Autokraten, die ihr Volk mit eiserner Hand durch die Corona-Krise führen, empfehlen sich gern als Modell für andere Länder. So hat China aus Sicht der Führung in Peking alles richtig gemacht – und liefert nun Schutzausrüstung in alle Welt, um dieses Image zu stärken. Die Botschaft: Im Kampf gegen die Pandemie gibt es ein Rezept – ein autoritäres System. Auf der anderen Seite gibt es demokratisch gewählte Regierungen, die durch Inkompetenz ihre Legitimation verspielen. Andere Demokratien wurden dafür kritisiert, sie hätten zu spät, zu zögerlich auf die Pandemie reagiert – zu viel Diskussion, zu wenig Taten.
Nach Einschätzung von Rachel Kleinfeld von der US-Denkfabrik Carnegie spielt es bei der Frage, wie ein Land das Virus unter Kontrolle bekommt, keine Rolle, ob es autoritär oder demokratisch regiert wird. Gerade weil China autoritär regiert werde, seien zunächst schwere Fehler begangen worden – die Verbreitung von Covid-19 wurde verheimlicht, Mahner und Kritiker zum Schweigen gebracht. Erst später griff die kommunistische Staatsführung energisch durch. Auch in Singapur reagierte die politische Führung mit Verzögerung. Andere Regime wie im Iran, in Russland oder Ägypten hätten völlig versagt, meint Professorin Sofia Fenner von der US-Elitehochschule Bryn Mawr College.
„Es wäre ein Fehler, streng zentralistisch geführten Regimen in autoritären Nationen eine Vorteil im Umgang mit der Pandemie zuzugestehen“, sagt auch der US-Politologe Larry Diamond von der Stanford University. Sie behaupten das natürlich von sich. Dem müsse man jedoch energisch entgegentreten: „Wenn sie Informationen unterdrücken, behindern sie doch die Fähigkeit, das Virus effektiv zu bekämpfen.“ So habe auch Chinas Verhalten dazu beigetragen, dass die Welt nun einen hohen Preis zahle.
Politisierung unterliegt Kompetenz
Umgekehrt gibt es laut Diamond keine statistische Evidenz, dass liberale Demokratien im Kampf gegen die Pandemie erfolgreicher sind. Ausschlaggebend sind für ihn Kompetenz und Führungsstärke – wobei er Deutschland für seine schnelle Reaktion und eine auf Wissenschaft basierte Politik lobt. „Können Sie sich vorstellen, die Physikerin Merkel würde darüber reden, Desinfektionsmittel zu spritzen?“, fragt er.
Rachel Kleinfeld nennt andere Demokratien wie Südkorea, Taiwan, Kanada und etliche europäische Länder als Beispiele für ein gelungenes Krisenmanagement. Ihrer Ansicht nach spricht viel für ein anderes offenkundiges Muster: Solche Länder stehen schlechter da, wo die Krise stark politisiert worden sei. Nicht nur US-Präsident Donald Trump polarisiert und instrumentalisiert die Pandemie für seine politischen Zwecke – im Wahljahr und im Ringen mit China. Auch Iran habe anfangs die Erzfeinde USA und Israel für den Ausbruch im eigenen Land verantwortlich gemacht, so Kleinfeld, aber dem Virus sei Politik egal.
Am erfolgreichsten hätten dagegen Staaten mit einem hohen Grad an Vertrauen in die Regierung die Pandemie im Griff – eben mit Hilfe der Bevölkerung. So genießen die Behörden in China großes Vertrauen. Aber auch einige demokratische Regierungen genießen bei ihrer Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen. Das gilt etwa für Skandinavien, die Schweiz oder Kanada. Die Pandemie müsse nüchtern mit medizinischen Argumenten und nach dem Prinzip der Gleichbehandlung angegangen werden. In Ländern wie Italien, Frankreich oder Großbritannien sei die öffentliche Meinung dagegen schon vor der Krise zutiefst gespalten gewesen. „Auch die USA sind ein Land mit einem extrem geringen Vertrauensgrad“, sagt Kleinfeld.
Schub zur Autorität
Jenseits aller Erklärungsmuster befürchten und beobachten Experten auch mit Sorge, wie Autokraten, oder solche auf dem Weg dahin, die Corona-Pandemie als willkommene Gelegenheit nutzen, ihren Griff noch zu festigen. Beispiele für solche Mitnahmeeffekte liefern Indien, Brasilien, Ägypten, aber auch europäische Nachbarn wie Ungarn oder einige Balkan-Staaten. Die Krise wird zum Vorwand, die Gewaltenteilung auszuhebeln, die Opposition auszuschalten, Minderheiten zu brandmarken oder Medien zu regulieren.
Das Coronavirus schafft mit allen Ängsten und Unsicherheiten dafür einen guten Nährboden. Menschen laufen Populisten hinterher, suchen nach Heilsbringern und generell nach autoritären Figuren. „Aber Covid-19 verschafft Autokraten auch Probleme“, hält Andrea Kendall-Taylor, Politologin am US-Center for a New American Security (CNAS), dagegen. Ein Beispiel dafür sei Russland, wo das Virus Präsident Wladimir Puten kalt erwischt habe, während er damit beschäftigt war, seine Macht zu zementieren.
Die Frage, ob schlecht geführte Staaten sich durch Unterdrückung, Zensur oder Leugnung vor dem Virus schützen können, stellt sich nicht. Hier sind einige Beispiele, wie es dennoch versucht wird:
Autokraten in der Corono-Krise

China: Autokratische Intransparenz als Problem
Für die Volksrepublik ist die Pandemie ein guter Grund, das ohnehin schon herrschende Kontrollsystem mit Handy-Überwachung und Bewegungsprofilen weiter auszubauen. Peking verbreitet weltweit die Darstellung der erfolgreichen Seuchenbekämpfung und beliefert Staaten (im Bild eine Sendung für Kuba) mit Hilfsmitteln für das Gesundheitssystem. Es will nicht zulassen, dass sich eine Anti-China-Koalition formiert, die sich auf die Kritik stützt, dass die Krise sehr viel früher erkannt und bekämpft hätte werden können, wenn nicht Meldungen und Kritik unterdrückt worden wären. Autokratische Intransparenz waren also mehr Problem als Lösung.

Putin schiebt Verantwortung den Provinzen zu
Präsident Wladimir Putin wollte über Verfassungsänderungen abstimmen lassen, die es ihm ermöglichen würden, über das Ende seiner Amtszeit hinaus – vorerst bis 2036 – an der Macht zu bleiben. Nun steigen die Infektionszahlen, die Abstimmung ist auf unabsehbare Zeit verschoben, und Putin kämpft gegen einen neuen Feind. Er bekommt Gegenwind, weil er die Ärzte im Land ohne ausreichende Schutzausrüstung im Stich lässt (s. Bild), während man zugleich humanitäre Hilfe an die USA verkauft und das Exportverbot aufhebt. Die Infizierten-Zahlen steigen, die Bewältigung überlässt Putin den Gouverneuren.

Orban höhlt die Demokratie weiter aus
Der national-konservative Ministerpräsident Viktor Orbán – im Bild mit einer Delegation aus China – steuert die Krise mit Dekreten, die er aufgrund von Sondervollmachten erlassen kann. Dieser Tage wollte er einen „nüchternen, seriösen Plan“ von Lockerungen bekanntgeben, obwohl die Infektionszahlen steigen. Orban hatte zuvor Notstandsgesetze verabschiedet, die es ihm ermöglichen, künftig unkontrolliert per Dekret zu regieren, das Parlament auszuhebeln und Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. 13 Mitgliedsstaaten der EU demonstrierten in einer öffentlichen Erklärung dagegen.

Balkanländer bekommen russische und chinesische Hilfe
Entwicklungen im Südosten Europas gehen in eine ähnliche Richtung. Insbesondere in Serbien, Albanien und Montenegro ist seit längerem ein Demokratieabbau im Gange. In Serbien wird die Rechtmäßigkeit des Ausnahmezustands hinterfragt, den Präsident Aleksandar Vucic Mitte März verhängte – ein Beschluss, der eigentlich vom Parlament gefasst werden müsste. Im Bild der Verteidiungsminister mit russischen Experten. In Albanien lässt Ministerpräsident Edi Rama die Sicherheitskräfte in gepanzerten Fahrzeugen mit aufgesetztem Maschinengewehr patrouillieren. In Montenegro veröffentlichte die Regierung des Langzeitherrschers Milo Djukanovic die persönlichen Daten von infizierten Personen in Selbstisolation.

Weißrussland gehört zu Leugnern
Während die Nachbarländer strenge Quarantäneregeln verhängt haben, lässt Weißrussland Schulen, staatliche Museen und Geschäfte offen. Der autoritär regierende Präsident Alexander Lukaschenko (im Bild beim Pfalnzen von Bäumen am 1. Mai) spricht von einer „Corona-Psychose“ und verharmloste die ersten Todesopfer der Virusinfektion als „selbst schuld“, da ihre Gesundheit schwach gewesen sei. Auch die Siegesparade zum Jahrestag des Kriegsendes lässt er stattfinden. Das sei der Wunsch der Veteranen, und er wolle nicht den Eindruck vermitteln, die Machthaber fürchteten sich vor der Krankheit, erklärte Lukaschenko. Die Art, wie die Staatsmacht die Seuche zu ignorieren versuche, erinnert viele Weißrussen an den Umgang der Behörden mit der Tschernobyl-Katastrophe.

Türkei zögert lange mit der Bekämpfung
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte lange einen Bogen um eine allgemeine Ausgangssperre gemacht und sich Vorwürfe eingehandelt, die Pandemie verniedlicht zu haben. Am Wochenende besuchte er ein im Bau befindliches Corona-Krankenhaus – ohne Schutzmaske. Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung stuft das Regime inzwischen als Autokratie ein. Der Menschenrechts- und Juristenverband des Landes warfen der nationalen Religionsbehörde vor, Verschwörungstheorien über „böse“ Kräfte und Homosexuelle zu verbreiten, die Krankheiten verbreiten würden. Kritik erntete Diyanet auch dafür, muslimische Pilger nicht von Reisen in die heiligen islamischen Stätten in Saudi-Arabien abzuhalten.

Indien: ein polarisierter Staat
Im Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung wird Indien als „defekte Demokratie“ bezeichnet. Sie hatte schon in den Monaten vor der Pandemie stark gelitten, weil Premier Narendra Modi immer wieder den Hindu-Nationalismus propagiert und die Gesellschaft spaltet. Einige Medien gaben der muslimischen Minderheit Schuld für die Ausbreitung des Virus, nachdem erste Ansteckungen auf ein religiöse Veranstaltung zurückgeführt wurden. Modi hat drastische Ausgangssperren um weitere Wochen verlängert. Bestseller-Autorin Arundhati Roy sagte: „Die Tagelöhner, auf deren Rücken die Wirtschaft funktioniert, haben ihre Jobs verloren. Sie werden behandelt wie Abwasser, das aus einer Fabrik abgelassen wird."

Philippinische Regierung greift brutal durch
Menschenrechtler haben das Vorgehen der philippinischen Regierung in der Corona-Krise als brutal angeprangert. Im Bild ein Protest gegen die Schließung eines Radiosenders. Diktator Rodrigo Duterte hatte auch früher schon die Polizei aufgefordert, auf mutmaßliche Drogendealer zu schießen. Seit Beginn der Corona-Einschränkungen berichten Organisationen von verschärften und brutalen Angriffen auf die Bürgerrechte: Es gebe Massenfestnahmen, unmenschliche Bestrafungen und Gewalt gegen Störer oder Proteste gegen Nahrungsmittelknappheit. Human Rights Watch warf den Behörden vor, die Pandemie zu nutzen, um politische Gegner und Aktivisten wegen krimineller Vergehen anzuzeigen.

In Brasilien hetzt der Präsident gegen Minderheiten
Präsident Jair Bolsonaro ist ein Beispiel für Hetze gegen Minderheiten und Polarisierung in der Krise. Bolsonaro suggeriert Sicherheit, spielt die Gefahren des Virus herunter und inszeniert sich als starker Mann, der alles im Griff habe. Zugleich nimmt er den Menschen Freiheiten, um die Krise gut managen zu können. Seine Anhänger gehen gestärkt auf die Straße. Viele Gouverneure, Parlamentarier und sein eigener gefeuerter Gesundheitsminister lehnen sich inzwischen gegen ihn auf und rufen die Bewohner auf, dem Präsidenten nicht zu folgen.