hat er die Sars-Krise miterlebt. Albrecht erinnert sich an eine Reise damals von Peking nach Schanghai. Er habe Glück gehabt, dass er überhaupt ein Hotelzimmer finden konnte, erzählt er. „Dort musste ich dann auch bleiben. Überall wurde Fieber gemessen.“ Öffentliche Veranstaltungen waren tabu, auch Reisen verboten. Eine Erinnerung, die ihn jetzt einholt. Allerdings zu Hause in Deutschland – nach China reisen kann er derzeit ja nicht.

Die Kritik an den drakonischen Maßnahmen der chinesischen Regierung bei der Eindämmung des derzeit grassierenden Sars-Virus Covid 19 war groß: Bürger wurden in ihrem Zuhause eingesperrt und Millionenmetropolen wie Wuhan von der Außenwelt abgeschnitten. Industrieproduktionen, Tourismus und Luftverkehr wurden auf null heruntergefahren. Die Behörden haben 834 Mrd. US-Dollar an geld- und fiskalpolitischen Anreizen und Steuersenkungen bereitgestellt und weitere Staatsausgaben angekündigt. Die Regierungen der demokratischen westlichen Industrienationen schauten entsetzt zu.

Bis das Coronavirus sie zum Umdenken zwang. Nach und nach verhängten sie Ausgangs- und Kontaktsperren – immer in der Kritik, in die Bürgerrechte einzugreifen. So wichtig diese Prozesse in der Demokratie ist: Wirtschaftlich hat das China einen Vorsprung verschaffen, den die Volksrepublik für sich nutzen wird. „Die Erfahrung in China zeigt, dass je früher Regierungen die Übertragungskette durchbrechen, desto geringer sind die Auswirkungen auf die Kapitalmärkte, die Wirtschaftsleistung und die Gesellschaft“, ist Albrecht überzeugt.

Vorsprung durch Erfahrung

Der Vorsprung begründet sich auch durch die Erfahrung aus dem Jahr 2002. „China hat danach Frühwarnsysteme und Projekte aufgebaut, um im Seuchenfall reagieren zu können“, sagt Albrecht. Deshalb konnten in Wuhan schnell Betten für alle Kranken aus dem Boden gestampft werden, deshalb reagierte auch die Notenbank sofort und pumpte 834 Mrd. US-Dollar in Form von Anreizen und Steuersenkungen in die Wirtschaft. Während die Eindämmung 2002 bis in den Sommer des Folgejahres dauerte, benötigte China diesmal lediglich zwölf Wochen, um die Zahl der Neuinfizierten auf ein für das Gesundheitssystem verkraftbares Niveau zu drücken. Das setzt westliche Nationen unter Zugzwang.

Vorsprung durch Wachstum

Nun läuft die Wirtschaft in der Volksrepublik wieder auf 90 Prozent. Zwar ist die Nachfrage der Exportpartner schwach, aber das stört wenig: Nur 20 Prozent der Wirtschaftsleistung ist von Exporten abhängig. Die offiziellen Zahlen zeigen, dass die Wirtschaftsleistung in China in Januar und Februar jeweils zweistellig eingebrochen sind. Aber bereits im März zogen der Autoabsatz sowie die Einkaufsmanagerindizes an – ein Hinweis darauf, dass sich auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verbessert haben dürfte.

Infografik: Corona zwingt die Weltwirtschaft in die Knie | Statista

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Und wenn China zum Wachstum zurückkehrt, dann könnte das Niveau bald das ursprünglich anvisierten 2020-Ziel von sechs Prozent Wachstum erreichen oder – wenn die Binnennachfrage stark bleibt – sogar übersteigen. Zwar ist die Wachstumsprognose für 2020 längst auf einen Wert zwischen 2,7 und 3,8 Prozent eingedampft worden. Aber Europa und die USA würden auch ohne Corona-Krise diese Werte nicht erreichen. Für diese Regionen ist lediglich von Vorteil, dass nach Ende des Shutdowns wenigstens der wichtige Absatzmarkt China brummt.

Vorsprung durch Investitionen

Die Geldschwemme der Regierung floss nicht nur in Notfallkredite für Unternehmen. Das Land investiert damit in das Hochleistungsinternet 5G und Ultrahochspannungsnetze – also in eine hochmoderne Technologie wie sie bislang in Europa und USA nicht anzutreffen ist. Auch an rund 90 Prozent der Infrastrukturprojekte hat China die Arbeit bereits wieder aufgenommen.

Notfallkredite haben viele Unternehmen auch nicht gebraucht. „Asiatische Unternehmen sind deutlich weniger verschuldet als US- oder EU-Firmen“, sagt Min Feng, Investmentspezialistin von der Vermögensverwaltung Nomura. Von den hundert größten Unternehmen in China und Taiwan weisen nur rund 50 Prozent Schulden in der Bilanz aus. In Deutschland sind es 70 Prozent, in den USA 80 Prozent. „Das alles sind gute Gründe dafür, dass sich die asiatischen Märkte auch in den nächsten Monaten besser entwickelt werden, als die Aktienmärkte in Europa und den USA“, so Min Feng.

Der Aktienmarkt hat sich allerdings bereits in der Krise als robuster entpuppt: Der Shanghai Composite ist um maximal 12 Prozent abgestürzt und nicht um 20 bis 40 Prozent wie S&P 500, Dax und Eurostoxx.

Shanghai Composite

source: tradingeconomics.com

Zweifelhaftes Vorbild

Plötzlich ist China in einer ungewohnten wie umstrittenen Vorbildrolle. Die Volksrepublik hilft den betroffenen Ländern, die Produktionen für Schutzbekleidung und Test-Kits laufen auf Hochtouren. Ärzte sind nach Italien geflogen, um das stark gebeutelte Land zu unterstützen. „Die chinesische Regierung hat Stärke im Umgang mit der Krise bewiesen und die Chinesen unterstützen die strengen staatlichen Eingriffe uneingeschränkt“, fasst Albrecht die Stimmung dort zusammen.

Ein Dorn im Auge des Westens und insbesondere der auf Handelskriegspfaden wandelnde USA dürfte aber sein, dass das Land seine Rolle auch zur Propaganda nutzt, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz vergangene Woche bestätigte. Ungeachtet der Tatsache, dass China das Ursprungsland von Covid-19 ist, wirbt es für sein autokratisches System. „China ist jetzt hervorragend positioniert, um den globalen Kampf gegen Covid-19 anzuführen“, meint auch Albrecht. Was seine wirtschaftliche Vormachstellung festigen dürfte.

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