Der Krieg in der Ukraine zeigt: Atomare Abschreckung ist wieder ganz offen Bestandteil internationaler Machtkämpfe. Die großen Atomstaaten rüsten auf und modernisieren ihr Nukleararsenal, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem Jahresbericht 2023 feststellte. Demnach waren im Januar 2023 weltweit schätzungsweise 9576 Sprengköpfe einsatzfähig. Das waren laut den Experten 86 mehr als ein Jahr zuvor.
Diese Länder verfügen über die meisten nuklearen Sprengköpfe
Die Mehrheit der neun Atommächte verfügt laut Sipri nicht über sofort einsatzbereite Sprengköpfe, die beispielsweise auf Raketen montiert oder auf aktiven Militärbasen stationiert sind. Zu dieser Gruppe zählt Nordkorea. Die Sipri-Experten schätzten das Arsenal der Diktatur auf rund 30 atomare Sprengköpfe, fünf mehr als im Vorjahr. Diese seien allesamt einsatzfähig, müssten aber erst für einen Einsatz vorbereitet werden. Die Zahl nordkoreanischer Atomwaffen ist eine grobe Schätzung. Das Regime verfügt laut Sipri über Material für 50 bis 70 Sprengköpfe. Die Experten gingen aber von einer geringeren Zahl tatsächlich montierter Nuklearwaffen aus.
Auf Platz acht der größten Atommächte und damit auf den vorletzten Rang kam laut den Friedensforschern Israel. Sie zählten wie im Vorjahr 90 einsatzfähige, eingelagerte Sprengköpfe. Offiziell als Atommächte gelten laut Atomwaffensperrvertrag lediglich fünf Nationen; sie sind auch die Länder mit den fünf größten Arsenalen.
Vier der neun Staaten mit Atomwaffen liegen in Asien. Als besonders gefährlich gilt der Konflikt zwischen den verfeindeten Nachbarn Indien und Pakistan. Dabei liegt Indien knapp hinter seinem Rivalen. Sipri beziffert die Zahl der Atomsprengköpfe auf 164, vier mehr als im Vorjahr.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine befeuert auch die Debatte um Atomwaffen in Europa. Die zwei europäischen Atommächte halten sich laut Sipri mit der Aufrüstung bislang zurück. Die Stockholmer Friedensforscher attestierten dem Vereinigten Königreich unverändert 225 einsatzfähige Sprengköpfe. Auf diese Obergrenze hatte sich die Regierung 2010 festgelegt. 120 atomare Sprengköpfe während demnach sofort einsatzbereit (allesamt auf U-Booten), 105 sollen eingelagert sein. Damit war das Vereinigte Königreich aber nicht die größte Atommacht in Europa.
Ginge es nach der Zahl sofort einsatzfähiger Sprengköpfe, würde Frankreich auf Platz drei dieses Rankings liegen. Sipri zählte bei der einzigen Atommacht der Europäischen Union 280 einsatzbereite und lediglich zehn eingelagerte Sprengköpfe. Die Gesamtzahl entsprach dem Niveau des Vorjahres. Ganz anders sah die Lage in China aus.
In China wurde die atomare Aufrüstung laut Sipri zuletzt am stärksten vorangetrieben. Die Forscher meldeten einen Gesamtbestand von 410 eingelagerten Sprengköpfen. Das waren 60 mehr als im Januar 2022. Die Experten erwarteten weiter steigende Zahlen. Zum Ende des Jahrzehnts könnte die Volksrepublik ihrer Schätzung zufolge über ebenso viele Interkontinentalraketen mit atomaren Sprengköpfen verfügen wie die zwei größten Atommächte.
Kein Land der Welt könnte laut Sipri sofort mehr Atomwaffen einsetzen als die USA. Die Experten meldeten zuletzt 1770 einsatzbereite Waffen. Hinzu kamen laut dem Bericht 1938 eingelagerte Sprengköpfe. Die Summe von 3708 entsprach genau dem Niveau des Vorjahres. Das gesamte nukleare Inventar, inklusive der zur Demontage bestimmten Sprengköpfe, verkleinerte sich deutlich von 5428 auf 5244. Die größte Atommacht der Welt hat hingegen aufgerüstet.
Der Kreml hat nach Beginn des Ukrainekriegs offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht und angekündigt, in Belarus taktische Atomwaffen stationieren zu wollen. Laut Sipri hat Russland sein nukleares Arsenal nach dem Angriff vergrößert. Demnach stieg die Zahl verfügbarer Sprengköpfe von 4477 auf 4489. 1674 Sprengköpfe waren demnach sofort einsatzbereit. Das Gesamtinventar verkleinerte sich laut dem Bericht von 5988 auf 5889.