Im Fall von Russland waren es deutsche Energie- und Chemiekonzerne wie Eon oder BASF, die Deutschland über Jahre in eine gefährliche wirtschaftliche und politische Abhängigkeit getrieben haben. Im Fall von China sticht eine andere Branche durch ihre geopolitische Blindheit hervor: die Automobilindustrie. Die Verhaltensmuster gleichen sich: Solange man gutes Geld verdienen kann, schert man sich nicht um die wachsende Abhängigkeit. Man zieht andere Branchen mit ins Boot. Und sichert die eigenen Sonderinteressen durch eine geschickte Lobby-Arbeit politisch als angebliches „deutsches Interesse“ ab.
Im Fall von Russland gibt es inzwischen keinen Zweifel mehr, wie teuer Geschäfte mit einer Diktatur am Ende ausgehen können. Und zwar für die ganze deutsche Volkswirtschaft. Im Fall von China dürfte auch die gesamte deutsche Industrie büßen, wenn das Kartenhaus von BMW, Mercedes und VW erst einmal in sich zusammenstürzt. Die Autokonzerne erwirtschaften mittlerweile zwischen 40 und 50 Prozent ihre Gesamtumsätze in einem Land, das sich unter seinem Führer Xi Jinping streckenweise bereits genauso aggressiv verhält wie Wladimir Putins Reich der Finsternis. Nach innen überholt die chinesische Gewaltherrschaft mit ihren Menschenrechtsverletzungen sogar noch deutlich die russische.
China entfernt sich immer weiter vom Westen
Männer wie Mercedes-Chef Ola Källenius wollen davon jedoch nichts wissen. Im Interview mit dem Handelsblatt ließ sich der Vorstandschef in der letzten Woche zu einer Formulierung hinreißen, die seine zynische Haltung gegenüber China auf den Begriff bringt. Auf die Frage nach einer möglichen Neubewertung seines China-Risikos im Licht der Erfahrungen mit Folter und Zwangsarbeit in der Provinz Xinjiang kam die Antwort, China verfolge nun einmal nicht „exakt das gleiche politische Modell wie Deutschland“. Wenn das tatsächlich so wäre, brauchte man sich in der Tat keine Sorgen machen um einen Konzern, der sich in eine vollständige Abhängigkeit von einem einzigen Land gebracht hat. In Wahrheit verfolgt China unter Xi Jinping eine Politik, die sich diametral und grundsätzlich von westlicher Politik unterscheidet: Säbelrasseln statt Friedenspolitik, Kriegsdrohungen gegen Taiwan statt einem klaren Bekenntnis zur Unverletzbarkeit der Grenzen, immer stärkere Unterdrückung nach innen statt Demokratie, zurück zur Staatswirtschaft statt vorwärts zur Marktwirtschaft.
Nun könnte man es den Aktionären der Autokonzerne überlassen, sich mit dieser kurzsichtigen Haltung zu befassen, wenn die betreffenden Unternehmen nur ihre eigenen Aktiva ins Feuer stellten. Aber sie haben ihre Zulieferer in den vergangenen Jahren gezwungen, ihnen nach China zu folgen. Und sie haben durch ihren großen Einfluss auf die Bundesregierung alles getan, um Deutschland immer tiefer in eine naive technologische Zusammenarbeit mit China hineinzuziehen. Auch bei vielen Rohstoffen, zum Beispiel Seltenen Erden, sind wir durch diesen Kurs inzwischen zu fast 100 Prozent abhängig vom Reich der Mitte. In Angela Merkels Regierungszeit gingen die Autolobbyisten im Kanzleramt ein uns aus wie die Interessenvertreter keiner zweiten Branche. Auch ihr Nachfolger Olaf Scholz gibt sich wie viele seiner Parteifreunde als Automann.
Lediglich die grünen Koalitionspartner drängen auf eine neue China-Politik. Ob sie sich damit aber wirklich durchsetzen können, ist noch keineswegs ausgemacht. Immerhin gibt eine Einzelentscheidung von Wirtschaftsminister Robert Habeck Anlass zur Hoffnung: Die Regierung verweigert dem VW-Konzern weitere Staatsgarantien für Investitionen in China, wenn sie dem Werk in der Zwangsarbeiterprovinz Xinjiang zugutekommen könnten. Ein kleiner, aber ein guter Schritt.