Bereits kurz nach seiner Übernahme von Twitter wurde klar, in welcher finanziellen Schieflage das Unternehmen war. Teilweise, weil Twitter nie große Gewinne erwirtschaften konnte, teils aber auch, weil Musk dem Unternehmen durch den enormen Kaufpreis einen zusätzlichen Schuldenberg aufgelastet hatte. Hinzu kam ein chaotisches Durcheinander, welches bestehende Einnahmequellen teilweise versiegen ließ.
Im April wollte der Neu-Eigner wieder positive Schlagzeilen – und verkündete in einem Interview mit der „BBC“, dass die meisten Werbekunden nach anfänglicher Unsicherheit zurückgekehrt seien. Über eine Korrektur seiner Aussagen musste er sich zunächst keine Sorgen mehr machen, da Twitter nicht länger an der Börse notiert ist und keine Zahlen mehr veröffentlichen muss.
Twitter-Mitarbeitende in Sorge
So ganz scheint die heile Werbewelt für Twitter aber doch nicht zurückgekehrt zu sein, wie nun die „New York Times“ berichtet. Denn aus einer internen und demnach vertraulichen Präsentation von Twitter gehe hervor, dass die Umsätze im Werbesegment in der ersten Maiwoche bei 88 Mio. US-Dollar lagen. Im gleichen Zeitraum im Vorjahr, also zu einem Zeitpunkt, an dem Musk noch nicht in die Geschicke des Unternehmens involviert war, waren sie 59 Prozent höher.
Aus der Präsentation geht auch hervor, dass Twitter zuletzt viele Umsatzprognosen um bis zu 30 Prozent verfehlt habe und offenbar selbst nicht korrekt einschätzen kann, wie sich die Situation entwickelt. Sieben aktuelle und ehemalige Mitarbeitende sprachen gegenüber der „New York Times“ von düsteren Aussichten.
In einem Call am Montag mit dem umstrittenen US-Demokraten und Impfgegner Robert F. Kennedy Jr. sprach Musk über die Werberückgänge. Seinen Aussagen zufolge sei Twitter auf dem Weg aus der Verlustzone, aber noch nicht in der Gewinnzone angekommen. Die fehlenden Gelder stammen vor allem aus Europa und Nordamerika, weniger aus anderen Teilen der Welt. Musk erklärte, dass das mit seiner eisernen Durchsetzung der Redefreiheit auf Twitter zusammenhänge, was viele Konzerne nicht gutheißen würden.
Elon Musk geht von Manipulation durch Aktivisten aus
Von Seiten der Werbekunden gäbe es „extremen Druck gegen Redefreiheit“, so Musk. Er bezeichnete diesen Druck als „fundamentales Verderben der Demokratie“ und forderte, dass sich die Gesellschaft dagegen auflehnen müsse. Es seien Gegner der Meinungsfreiheit, die versuchen würden, seine Plattform in den Ruin zu treiben. Der US-Milliardär vermutet, dass Aktivisten die Konzerne unter Druck setzen würden, nicht mehr bei Twitter zu werben.
Fünf Twitter-Alternativen
Die größten Chancen zum „Twitter-Killer“ zu werden, besitzt aktuell wohl Threads – eine App, die Facebook-Mutterkonzern Meta veröffentlicht hat. Threads sieht Twitter sehr ähnlich und funktioniert auch so. Meta selbst formuliert es anders und sagt, Threads sei nicht wie Twitter, sondern wie Instagram – nur mit Texten statt Bildern. Ein Vorteil ist offensichtlich: Nutzerinnen und Nutzer können denselben Personen folgen, denen sie schon auf Instagram folgen. Nutzer können sich auch direkt über Instagram anmelden.
Konkurrenz erhält Twitter ausgerechnet von seinem Gründer Jack Dorsey. Bluesky wirbt vor allem mit seinem dezentralen Ansatz. Im Gegensatz zu Diensten wie Twitter, Tiktok und Co., die zentral über Server der Betreiberunternehmen laufen, können sich die Nutzerinnen und Nutzer bei dezentralen Plattformen über viele kleine Server registrieren. Die Betreiber der Server sind etwa Einzelpersonen, die jeweils eigene Regeln für ihre Server aufstellen – sie sind nicht vom Netzwerk vorgegeben. Die Profiloberfläche ist der von Twitter sehr ähnlich. Nutzerinnen und Nutzer können sich einen Benutzernamen mit @-Handle erstellen, sie haben ein Profilbild, einen Hintergrund und ihnen werden Follower-Zahlen und gefolgte Accounts angezeigt. Die Posts, die Nutzer verfassen können, dürfen eine Länge von bis zu 256 Zeichen haben und Fotos beinhalten. Die Beiträge lassen sich über eine Plus-Schaltfläche erstellen.
Der bekannteste Twitter-Konkurrent dürfte aktuell wohl Mastodon sein. Ähnlich wie Bluesky setzt die Plattform auf einen dezentralen Ansatz, und war hierfür auch der Vorläufer. Angemeldete Nutzer können Kurznachrichten, ähnlich wie beim Messenger-Dienst Telegram, verbreiten. Diese werden „Toots“ genannt und dürfen maximal 500 Zeichen enthalten. Die Toots können anschließend kommentiert, geteilt und favorisiert werden. Mastodon erreichte infolge der Twitter-Übernahme ein rasantes Nutzerwachstum. Innerhalb eines Jahres verdoppelte die Plattform ihre Nutzerzahl von 5,03 Mio. auf 11,2 Mio. – wobei die Zahl der monatlichen Nutzer zuletzt wieder rückläufig war. Viele kritisieren beispielsweise, dass die Plattform aufgrund ihrer Dezentralität zu unübersichtlich sei.
Spoutible will die früheren Reize von Twitter wiederbeleben – also einen Ort schaffen, an dem vielfältige Menschen ihre Gedanken teilen. Auch optisch erinnert Spoutible stark an sein Vorbild, und ist anders als Bluesky und Mastodon eine zentrale Plattform. So finden Begegnungen zwischen Usern aller Art statt, was dem Anspruch der Plattform entspricht. Spoutible versteht sich als inklusive und explizit positive Gemeinschaft. Der Diskurs soll radikal konstruktiv sein, und Spoutible setzt hierfür auch auf Content-Moderation. Bislang kommt dies laut Nutzerumfragen gut an. Fraglich bleibt aber, ob die Moderation auch einem potenziellen Nutzerwachstum standhalten kann.
Post präsentiert sich sehr ähnlich zu Spoutible: Auch hier soll es gesitteter und konstruktiver zugehen. Im Gegensatz zu Spoutible will Post allerdings auch weitere Multiplikatoren wie Nachrichtenportale und Journalisten anlocken. Dazu bietet es eine Payment-Lösung an, wo User für Artikel und anderen Content direkt über die Plattform bezahlen können. Unterstützt wird die Plattform unter anderem durch den bekannten Investor Andreessen Horowitz (A16z), der beispielsweise in den E-Scooter-Verleiher Lime und die Buchungsplattform Airbnb investiert ist.
Artifact fällt etwas aus der Reihe, da es eigentlich keine Social-Media-, sondern eine News-Plattform ist. Nutzerinnen und Nutzer bekommen hier einen personalisierten Nachrichtenfeed von verschiedenen Artikeln. Die Inhalte können sowohl von bekannten Medienmarken als auch von kleineren Blogs stammen. Nutzerinnen und Nutzer können die Beiträge zwar kommentieren, aber keine eigenen Inhalte schaffen. Gegründet wurde Artifact von Instagram-Mitgründer Kevin Systrom, der sich für sein Start-up von Tiktok inspirieren ließ. Dessen Erfolg basiert zu einem großen Teil auf einem besonders ausgeklügelten Algorithmus, der Usern zielgenaue Kurzvideos vorschlägt. Eine ähnliche künstliche Intelligenz setzt nun auch Artifact ein.
Laut der „New York Times“ seien die Verantwortlichen für Werbekunden bei Twitter über gänzlich andere Entwicklungen besorgt. Demnach sehen sie die Ursachen für den Buchungsrückgang eher in der deutlich schlechteren Moderation der Plattform und einen Anstieg von Hassrede, mit der Unternehmen nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Außerdem habe sich die Anzahl von Werbung für Online-Kasinos und legales Marihuana stark erhöht, was für einige Altkunden ebenfalls ein unattraktives Umfeld zu schaffen scheint.
Rechtsruck bei Twitter – und neue CEO an Bord
Das „ZDF Magazin Royale“ um den Satiriker Jan Böhmermann hatte zuletzt eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kam, dass sich im deutschsprachigen Twitter „antisemitische Tweets verdoppelt“ hätten, „Hate-Speech-Accounts entsperrt“ worden seien und Twitter durch das kostenpflichtige Abo zu einer „Zwei-Klassen-Plattform“ geworden sei. Konkrete Zahlen lieferte die Studie auch. So habe eine Ansammlung von rechten Accounts im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 64 Prozent mehr veröffentlicht – während die Zahl von Tweets insgesamt zurückgegangen sei. Dadurch entstehe der Eindruck, die Plattform sei nach rechts gerückt. Hinzu kommen umstrittene Tweets von Elon Musk selbst, der mehr als 100 Millionen Followern immer wieder kontroverse Nachrichten in die Timeline spült, darunter Nachrichten, die antisemitisch verstanden werden können.
Für die neue Twitter-Chefin Linda Yaccarino, die Anfang der Woche den Posten als neue CEO von Twitter übernahm und nun für Elon Musk arbeitet, wird es keine leichte Aufgabe zu sein, das Unternehmen in die schwarzen Zahlen zu bringen und gleichzeitig auf die Anforderungen des Eigners einzugehen, die sich zudem rasant ändern können.
Da es Twitter auch weiterhin an Einnahmequellen abseits der Werbung fehlt, ist die Rückkehr zahlungskräftiger Kunden überlebenswichtig. Rund 90 Prozent der Finanzen entstammen bisher den Buchungen – nur ein Bruchteil kam seit Gründung der Plattform aus anderen Quellen. Mit Twitter Blue, dem monatlichen Abo für mehr Reichweite und einige exklusive Funktionen, wird Musk die Verluste kaum auffangen können. Eine aktuelle Studie von Fidelity schätzt den aktuellen Marktwert des Kurznachrichtendienstes auf nur noch 15 Mrd. US-Dollar – Musk hatte Twitter für 44 Mrd. US-Dollar gekauft.
Der Beitrag ist zuerst auf stern.de erschienen