Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
Helmut Schmidt, der am Dienstag im Alter von fast 97 Jahren gestorben ist, wird den Deutschen noch lange in Erinnerung bleiben.
Nicht so sehr als der kühle Kanzler und Macher, der die westdeutsche Republik einmal durch eine ernüchternde Phase nach dem Ende des Wirtschaftswunders und nach dem 68er-Rausch gesteuert hat. Nicht als der letzte SPD-Kanzler bevor die Sozialdemokraten rot-grün wurden, als der Mann, der gegen den RAF-Terror die Nerven behielt und der einen unpopulären „Nato-Doppelbeschluss“ gegen sowjetische Mittelstreckenraketen herbeiführte.
Das alles ist lange her und von dieser Zeit ist nicht viel geblieben – für viele aus seinem eigenen Lager ist Schmidt damals sogar zum Feindbild geworden. Die Grünen entstanden auch als eine Anti-Helmut-Schmidt-Partei.
In respektvoller Erinnerung bleiben wird er vor allem als jener „Altkanzler“, der die Republik nach dem Abschied aus der Politik von seinem Alterssitz in Hamburg aus beobachtete und kommentierte. In dieser Rolle, die nirgendwo offiziell vorgesehen und beschrieben ist und die er sich selbst auf den Leib schneiderte, gewann Helmut Schmidt im Laufe der Jahre eine schon fast mythische Statur. Er wurde zum verehrten Welterklärer und Über-Präsidenten der alten und auch der neuen Bundesrepublik. Zu einer nationalen Institution.
der bundesdeutsche „Altkanzler“ schlechthin
Nur gut acht Jahre lang, von 1974 bis 1982, hat Schmidt tatsächlich im Bonner Bundeskanzleramt regiert. Insgesamt 33 Jahre lang war er in der aktiven Politik - von seinem Eintritt in die SPD 1949 bis zu seinem Sturz durch Helmut Kohl am 1. Oktober 1982.
Noch einmal 33 Jahre lang war er danach der bundesdeutsche „Altkanzler“ schlechthin. Durchaus eitel und an seinem eigenen Denkmal bastelnd, autoritär und manchmal schneidend arrogant, so wie er einst auch als „Schmidt Schnauze“ im Parlament Karriere gemacht hatte. Im hohen Alter oft nur noch mit knappen, wegwerfenden Bemerkungen und Orakeln. Als der letzte Deutsche, der nach Gutdünken überall rauchen durfte, wurde er schließlich sogar noch eine Kultfigur der Comedy-Gesellschaft.
Aber Schmidt setzte einen Maßstab, er verkörperte eine Herangehensweise an die Politik, die bei seinen Nachfolgern immer seltener zu werden schien: Diszipliniert und bescheiden im Auftritt, hart auch gegen sich selbst, leidenschaftlich interessiert an der Sache, bis zuletzt intensiv beschäftigt mit den großen Fragen einer sich dramatisch ändernden Welt. Einer der über Verantwortung nachdenkt, statt Gesinnung zu pflegen. Eigensinnig und unbestechlich im Urteil. Das krasse Gegenteil von provinziellen Blendern und Abgreifern, die vor allem nach Umfragen und Pöstchen schielen.
stilprägend und beeindruckend
Dieser „Altkanzler“ lag keineswegs immer richtig. Und er hatte es natürlich auch leicht, weil er selbst keine Wahlen mehr gewinnen musste. Der späte Versuch, seinen Hamburger Schachgenossen Peer Steinbrück gleichsam als Schmidt-Enkel ins Kanzleramt zu bugsieren – nachdem bislang in der SPD ja immer die Brandt-Enkel und -Urenkel das Sagen gehabt hatten – scheiterte 2013 kläglich.
Aber Schmidt war dennoch stilprägend und beeindruckend. Er hat als Bundeskanzler keine ganz große Geschichte geschrieben. Für seine Nachfolger und Nachfolgerinnen ist es trotzdem kein leichter Gedanke, dass man sie immer auch an diesem Helmut Schmidt messen wird.