Martin Kaelble ist Capital-Redakteur und schreibt an dieser Stelle über Digitalisierung, Startups und die neue Wirtschaft.
„Make America Great Again“ – Donald Trumps Wahlkampf-Slogan hat sich der verbreiteten Meinung bedient, dass die einstige Weltmacht USA heute ein kranker Mann ist. Dieses Grundgefühl des Abstiegs hat Trumps Aufstieg überhaupt erst befeuert. Wenn man die Berichterstattung der vergangenen Tage anschaut, bekommt man den Eindruck eines bröckelnden, heruntergekommenen Landes, das nicht mehr viel mit der dynamischen Superpower von einst zu tun hat.
Doch dieser Eindruck ist überzogen und täuschend. Denn was bei all dem Abgesang, bei all den düsteren Prognosen und gefühlten Abstiegsängsten übersehen wird: Amerika ist in Wahrheit mächtiger denn je. Dank der Digitalisierung.
Die Ära der Digital-Supermacht USA
Es gibt wohl wenig Zweifel: Die Zukunft der globalen Wirtschaft ist digital. Und das Internet wiederum ist nun einmal zu weiten Teilen amerikanisch. Diese Digital-Dominanz ist so eklatant, dass man gar die These aufstellen könnte: Wir stehen womöglich vor einer völlig neuen Ära der Weltmacht Amerika, mit einer Vormachtstellung wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab. Ganz gleich wer heute Abend die Wahl gewinnt.
Von den 10 größten Tech-Firmen der Welt kommen sieben aus den USA. Nur Tencent und Alibaba aus China und Rakuten aus Japan fallen heraus. Noch viel erdrückender ist die US-Dominanz bei den globalen Unicorns, Start-ups mit einer Bewertung von über 1 Mrd. Dollar. Das Silicon Valley als Tech-Brutstätte ist global völlig konkurrenzlos. Mag es auch in Berlin, Tel Aviv oder Shenzhen erfolgreiche Start-ups geben, die großen Trends der digitalen Wirtschaft kommen immer noch aus dem Valley. Zudem ist das Valley ein sich selbst verstärkendes System: Das größte Risikokapital bündelt sich dort ebenso massiv wie die besten Talente. Die Marke „Silicon Valley“ hat mittlerweile vielleicht einen größeren Wert als Coca Cola und hat heute eine globale Strahlkraft wie die Marke Hollywood.
Und dieser Vorsprung dürfte so schnell wohl auch nicht mehr einzuholen sein. In dem Maße wie wir vor einem digitalen 21. Jahrhundert stehen, könnten wir vor einem amerikanischen Jahrhundert stehen.
Historisch präzedenzlose Dominanz
Denn das Internet ist von Amerika tief durchdrungen, wie wir bei NSA-Skandalen oder Monopol-Diskussionen zu Google immer wieder feststellen. Denn die digitale Infrastruktur ist „Made in USA“ – durch Player wie Google bei Suchdiensten, Facebook im Social Web oder Cisco in der harten Infrastruktur.
Tatsächlich ist eine solche Ballung ökonomischer Macht auch historisch ungewöhnlich. Zu Zeiten der Gründerzeit rund um die Elektrifizierung war die Dominanz eines Landes nicht so stark wie heute in der Ära der Digitalisierung. Damals entstanden globale Player nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch in Frankreich sowie den damaligen Schwellenländern, wie GE in den USA oder AEG und Siemens in Deutschland.
Auch die Nachkriegswirtschaft im 20. Jahrhundert war deutlich heterogener. Führende Industrieprodukte kamen spätestens seit den 70er-Jahren zunehmend aus Japan und aus Europa, speziell aus der Bundesrepublik. In den 80er-Jahren schien es gar als wären die USA hier deutlich ins Hintertreffen geraten. Auch damals begann der Abgesang auf die Weltmacht Amerika. Japan schien wie heute China die Vormacht von morgen.
Heute sieht das anders aus. Dank des Internets. Selbst Star-Investor Warren Buffett, lange Zeit ein ausgemachter Digital-Skeptiker, dessen Anlagestrategie Tech-Aktien immer bewusst ausgeklammert hatte, sagt mittlerweile: Die USA haben ihr Comeback seit der 80er-Jahren ihrer einzigartigen Dominanz in der Internet-Industrie zu verdanken.
Digitaler Jobaufbau entscheidend für die Stimmung
Keine Frage: Noch ist nicht klar ist, wieviele Jobs durch das Internet geschaffen (oder vernichtet) werden, wieviel Geld tatsächlich von manchem Tech-Star auch verdient (und nicht verbrannt) wird, wieviel dieses Geldes auch in der Breite der Gesellschaft ankommt (und nicht nur bei den Investoren, die in das Start-up investiert haben) und wie viele der derzeit entstehenden Start-ups am Ende tatsächlich zu Konzernen werden (und nicht in fünf Jahren wieder verschwunden sind).
Diese Fragen werden entscheidend dafür sein, ob sich weiter ein Gefühl des Abstiegs in breiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft hält. Und damit Kandidaten wie Donald Trump befördern.
Doch für die tatsächliche wirtschaftliche Stärke Amerikas und dessen Rolle in der Welt ist der Ausblick keineswegs düster. Man muss nur einmal zu Ende denken, in welche Ecken der Wirtschaft und Gesellschaft die Digitalisierung rund um die Welt vordringt. Und in der Regel hat derjenige der in diese hintersten Winkel vordringt ein „Made in America“ auf seinen Byte-Bausteinen stehen. War die Globalisierung noch multinational, die Digitalisierung ist es weit weniger.
Insofern ist der Slogan „Make America great again“ ebenso irreführend wie viele andere Aussagen des Kandidaten Trump. Amerika ist stärker als man nach diesem turbulenten, wenig faktenorientierten Wahlkampf gemeinhin glaubt.
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