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Bruttoinlandsprodukt Wohlstand anders messen: Warum BIP-Alternativen schwierig sind

Mitarbeitende montieren die Heckpartie eines Autos im VW Werk Zwickau
Mitarbeitende montieren die Heckpartie eines Autos im VW Werk Zwickau
© picture alliance / Kirchner-Media | Teresa Kröger
Das Bruttoinlandsprodukt allein ist ein schlechter Indikator für den Wohlstand einer Nation. Warum es trotzdem schwer ist, Alternativen zu finden – und Bhutans Bruttonationalglück nicht die richtige Lösung ist

Es ist nichts Neues, dass Politiker nach Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt suchen. Frankreichs ehemaliger Präsident Nicolas Sarkozy sprach schon 2009 von einem „BIP-Fetisch“, das Wirtschaftswachstum mit Lebensqualität verwechsle. Der Bundestag bildete 2010 eine Enquete-Komission aus Mitgliedern aller Parteien bis auf die Linke, die einen neuen Wohlstandsindikator finden sollte. Und nachdem Bhutans Staatschef Lotay Tshering kürzlich Kanzler Scholz besuchte und ihm erzählte, dass er nach dem Bruttonationalglück regiere, scheint nun auch Scholz angetan, eine Alternative zum BIP zu finden.

„Bei der Messung von Wohlstand spielt Bhutan eine Vorreiterrolle“, lobte der SPD-Politiker auf einer gemeinsamen Pressekonferenz das Land von Ministerpräsident Lotay Tshering. „Ich finde es sehr sinnvoll, unseren Wohlstand nicht nur anhand von ökonomischen Größen zu messen, sondern auch nicht-materielle Faktoren einzubeziehen.“ Doch wenn so viele Politiker schon nach Alternativen gesucht haben, wieso ist das BIP dann immer noch so eine bedeutende Messgröße? Und warum erhebt Deutschland nicht einfach das Bruttonationalglück wie Bhutan?

„Ökonomisch ist das BIP spannend“, sagt Michael Kuhn. Er ist Gruppenleiter für die BIP-Berechnung beim Statistischen Bundesamt und damit quasi oberster BIP-Beauftragter Deutschlands. „Es ist wichtig, etwa für die Konjunkturbeobachtung. Es dient auch als Grundlage für Wirtschaftsprognosen, anhand derer zum Beispiel der Staat die Steuereinnahmen schätzen kann“. Auch andere Aspekte seien wichtig. „Aber wenn das BIP als Wohlfahrtsmaß interpretiert wird, dann steuert man falsch“, sagt Kuhn. Das sei den Fachleuten in der Regierung und Ministerien auch bekannt.

Bruttoinlandsprodukt: Wohlstand anders messen: Warum BIP-Alternativen schwierig sind

Trotzdem hat das BIP sich durchgesetzt. Das hat auch historische Gründe. Der US-Senat beauftragte 1932 den Ökonomen Simon Kuznet damit, ein quantitatives Bild der Wirtschaftskrise von 1929-1932 zu erstellen. Zum ersten Mal wusste man dadurch, wie stark die Krise verlaufen war. Das Ergebnis: Das Volkseinkommen war um 50 Prozent eingebrochen.

So wird das BIP berechnet

Von da an avancierte Kuznets Volkseinkommen zur Steuergröße. US-Präsident Franklin D. Roosevelt etwa nutzte das Volkseinkommen schon bald zur Begründung staatlicher Investitionen. John Maynard Keynes führte dann während des zweiten Weltkriegs das BIP ein, um die Fähigkeiten der britischen Kriegswirtschaft einzuschätzen. Die USA machten es bald ebenso und nach dem Krieg mussten Länder, die im Rahmen des amerikanischen Marshallplans Nachkriegshilfe erhielten wie Deutschland, eine Schätzung des BIP vorlegen. In den 1950er-Jahren begannen die Vereinten Nationen eine Vorlage für die Berechnung des BIPs zu nutzen. Mittlerweile wird von allen Mitgliedsstaaten die gleiche Methode verwendet.

Seither wird für das BIP wie folgt berechnet: Der Wert aller produzierten Güter und Dienstleistungen in einem Land wird zusammengerechnet, der Wert der Vorleistungen abgezogen, ebenso Subventionen. Das Ganze wird noch um die Inflation bereinigt, so dass Preissteigerungen nicht dazu führen, dass das BIP steigt.

Auch wenn das BIP nicht direkt als Steuergröße außerhalb des wirtschaftlichen Erfolgs eines Landes verwendet werden kann, so weiß man doch einiges darüber, wie das BIP mit anderen Wohlstandsfaktoren zusammenhängt. Die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in einem Land etwa korreliert sehr stark und positiv mit dem kaufkraftbereinigten BIP, bis der Zusammenhang aufwärts von 15.000 Dollar schwach wird. Die Lebenserwartung steigt bis zu einem gewissen Wert ebenso mit dem BIP pro Kopf.

Zusammenhang zwischen BIP und CO2-Emissionen

Schwieriger sind Zusammenhänge erkennbar, wenn das BIP eines Landes schon sehr hoch ist. Bei anderen Größen wie den CO2-Emissionen zeigt sich eine Korrelation, die angesichts des Klimawandels negativ ist. Meist steigen die CO2-Emissionen mit dem BIP. Nur 33 wohlhabenden Ländern ist es bisher gelungen, dass ihr BIP nicht mit steigenden CO2-Emissionen einhergeht. In diesen Ländern leben allerdings nur eine Milliarde Menschen. In einigen Ländern hält der Zusammenhang sogar, wenn Emissionen durch Importe in die Rechnung einbezogen werden. Doch in den restlichen Ländern korreliert das BIP immer noch mit der Industrieproduktion: Steigt sie, steigt auch der CO2-Ausstoß.

„Um die Wohlfahrt eines Landes zu messen, sind Einkommen und die Einkommensverteilung wichtig. Dazu kommen Werte, die zum Beispiel Gesundheit, Bildung, Umweltzustand, Sicherheit und Frieden messen – all das sind Aspekte, die sagen, wie es einer Gesellschaft geht. Die lassen sich nicht in einem einzigen Indikator abbilden“, sagt Kuhn.

Als die Enquete-Kommission vor gut zehn Jahren andere Wohlstandsindikatoren vorschlagen sollte, kam sie daher auch nicht mit einer Zahl zurück, sondern mit einem sogenannten Dashboard. Das heißt, einer Vielzahl von Indikatoren. Wie kann es dann sein, dass Bhutan es schafft, alles in eine Zahl zu packen?

Bhutans Bruttonationalglück

Das Land befragt seit 2008 die Bevölkerung stichprobenartig zu mehreren potenziellen Glücksfaktoren: von Gesundheit über Bildung, Spiritualität, Resilienz bis hin zu Umweltschutz. Diese werden nach einem vorgegebenen System gewichtet, dann wird daraus das Bruttonationalglück errechnet.

Kuhn sagt, das Problem bei einem einzelnen Indikator sei die Messbarkeit. Denn wer entscheide, welche Faktoren berücksichtigt und wie sie gewichtet werden, der entscheide auch, wie die Glückszahl ausfällt. „Ich würde mir als Statistiker nie anmaßen, das festzulegen. Das Ergebnis des Indikators hängt von den Festlegungen ab. Aber was haben Sie davon? Dann bekommen sie eine Zahl wie in Douglas Adams Roman ,Per Anhalter durch die Galaxis‘“, sagt Kuhn.

In dem Roman wird ein Computer beauftragt, die Frage aller Fragen „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ zu beantworten. Nach 7,5 Millionen Jahren Rechenzeit lautet die Antwort: „42“.

Den Deutschen bleibt wohl nur, sich in Zukunft auf eine Vielzahl von Indikatoren zu verlassen. Den Start hat die UN schon gemacht, indem sie für die Erreichung der sogenannten Millenniumsziele Indikatoren für Armut, Hunger, Krankheit und Umweltzerstörung erheben.

Und auch Deutschland kennt Indikatoren, die neben dem BIP erhoben werden. Im Jahreswirtschaftsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz werden seit Robert Habecks Amtsübernahme 31 alternative Indikatoren zur Messung des Wohlstands aufgelistet. Darunter: der Anteil von Frauen in Führungspositionen, der Nitratgehalt im Grundwasser und die Durchlässigkeit im Bildungssystem. Nach welchem dieser Indikatoren die Bundesregierung sich neben dem BIP wirklich richtet, bleibt aber unklar.

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