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Geleakte Präsentation „Druck gegen Redefreiheit“: Twitter laufen die Werbekunden weg

Twitter-Eigentümer Elon Musk
Offiziell soll es Twitter laut Elon Musk finanziell bestens gehen – interne Präsentationen sprechen derweil eine andere Sprache
© Michel Euler / picture alliance/AP
Twitter geht es finanziell nicht gut – seit der Übernahme durch Elon Musk sind die Werbeeinnahmen stark eingebrochen. Der US-Milliardär wittert hinter den Zahlen eine persönliche Fehde – sieht sich selbst aber nicht als Auslöser

Bereits kurz nach seiner Übernahme von Twitter wurde klar, in welcher finanziellen Schieflage das Unternehmen war. Teilweise, weil Twitter nie große Gewinne erwirtschaften konnte, teils aber auch, weil Musk dem Unternehmen durch den enormen Kaufpreis einen zusätzlichen Schuldenberg aufgelastet hatte. Hinzu kam ein chaotisches Durcheinander, welches bestehende Einnahmequellen teilweise versiegen ließ.

Im April wollte der Neu-Eigner wieder positive Schlagzeilen – und verkündete in einem Interview mit der „BBC“, dass die meisten Werbekunden nach anfänglicher Unsicherheit zurückgekehrt seien. Über eine Korrektur seiner Aussagen musste er sich zunächst keine Sorgen mehr machen, da Twitter nicht länger an der Börse notiert ist und keine Zahlen mehr veröffentlichen muss. 

Twitter-Mitarbeitende in Sorge

So ganz scheint die heile Werbewelt für Twitter aber doch nicht zurückgekehrt zu sein, wie nun die „New York Times“ berichtet. Denn aus einer internen und demnach vertraulichen Präsentation von Twitter gehe hervor, dass die Umsätze im Werbesegment in der ersten Maiwoche bei 88 Mio. US-Dollar lagen. Im gleichen Zeitraum im Vorjahr, also zu einem Zeitpunkt, an dem Musk noch nicht in die Geschicke des Unternehmens involviert war, waren sie 59 Prozent höher.

Aus der Präsentation geht auch hervor, dass Twitter zuletzt viele Umsatzprognosen um bis zu 30 Prozent verfehlt habe und offenbar selbst nicht korrekt einschätzen kann, wie sich die Situation entwickelt. Sieben aktuelle und ehemalige Mitarbeitende sprachen gegenüber der „New York Times“ von düsteren Aussichten.

In einem Call am Montag mit dem umstrittenen US-Demokraten und Impfgegner Robert F. Kennedy Jr. sprach Musk über die Werberückgänge. Seinen Aussagen zufolge sei Twitter auf dem Weg aus der Verlustzone, aber noch nicht in der Gewinnzone angekommen. Die fehlenden Gelder stammen vor allem aus Europa und Nordamerika, weniger aus anderen Teilen der Welt. Musk erklärte, dass das mit seiner eisernen Durchsetzung der Redefreiheit auf Twitter zusammenhänge, was viele Konzerne nicht gutheißen würden. 

Elon Musk geht von Manipulation durch Aktivisten aus

Von Seiten der Werbekunden gäbe es „extremen Druck gegen Redefreiheit“, so Musk. Er bezeichnete diesen Druck als „fundamentales Verderben der Demokratie“ und forderte, dass sich die Gesellschaft dagegen auflehnen müsse. Es seien Gegner der Meinungsfreiheit, die versuchen würden, seine Plattform in den Ruin zu treiben. Der US-Milliardär vermutet, dass Aktivisten die Konzerne unter Druck setzen würden, nicht mehr bei Twitter zu werben.

Laut der „New York Times“ seien die Verantwortlichen für Werbekunden bei Twitter über gänzlich andere Entwicklungen besorgt. Demnach sehen sie die Ursachen für den Buchungsrückgang eher in der deutlich schlechteren Moderation der Plattform und einen Anstieg von Hassrede, mit der Unternehmen nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Außerdem habe sich die Anzahl von Werbung für Online-Kasinos und legales Marihuana stark erhöht, was für einige Altkunden ebenfalls ein unattraktives Umfeld zu schaffen scheint.

Rechtsruck bei Twitter – und neue CEO an Bord

Das „ZDF Magazin Royale“ um den Satiriker Jan Böhmermann hatte zuletzt eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kam, dass sich im deutschsprachigen Twitter „antisemitische Tweets verdoppelt“ hätten, „Hate-Speech-Accounts entsperrt“ worden seien und Twitter durch das kostenpflichtige Abo zu einer „Zwei-Klassen-Plattform“ geworden sei. Konkrete Zahlen lieferte die Studie auch. So habe eine Ansammlung von rechten Accounts im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 64 Prozent mehr veröffentlicht – während die Zahl von Tweets insgesamt zurückgegangen sei. Dadurch entstehe der Eindruck, die Plattform sei nach rechts gerückt. Hinzu kommen umstrittene Tweets von Elon Musk selbst, der mehr als 100 Millionen Followern immer wieder kontroverse Nachrichten in die Timeline spült, darunter Nachrichten, die antisemitisch verstanden werden können.

Für die neue Twitter-Chefin Linda Yaccarino, die Anfang der Woche den Posten als neue CEO von Twitter übernahm und nun für Elon Musk arbeitet, wird es keine leichte Aufgabe zu sein, das Unternehmen in die schwarzen Zahlen zu bringen und gleichzeitig auf die Anforderungen des Eigners einzugehen, die sich zudem rasant ändern können.

Da es Twitter auch weiterhin an Einnahmequellen abseits der Werbung fehlt, ist die Rückkehr zahlungskräftiger Kunden überlebenswichtig. Rund 90 Prozent der Finanzen entstammen bisher den Buchungen – nur ein Bruchteil kam seit Gründung der Plattform aus anderen Quellen. Mit Twitter Blue, dem monatlichen Abo für mehr Reichweite und einige exklusive Funktionen, wird Musk die Verluste kaum auffangen können. Eine aktuelle Studie von Fidelity schätzt den aktuellen Marktwert des Kurznachrichtendienstes auf nur noch 15 Mrd. US-Dollar – Musk hatte Twitter für 44 Mrd. US-Dollar gekauft.

Der Beitrag ist zuerst auf stern.de erschienen

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