Offiziell hält Siemens am Zeitplan für die Abspaltung der Kraftwerkssparte fest, doch im Aufsichtsrat des Konzerns gibt es Stimmen, die vor den Risiken einer „Hauruckstrategie um jeden Preis“ warnen. Notfalls müsse man den Börsengang im September verschieben, hieß es.

Der scheidende Siemens-Chef Joe Kaeser will den sogenannten Spin-off des 30-Milliarden-Euro-Geschäfts mit Turbinen und Windkraftanlagen am 9. Juli auf einer außerordentlichen Hauptversammlung des Mutterkonzerns festzurren. Laut Aktiengesetz muss die Einladung für ein Aktionärstreffen in diesem Fall bereits Anfang Juni erfolgen. Weil Massenveranstaltungen zu diesem Zeitpunkt jedoch wegen der Corona-Pandemie noch verboten sein dürften, bleibt nur die gesetzlich neu geschaffene Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung. Ein derartiges Internetprojekt sei jedoch „mit erheblichen rechtlichen Risiken behaftet, heißt es im Umfeld des Aufsichtsrats. Bisher gebe es keinerlei Erfahrungen mit virtuellen Hauptversammlungen.
Die „Börsenstory“ für Siemens Energy ist kaum noch zu halten
Das erste Aktionärstreffen dieser Art findet Ende April bei Bayer statt. Schon jetzt bereiten sich Berufskläger jedoch darauf vor, mögliche Formfehler und technische Probleme zu nutzen, um Schadensersatz anzumelden. Kaeser will seine Pläne dennoch durchziehen: Der 62-Jährige übernimmt bei Siemens Energy den Vorsitz im Aufsichtsrat, wenn sich nicht noch in letzter Minute Investoren querlegen, und sichert damit auf Jahre seine Machtposition im Gesamtkonzern ab. In allerletzter Minute setzte Kaeser deshalb auch die Entlassung der beiden Manager durch, die die operative Führung von Siemens Energy übernehmen sollten.
Die Umsätze des Kraftwerksgeschäfts, die schon vor der Corona-Krise schlecht liefen, sind in den letzten Wochen massiv eingebrochen. Die „Börsenstory“ für Siemens Energy lasse sich kaum noch halten, heißt es daher im Umkreis des Aufsichtsrats. Vor allem trübt die Lage der US-Erdölindustrie, die bei den jetzigen Rohstoffpreisen kein Geld mehr verdient, die Geschäftsaussichten. Nun rächt sich der überteuerte Kauf der US-Firma Dresser Rand für 7,8 Mrd. Dollar. Bisher weigert sich der Siemens-Chef, das Geschäft in den USA von Grund auf zu restrukturieren und bilanziell voll zu bereinigen.
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