Bayraktar, Javelin und NLAW Mit leichten Nato-Waffen gegen russische Schwachstellen

Die in der Türkei hergestellte Kampfdrohne Bayraktar TB2 2021 auf einer Messe in Istanbul
Die in der Türkei hergestellte Kampfdrohne Bayraktar TB2 2021 auf einer Messe in Istanbul
© Imago / Zuma Wire
Dass russische Panzer die Ukraine nicht blitzartig überrollt haben, verdankt das Land einem vergleichsweise bescheidenen Arsenal: mobile und relativ preiswert High-Tech-Waffen aus Nato-Beständen. Wer produziert diese Waffen?

Sie seien robust, zuverlässig und wettbewerbsfähig: Fast neidisch soll ein Konkurrent die Drohne Bayraktar TB2 so gelobt haben. Die Türken hätten damit am Flughimmel so etwas wie die Kalaschnikow des 21. Jahrhunderts erfunden: ebenso preisgünstig und einfach in der Anwendung. Die unbemannte Kampfdrohne ist 650 Kilogramm schwer, kann mit einer Flügelspanne von zwölf Metern 27 Stunden lang mit mehr als 220 Stundenkilometern fliegen. Wie sie – ausgestattet mit lasergesteuerten Leichtraketen – russische Ziele zerstört, hat die ukrainische Militärführung auf Bildern in sozialen Medien stolz dokumentiert.

Kriegsentscheidend wird die türkische Waffe mit einem Aktionsradius von 150 Kilometern in dem Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht sein, sagen Militärexperten. Aber sie könnten Nachschubwege empfindlich stören. Doch Bayraktar wird gefeiert als Widerstandssymbol des ukrainischen Davids gegen den militärisch überlegenen Goliath Russland, nachdem einige Dutzend der in Ankara eingekauften Drohnen zahlreiche Panzer, Raketenwerfer und Lkw zerstörten – und auch in der Aufklärung wertvolle Dienste leisten.

Schon 2019 ist die Regierung in Kiew einen ersten Drohnen-Deal mit dem Nato-Mitglied eingegangen. Sie kosteten weniger als 2 Mio. Dollar und seien damit ungleich billiger als ein Kampfjet, sagen Experten. Ukrainische Militärs wurden in den Werkshallen von Baykar Technologies eingewiesen. Ende 2020 machte die Drohne im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach von sich Reden. Im ukrainischen Bürgerkrieg gegen russische Separatisten im östlichen Donbass wurde Bayraktar erstmals im April 2021 eingesetzt. Überliefert ist ein Telefonat Putins mit Präsident Recep Tayyip Erdogan Ende des Jahres, in dem er der Türkei „provokatives“ und „zerstörerisches“ Handeln vorwarf.

Family Affairs

Das Flugobjekt, das in wenigen Jahren in mehr als 15 Ländern zum Exportschlager wurde, gehört quasi zur Präsidentenfamilie Erdogans. Chief Technology Officer (CTO) ist der Schwiegersohn des Staatspräsidenten, Selcuk Bayraktar. Dessen Bruder Haluk, CEO des Herstellers Baykar, gibt die Exporterlöse aus bewaffneten und unbewaffneten Drohnen für 2021 mit 664 Mio. Dollar an. Derzeit laufe eine Vertriebsoffensive in Asien, berichtet die Financial Times; Malaysia und Indonesien sollen bereits Interesse bekundet haben. Kunden wie Katar beziehen neben Drohnen auch türkische Altay-Panzer des Herstellers BMC, der zu den Top-100-Rüstungsfirmen der Welt gehört.

Ankara hat in den vergangenen Jahren den Militärsektor gezielt ausgebaut. Es ist Teil der Strategie, dem einst mächtigen Generalstab die Entscheidungsgewalt über den Rüstungskomplex zu entziehen – und an Gewährsleute der Regierungspartei AKP zu verteilen. 2018 wurde als Ziel ausgegeben, das Exportvolumen  bis 2023 auf 25 Mrd. Dollar mehr als zu verzehnfachen. Seit die AKP mit Erdogan vor 20 Jahren an die Macht kam, hat sie mit ihrer eigenen Rüstungsproduktion die Abhängigkeit vom Ausland drastisch reduziert. 2019 konnte die Regierung nach eigenen Angaben 70 Prozent ihres Bedarfs an Militärausrüstung selbst decken, wie die Friedrich-Naumann-Stiftung in dem Jahr berichtete.

Ausführlich getestet wurden die in etwa 6000 Meter Höhe operierenden Kampfdrohnen im innertürkischen Konflikt mit kurdischen Aufständischen. In den Jahren 2005 bis 2009 leitete der Entwickler der Drohnentechnologie Özdemir Bayraktar in Südosten der Türkei die Testserien. Die Familie des vergangenen Herbst verstorbenen Firmengründers stammt wie die Erdogans aus der Schwarzmeerregion um die Städte Rize und Trabzon.

Ihre Drohne hat aber auch in Russland inzwischen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Der russische Kommandeur eines Luftabwehrbatallions, der zwei Bayraktar TB2 abschoss, wurde von Moskau als „Held Russlands“ geehrt. Wäre die nächste Generation TB3 oder das Nachfolgemodell Akinci schon im Einsatz gewesen, hätte es in der Ukraine viel mehr Helden gegeben, meinen Experten. Die neuen Modelle sollen dem US-Fabrikat MQ-9 Reaper ebenbürtig und in der Ausstattung mit KI sogar überlegen sein. Mit 20 Meter Flügelbreite könnten sie in mehr als 10.000 Meter Flughöhe auch bis zu 1,5 Tonnen, Waffen, Kameras oder Sensoren tragen – zehnmal mehr als die TB2.

Panzer zu Land aufhalten

Sobald jedoch das russische Kommando seine Luftwaffe großflächiger einsetzt als bisher, wird es für die Bayraktar zu eng am Himmel. Dann sind die Möglichkeiten des unbemannten Flugzeugs begrenzt.

Auf dem Boden wird die ebenfalls zur Wunderwaffe erhöhte Javelin-Rakete gefeiert. Auch sie hat in der Widerstandskraft der ukrainischen Bodentruppen hohe Symbolkraft erlangt. Ihre Kunst ist es, schwer gepanzerte Einheiten mit geringen Mitteln verheerende Schäden zuzufügen. Sie sind zu tausenden aus verschiedenen Nato-Ländern in der Ukraine eingetroffen – als wichtiges Rückgrat in der Abwehr der Invasion. Die US-Regierung hat Kiew gerade eine neue Lieferung zugesagt.

Anders als die Hightech-Waffen aus der Türkei ist die Panzerabwehrwaffe Javelin ursprünglich ein Kind des Kalten Krieges. Konzipiert wurde sie für den Fall, einen Landkrieg gegen russische Truppen auf europäischem Boden führen zu müssen. Das selbstlenkende hochexplosive Panzerabwehrgeschoss (HEAT) wird von der Schulter aus abgefeuert und zerstört mit zwei Sprengköpfen die meisten Panzerungen. Der Turm eines Panzers ist seine schwächste Stelle.

Ukrainische Soldaten bei einer Übung mit Javelin-Panzerabwehrraketen in der Region Donezk im Dezember 2021
Ukrainische Soldaten bei einer Übung mit Javelin-Panzerabwehrraketen in der Region Donezk im Dezember 2021
© IMAGO / ZUMA Wire

Die Ukraine hat das System bereits seit 2018 in ihren Beständen, und es hat sich in den ersten Kriegswochen als besonders effektiv erwiesen. Es ist wiederverwendbar, seine 23 Kilo können von einzelnen Soldaten gut transportiert werden, und es eignet sich dank einer Zündung in zwei Stufen besonders im Häuserkampf: Aus Gebäuden fliegt die Rakete zuerst in hohem Bogen nach oben, um den Panzer im Sturzflug am Turm zu treffen. Nach dem Lehrbuch könne kleine Einheiten damit aus dem Hinterhalt zuschlagen – „fire and forget“ – und verschwinden, bevor sie entdeckt werden.

Weniger Stoff für Legenden liefern offenbar die ähnlich wie die Javelin funktionierenden NLAWs aus britisch-schwedischer Hand. Auch davon hat die Ukraine zuletzt 2000 Stück von der Regierung in London geliefert bekommen. Die NLAWs sind simpler und kürzer in der Reichweite, dafür auch billiger und schneller zu ersetzen.

Laut dem Militärblog Oryx hat die ukrainische Abwehr in drei Wochen Krieg 235 russische Panzer und 148 gepanzerte Fahrzeuge, 213 Infanteriefahrzeuge, 69 Truppentransporter und zahlreiche Raketenwerfer außer Gefecht gesetzt. In der russischen Luftwaffe seien 45 Flugzeuge und Helikopter zerstört oder beschädigt worden. Zur Luftabwehr hat auch Deutschland mit 500 amerikanischen Stinger-Raketen und 2700 Strela-Waffen aus Beständen der ehemaligen DDR beigetragen. Strela ist das russische Wort für Pfeil. Bayraktar bedeutet so etwas wie Fahnenträger.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel