Ich liebe Hotels mit Geschichte. Dabei muss das Gebäude gar keine lange Historie als Nobelherberge haben. Es gibt herrliche Häuser, die waren ursprünglich mal Banken, Gefängnisse, Bahnhöfe, Kliniken und Bordelle. Oder eben: ein Telegraphenamt. Und während mich nicht immer überzeugt, wie die neuerliche Nutzung in die Tat umgesetzt wird, so haben die Macher mit diesem Hotel in Berlin Mitte ein Meisterstück geschaffen. Virtuos wurde der Charme technischer Errungenschaften der späten industriellen Revolution mit dem Komfort und Design eines modernen Luxushotels verbunden. Mit viel Gespür für das Vorleben des Hauses.
Nach einer langen Umbauzeit eröffnete das Telegraphenamt 2022 und galt bereits ab dem ersten Tag als einer der neuen Hotspots für junge Berlin-Besucher. Während der Fashion Week drängelten sich hier Models und Designer, zur Berlinale das Who’s Who der Filmbranche, zur Art Week kamen Künstler, Galeristen und Mäzene. Dazwischen bevölkerten stilbewusste Vertreter der Start-up-Szene das Hotel.
Mittlerweile ist es etwas stiller geworden, der Geschäftsführer, Gunnar Gust, hat Ruhe in das Alltagsgeschäft gebracht, was dem Haus guttut. Gust ist erfahren, hat Niveau und agiert so klug wie bedacht. Das Beste: Er hält viel auf seine Mitarbeiter und weiß sie zu inszenieren. Gleich zwei ehemalige Kollegen habe ich bei meinem Besuch wiedergetroffen, darunter Martin Menzel, mit dem ich 2009 die Kameha Gruppe eröffnet habe.
Durch dieses Haus lief das Wissen Berlins
Ich bin gleichermaßen beeindruckt vom Telegraphenamt und der Investition, die getätigt wurde. Sie dürfte bei mindestens einer halben Milliarde Euro liegen, was von einer großen Vision und größerem Mut zeugt, die hoffentlich beide belohnt werden. Immerhin ist das Luxushotel nach der quirligen Eröffnungsphase und einer kurzen Durststrecke wieder die erste Wahl für Gäste, die ihr Designinteresse in die Hauptstadt führt.
Errichtet wurde das imposante Gebäude im Jahr 1910, zwischen Oranienburgerstraße und Monbijoupark. Die Stadt Berlin hatte damals mit über 400 Kilometern das größte Rohrpostnetz in ganz Europa. Ob Nachrichten, Briefe, Telegramme oder Postkarten – alles, für dessen Transport Briefträger damals Tage gebraucht hätten, konnte in kürzester Zeit per Druckluft unter der Stadt hin- und hergejagt werden. Zudem wurden natürlich Telefonate verbunden. Ein Wunderwerk, das auf die Menschen gewirkt haben muss wie die Erfindung von SMS und E-Mail viele Jahrzehnte später. Ein Quantensprung für die Geschwindigkeit bei der Verbreitung von Informationen und Wissen.
Deutlicher langwieriger gestaltete sich dagegen die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes. Dauerte seine Errichtung einst nur sechs Jahre, so zog sich der Umbau zum Hotel über zehn Jahre hin. Ein Mammutprojekt, das sich in meinen Augen jedoch gelohnt hat.
Hotel-Design im „Industrial Chic“
Die größte Suite des Hauses ist die „Graham Suite“. Sie liegt unter dem Dach und verteilt ihre 140 Quadratmeter auf zwei Etagen. Oben liegen Bad und Schlafzimmer, unten wartet der großzügige Wohnbereich. Ein großes ovales Fenster gibt den Blick frei über die Dächer der Stadt bis zum Fernsehturm. Die Ausstattung passt zur Geschichte des Hauses, sie wird von schwarzem Stahl und Holz dominiert. Das Licht ist perfekt eingesetzt, die Leinenvorhänge sind schwer und dicht. Den Kleiderschrank kann man vom Ankleidezimmer und Bad öffnen, was für eine clevere Idee. Alles ist perfekt durchdacht, praktisch und geschmackvoll abgemischt.
Top-Athlet leitet Gym und Spa
Die Leitung von Fitnessbereich und Spa wird den Sportbegeisterten unter Ihnen vielleicht ein Begriff sein: Kofi Amoah Prah wurde 2000 mit stolzen 8,19 Metern Deutscher Meister im Weitsprung und im selben Jahr Fünfter bei den Olympischen Spielen in Sydney. Der Ex-Leichtathlet und Personal Trainer mit ghanaischen Wurzeln ist auch mit 50 noch ein Modellathlet, dazu charmant und leidenschaftlicher Dienstleister. Wie seine Vita, so ist auch sein „Reich“ beeindruckend, allein das Gym dürfte mit 1200 Quadratmetern zu den größten Hotel-Studios in Europa gehören. Sein Design ist außergewöhnlich, der Gerätepark hochwertig und die Trainingsmöglichkeiten sehr vielfältig. Prah jedoch bleibt für mich der USP, einen besseren Instructor und Spa-Chef habe ich selten getroffen. Wenn überhaupt.
Gibt es am Hotel Telegraphenamt meinerseits auch etwas zu kritisieren? Nein, eigentlich nicht. Nur mit dem Frühstück bin ich nicht vollends zufrieden. Es ist gut, aber gerade beim Buffet sehe ich noch viel Luft nach oben.