Just in diesem Moment dürfte es schon wieder passiert sein. In Berlin wurde wahrscheinlich gerade schon wieder ein neues Startup geboren. Alle reden über die neue Gründerzeit an der „Silicon Allee“. Die New York Times schreibt regelmäßig über Europas neues Startup-Paradies, sogar Mark Zuckerberg tauchte vergangene Woche in Berlin auf. Und mittlerweile hat es auch die Politik kapiert. Deswegen hat Wirtschaftsminister Philipp Rösler auch den bärtigen Neu-Nerd Kai Diekmann im Silicon Valley umarmt.
Soweit alles bekannt. Doch Vorsicht: Der Hype in Berlin ist irreführend. Zwar sprießen jede Woche neue Startups unterm Fernsehturm. Das Risikokapital in der Hauptstadt hat sich seit 2009 fast vervierfacht. Doch jenseits der Berliner Stadtgrenzen ergibt sich ein ganz anderes Bild: Seit 2008 ist das investierte Wagniskapital bundesweit von 1,1 Mrd. Euro auf 520 Mio. Euro im vergangenen Jahr geschrumpft, wie Zahlen vom Investoren-Verband BVK zeigen. Ein deutlicher Rückgang auch gegenüber 2011, als es noch über 700 Mio. Euro waren. Ziemlich erstaunlich - ist Deutschland doch seit der Eurokrise eigentlich sicherer Hafen für Kapital aus der ganzen Welt. Offenbar fließt es aber eher in Immobilien als in Startups.
Die Zahlen weisen auf ein Problem hin, dass bei allem Hype um Berlins Internetbuden gerne übersehen wird. Die deutsche Venture-Capital-Branche ist global betrachtet immer noch unterentwickelt. Große Wagniskapitalgeber deutscher Herkunft - so genannte VCs - sind rar. Im Vergleich zu den USA sind die Fondsvolumen immer noch ein Witz. Zwar ist es in den letzten Jahren leichter geworden, in der Frühphase einer Gründung eine halbe Million einzusammeln. Doch schwieriger wird es, wenn es später um größere Summen geht, um fünf oder zehn Millionen für die Expansion. Für deutsche Startups heißt das: In den Kindertagen werden sie zwar noch gefüttert. Beim Schritt zum Erwachsenwerden tut sich dann aber eine Hürde auf.
Da muss man sich nicht wundern, dass außer Zalando und SAP bislang kaum große IT-Marken Made in Germany entstanden sind. Twitter, Google, Facebook – die globalen Player sind amerikanisch. Und wenn sich nicht mehr tut beim Thema Wagniskapital in Deutschland könnte das auch so bleiben. Egal wie viele kleine Startups in Berlin täglich geboren werden.
In den USA tummeln sich Fonds mit Volumen von einer halben Mrd. Euro. Auch in England sieht es besser aus. Die Zahl der deutschen Wagniskapital-Fonds mit mehr als 100 Mio. Euro dagegen ist überschaubar. Für sie gibt es viel weniger Quellen für frisches Geld, das sie in junge Firmen reinvestieren können.
Woran liegt das? Zum einen hat es historische Gründe. In den USA hat Wagniskapital eine lange Tradition, begann sich bereits nach dem Zweiten Weltkrieg herauszubilden. In den 70ern nahm die Zahl privater VCs zu. Damit ist die Branche heute etablierter. So etabliert, dass dort auch große institutionelle Anleger Geld in Fonds für junge Firmen stecken. Hierzulande ist das teils allein schon in den Statuten untersagt. Eine richtige Wagniskapitalbranche entstand hier erst Ende der 90er Jahre im Zuge der Internetblase – und erhielt mit dem Platzen selbiger auch gleich einen Kratzer.
Risikobereitschaft fehlt
Das Ganze hat auch eine kulturelle Dimension. Seien wir ehrlich: Deutsche sind für vieles bekannt, aber nicht gerade für ihre Risikobereitschaft. Von Sebastian Vettel einmal abgesehen. Das gilt eben auch beim Geldanlegen. Zwar wird verstärkt in Unternehmensanleihen investiert, nachdem viele Staatsanleihen als nicht mehr sicher gelten. Doch von einem Spill-Over für Startups ist zumindest bislang nichts zu sehen.
Im Gegenteil: Die KfW meldete vergangene Woche sogar, dass die Zahl der Firmengründungen bundesweit auf einem Tiefpunkt ist. 2012 wurde in Deutschland so wenig gegründet wie seit den 90er-Jahren nicht mehr. Und das in einer Zeit, in der es in der deutschen Wirtschaft insgesamt so rund läuft wie seit langem nicht mehr. Trotz Boom kein Mut zum Risiko. Jedenfalls außerhalb Berlins.
Dabei ist auch die Regierung gefragt. In der Geschichte des Silicon Valley spielte der Staat als Impulsgeber eine größere Rolle als viele glauben. Es waren staatlich finanzierte Forschungscluster, die nach dem Krieg den Aufstieg des Valley beflügelten. Und auch heute noch spielen das Militär, die Nasa oder das Energieministerium eine große Rolle als Geldgeber. Sogar die CIA hat eine eigene VC-Gesellschaft namens In-Q-Tel, die schon in fast 200 Firmen investiert hat. Stanfords berühmtes Forschungszentrum SRI bekommt fast zwei Drittel seines Budgets vom Pentagon. Daraus ist zum Beispiel Apples Sprachprogramm Siri hervorgegangen.
Es braucht aber vor allem mehr Verständnis von der Politik. Venture Capital wird viel zu oft in einen Topf mit Hedgefonds und Finanzjongleuren geworfen. Dabei hat es im Gegensatz zu vielen rein spekulativen Finanzgeschäften einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen, mit einem sehr direkten Effekt auf Innovationen und Arbeitsplätze. Es sollten also mehr Anreize und weniger Hürden für VC-Fonds geschaffen werden. So wie es in den USA, England aber auch Frankreich der Fall ist.
Und was machen Sie jetzt daraus? Investieren Sie doch mal ein paar Euros in eine junge Firma statt immer nur in Aktien. Und umarmen Sie einfach ab und zu mal einen Wagniskapitalgeber.
Martin Kaelble schreibt immer montags an dieser Stelle über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.