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Bahn-Tochter Wie unklug ist es, DB Schenker zu verkaufen?

DB Schenker-Trailer auf dem Gelände eines Logistikzentrums im Seehafen in Mecklenburg-Vorpommern
DB Schenker-Trailer auf dem Gelände eines Logistikzentrums im Seehafen in Mecklenburg-Vorpommern
© dpa | Jens Büttner / Picture Alliance
Im Milliardenpoker um DB Schenker mahnen Kritiker: Im Wettbewerb der Lieferketten sei der Logistiker zu bedeutend für die deutsche Wirtschaft, um ihn einfach an den höchstbietenden ausländischen Interessenten zu verkaufen

Ganze 20 Interessenten soll es geben, zehn davon ernsthafte Bieter. Noch im März wolle der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sich die potenziellen Käufer der DB Schenker AG bei einem Speed-Dating ansehen, heißt es im Vorfeld. Während der Verkauf des staatlichen Logistikers somit in vollem Gange ist, sind einige geostrategische Bedenken lange nicht ausgeräumt. So unterstellt die Opposition der Bundesregierung, sicherheitspolitische Überlegungen zu vernachlässigen – und Politik-Experten hinterfragen, in Zeiten zerbrechlicher Lieferketten einen global aufgestellten heimischen Spediteur an einen vermutlich staatlich gelenkten Konkurrenten – etwa dem arabischen Raum – abzugeben. 

Die Chance, die Bahn-Tochter in deutscher Hand zu halten, sieht der Geopolitik-, Energie- und Logistikexperte Jacopo Pepe in dem angelaufenen offenen Bieterverfahren so gut wie verspielt. Gewöhnlich siegt dabei der beste Preis, und der dürfte – nach bisherigen Erwartungen – von Interessenten der Golfstaaten kommen. „Die Diskussion hätte umfassender auch die weiterreichende strategische Bedeutung von DB Schenker für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedenken müssen“, bedauert der Berater von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Für Pepe steht nicht weniger auf dem Spiel als die Stabilität und Zukunftsfähigkeit global gestreuter Wertschöpfungsketten einer deutschen Industrie, die sowieso massiv unter Druck stehe. „Für einen Standort, der seine Stärke aus der globalen Ausrichtung zieht, und der künftig zur Versorgung mit Industriekomponenten, Kapitalgütern, kritischen Rohstoffen oder neuen technologieintensiven Energieträgern noch stärker auf globale Lieferketten angewiesen sein wird, ist es zumindest bedenklich, dieses Unternehmen zu verkaufen.“ Der Experte hat dabei auch die Energieversorgung im Blick, die globaler und noch stärker von Logistik abhängig werde. 

Schenkers Vorteil sieht der Experte in seinen resilienten und integrierten Logistiklösungen in Rundum-Paketen – unter anderem Supply Chain Management inklusive Versicherung, Verpackung, Zollabwicklung – verbunden mit der starken Heimatbasis über die staatliche Beteiligung. „Die Frage stellt sich: Können wir uns angesichts der Fragmentierung der Weltordnung, des wachsenden geopolitischen, technologischen und industriellen Wettbewerbs gerade um neue Lieferketten, und auch angesichts der Aufstellung anderer im staatlichen Auftrag handelnden Akteure uns leisten, einen solchen Champion aus der Hand zu geben?“ mahnt Pepe. „Ich tendiere dazu, die Bedenken im Bundeswirtschaftsministerium zu teilen.“

Erlös soll Schulden abbauen

Die Bundesregierung stellt bisher vornean, den Erlös eines Verkaufs in den Schuldenabbau bei der Bahn stecken zu wollen und möglichst auch in Infrastruktur zu investieren. Das entgegnete sie der Unionsfraktion im Bundestag, die in einer Anfrage Sicherheitsbedenken gegen einen Verkauf des Logistikers mit Blick auf Militärtransporte erhoben hatte. 

Angeblich will die Regierung am liebsten eine europäische Lösung, doch lauern hier wohl kartellrechtliche Fußangeln. Vor allem das Kanzleramt und die FDP-Ressorts Verkehr und Finanzen sollen – so das „Handelsblatt“ – einem arabischen Investor nicht abgeneigt sein. Das Wirtschaftsressort hege derweil Bedenken und hätte ein Bieterverfahren bevorzugt, das neben dem Preis auch geopolitische Kriterien einschließe. 

Stand heute bleibt zum Abschluss die außenwirtschaftliche Prüfung, ob ein Deal die nationale Sicherheit beeinträchtigt. Ebenfalls mit Blick auf die Bedeutung von Logistikern wie Schenker für die Resilienz der Lieferketten warnte CDU-Verkehrspolitiker Christoph Ploß, ein Verkauf könne sich „schnell auch als großer sicherheitspolitischer Fehler herausstellen“. Die Ampel dürfe jetzt nicht Tafelsilber an ausländische Investoren verscherbeln, nur weil sie mangels haushaltspolitischer Prioritäten Geld brauche.

Ein Mitarbeiter der DB Schenker Jetcargo bringt in der Luftfrachthalle in der Cargo City Süd am Flughafen Frankfurt Klebeband an einer Palette an
Ein Mitarbeiter der DB Schenker Jetcargo bringt in der Luftfrachthalle in der Cargo City Süd am Flughafen Frankfurt Klebeband an einer Palette an
© dpa | Arne Dedert / Picture Alliance

Die Möglichkeit militärischer Transporte sieht die Bundesregierung durch den Verkauf nicht eingeschränkt. Schon 2022 seien „maßgebliche Fähigkeiten und Geschäftsteile“ von Schenker auf die DB Cargo übertragen worden, heißt es in der Antwort im Bundestag. Entsprechende Transporte könnten trotz Verkauf „unbeeinträchtigt und ohne Sicherheitsbedenken“ durchgeführt werden. Ebenso sieht die Ampel die Versorgungssicherheit der Wirtschaft gefährdet. Dank ausreichender Wettbewerber „hätte ein Eigentümerwechsel bei der Schenker AG keine strukturellen kritischen Folgen für den deutschen und europäischen Logistikmarkt“. 

Strategischer Dienstleister in sensibler Branche

Schenker kontrolliere auch keine physische Infrastruktur wie Hafenterminals, Flughäfen, Schiffe oder Flugzeuge, begründet die Regierung weiter, sondern beauftrage Transportkapazitäten bei Partnern. Allerdings – gibt Experte Pepe zu Bedenken – gehe es im geopolitischen Wettbewerb nicht über Infrastruktur hinaus auch zunehmend um die (Ab-)Sicherung von Handelswegen und von notwendigen Technologien durch eine „sensible Branche“. So müsse gerade für die grüne Transformation Wasserstoff und dessen Derivate reibungslos von A nach B transportiert werden, was „integrierte Lösungen und Standards für Logistikketten“ voraussetze. Ebenso erforderten Komponenten für Windturbinen robuste Lieferketten.

Deshalb spricht der SWP-Berater im Fall DB Schenker „von einer strategischen Dienstleistung“. In einem Umfeld extrem fragiler Lieferketten aufgrund diverser Ungewissheiten und Abhängigkeiten im Welthandel, vereinige ein Akteur wie Schenker – der privatrechtlich geführt werde, marktwirtschaftlich handle aber in staatlicher Hand sei – „das Beste aus zwei Welten, um im Sinne des Staates und des öffentlichen Guts zu handeln, aber auch neue Marktanteile zu erschließen“.

DB Schenker beging 2022 das 150-jährige Firmenjubiläum und unterhält mit mehr als 76.000 Mitarbeitern ein globales Netz mit teils eigenen Flotten im Straßen- und Schienenverkehr sowie als Spediteur für Luft- und Seeverbindungen. In diesen Geschäftsfeldern zählt die Bahntochter zu den größten Logistikunternehmen der Welt für einen breiten Branchenmix mit Schwerpunkt auf Industriekunden. Wichtige Partner sind Fluggesellschaften und Reedereien sowie Subunternehmer zur Abwicklung von Transporten.

Arabische Interessenten: Staat wäre Hauptaktionär

An dem Bieterrennen beteiligen sich Berichten zufolge unter anderem Kühne+Nagel mit Sitz in der Schweiz und der dänische Transportlogistiker DSV. Dazu kommen weitere arabische Interessenten wie ADQ, einem Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), zu dessen Portfolio Abu Dhabi Ports und Airport, Etihad Rail und Airways gehören, und der Hafenbetreiber DP World aus Dubai – auch ein Logistikkonzern von Weltgröße.

Das Analysehaus Bernstein sieht den Logistikkonzern DSV in der besten Position. Eine solche Kombination böte das größte Synergiepotenzial und das geringste Umsetzungsrisiko, hieß es dazu Anfang Februar. Branchenriese DHL soll bereits abgewunken haben, Analyst Alexander Irving sieht deren Geschäft nicht für groß angelegte Integrationen ausgelegt. Dagegen biete Kühne+Nagel große kulturelle Ähnlichkeit, und womöglich strebe Großaktionär Klaus-Michael Kühne eine strategische Übernahme an, damit Schenker nicht in DSV-Hand falle.

In einem solchen Bieter-Portfolio müsse in jedem Fall das Element Sicherheitsrisiko mit- und zu Ende gedacht werden, mahnt Geopolitiker Pepe. Der Verkauf eines strategischen Dienstleisters umfasse schließlich auch Informationen über Unternehmensstrukturen, Auftragslage oder Handelsrouten und Verkehrsknoten. Genauso wie China oder Russland Infrastruktur und gesamte Logistikketten kontrollieren wollten, täten dies arabische Länder teilweise auch. Und bei jedem der Investoren aus dem Raum sei zu bedenken, dass der Staat – direkt oder indirekt – der Hauptaktionär sei. 

Schenker-Verkauf im Tausch für Wasserstoff?

Das wiederum macht aus Sicht des Experten eine viel umfassendere geostrategische Abwägung erforderlich – nämlich die Frage, ob die Wahl eines arabischen Investors sich in eine größere Strategie einer Orientierung auf die Golfstaaten zugunsten einer vertieften strategischen Partnerschaft einfüge? „Das macht dann Sinn, wenn wir aus der Region zum Beispiel nicht nur Energie wollen, sondern auch Wasserstofftechnologie, oder wenn wir dort Industrie ansiedeln und eine Lieferkette mit dem Raum haben wollen,“ sagt Pepe. „Das wäre zu rechtfertigten, aber auch nur, wenn man Hebel in der Hand behält, um nicht nach der Loslösung von Russland neue Abhängigkeiten in der Logistik einzugehen.“ 

Für ökonomisch sinnvoll hält der Experte – wenn es denn ein arabischer Investor sein soll –, dass dieser tatsächlich in der Region Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) fest verankert sei. Die MENA-Region werde zunehmend wichtig für Deutschlands Energie- und Industrielieferketten. Zugleich sei ein reiner Logistikplayer mit bester Erfahrung auf dem globalen und regionalen Markt und Kontrolle über Häfen, Schiffe und Logistik einem staatlich kontrollierten Konglomerat mit hoch diversem Investitionsportfolio vorzuziehen.

Um Deutschlands Interessen zu wahren, wäre für den Geopolitiker selbst eine europäische Lösung nur „second best“. Auch die nächsten Nachbarn verfolgen nationale Interessen zum Teil über staatlich kontrollierte Unternehmen, um die Lieferketten in ihrem Sinn zu gestalten. „Das nationale Denken und die Fragmentierung der Lieferketten geht so weit, dass erst auf die Resilienz der eigenen Industrieversorgung geschaut wird.“ 

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