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Exklusiv Berlin macht Jagd auf Corona-Hilfe-Betrüger

Protestaktion von Gastronomen und Hoteliers vor dem Brandenburger Tor: In Berlin erhielten Kleinunternehmer in der Corona-Krise so schnell Hilfen wie in keinem anderen Bundesland. Die Kehrseite: Auch Subventionsbetrüger profitierten von den Zuschüssen
Protestaktion von Gastronomen und Hoteliers vor dem Brandenburger Tor: In Berlin erhielten Kleinunternehmer in der Corona-Krise so schnell Hilfen wie in keinem anderen Bundesland. Die Kehrseite: Auch Subventionsbetrüger profitierten von den Zuschüssen
© F Boillot / IMAGO
Der Berliner Senat ließ im Frühjahr Corona-Zuschüsse ohne große Kontrollen auszahlen. Bei den Behörden stapeln sich deshalb mehr als 2.500 Fälle, in denen Empfänger zu Unrecht Hilfe erhalten haben. Eine Sonderermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft soll nun die Straftäter verfolgen – und Geld zurückholen

Nach scharfer Kritik an der Auszahlung von Corona-Soforthilfen ohne große Prüfung bemüht sich das Land Berlin um Schadensbegrenzung. Wie die Berliner Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Capital bestätigte, wurde in der Behörde eine Sonderermittlungsgruppe eingerichtet, die Missbrauch und Betrug bei den Hilfen verfolgt. In der Gruppe seien „sechs Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unter der Leitung einer Oberstaatsanwältin“ zusammengezogen worden, sagte eine Sprecherin. Ziel sei es, „in diesem Verfahrenskomplex zügig voranzukommen“. In mehr als 300 Verfahren sei bereits veranlasst worden, Vermögen von Empfängern abzuschöpfen.

Bundesweit waren zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr Tausende Fälle bekannt geworden, in denen Soloselbstständige und Kleinunternehmer zu Unrecht Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, beantragt und erhalten hatten. In Berlin hatten es Betrüger besonders leicht, weil der Senat fast 2 Mrd. Euro an mehr als 200 000 Empfänger extrem unbürokratisch und im Eiltempo auszahlen ließ . Umfangreichere Kontrollen sollten nach einer Entscheidung des Senats erst nachgelagert erfolgen, um eine schnelle Auszahlung zu ermöglichen. Intern hatte deshalb das Landeskriminalamt frühzeitig gewarnt, dass dieses Verfahren Missbrauch begünstige.

Derzeit bearbeitet die Berliner Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben rund 900 Fälle von Straftaten im Zusammenhang mit den Corona-Hilfen. Darüber hinaus seien beim LKA etwa 1.700 weitere Verfahren anhängig, die bei ihr noch nicht erfasst seien, sagte eine Sprecherin. Der Gesamtschaden solle rund 9 Mio. Euro betragen.

Seit dem Sommer ermittelt die Staatsanwaltschaft zudem gegen die Spitze der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB), über die die Soforthilfe beantragt und ausgezahlt wurde. Dabei geht es um den Verdacht der Untreue und Beihilfe zur Untreue. Auch politisch sorgt die laxe Auszahlpraxis in der Hauptstadt für Ärger – unter anderem in der Bundesregierung, die den Großteil des Geldes bereitgestellt hatte. Im Fokus stehen dabei Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), die auch im Verwaltungsrat der Förderbank sitzen. Wie im Sommer bekannt wurde, sollen beide Senatoren persönlich an der Erstellung des Antragsformulars der IBB für die Hilfen beteiligt gewesen sein und auf Vereinfachungen gedrungen haben.

Andere Verfahren müssen zurückstehen

Auf Anfrage von Capital erklärte ein IBB-Sprecher, die Förderbank und die Senatsverwaltung hätten „in enger Abstimmung“ gestanden, um die Corona-Soforthilfeprogramme aufzusetzen. „Es gab einen Austausch mit der Senatsverwaltung zur Art und Weise der Antragstellung – so wie bei anderen Senatsprogrammen auch. Damit wurde sichergestellt, dass die Bewilligungspraxis den Beschlüssen des Senats und des Abgeordnetenhauses entspricht.“ Der IBB-Sprecher verwies darauf, dass die Förderbank vom Senat mit der Durchführung des Soforthilfeprogramms beauftragt worden sei. Ein „gesonderter Vorstandsbeschluss“ der Bank sei daher „nicht notwendig“ gewesen.

Nach Angaben von Insidern soll nun auch die Sonderermittlungsgruppe bei der Staatsanwaltschaft auf eine Anregung aus dem Senat zurückgehen – möglicherweise, um den politischen Druck abzufedern. Dagegen betonte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft, bei der Einrichtung der Corona-Hilfen-Ermittlungsgruppe handele sich um eine „behördeninterne Entscheidung“. Auch eine Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Pop betonte, die Staatsanwaltschaft treffe ihre Entscheidungen „selbstständig“. Intern führt die Abstellung der Staatsanwälte für die Corona-Zuschüsse in der Anklagebehörde jedoch zu Unmut. Wegen mangelnder Kapazitäten müssten andere Wirtschaftsverfahren zurückgestellt werden, heißt es in Ermittlerkreisen. Dies könne im Ergebnis dazu führen, dass manche Fälle von Wirtschaftskriminalität in Berlin verjährten.

Der Beitrag erscheint in Capital 11/2020. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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