„Ich freue mich, mitteilen zu können, dass ich eine neue CEO für X/Twitter eingestellt habe. Sie wird in circa sechs Wochen anfangen!“ – Kürzlich ließ Twitter-Eigner und Noch-CEO Elon Musk die Bombe platzen. Eine Nachfolgerin ist gefunden. „Meine Rolle wird sich in die eines Vorstandsvorsitzenden und CTO verwandeln, der die Bereiche Produkt, Software und Sysops beaufsichtigt“, fügt er hinzu.
Über die Frau, die schon bald die Zügel in der Hand hält, verliert er kein Wort. Schnell fällt aus informierten Kreisen ein Name: Linda Yaccarino. Erst vergangenen Monat führte die Werberin ein langes Interview mit Musk auf dem MMA’s Possible Miami Event. Thema war auch der Spagat, den Elon tagtäglich hinlegen muss, damit er sich um alle seine Firmen kümmern kann. Nach dem Interview war Yaccarino voll des Lobes für ihn – ein Zeichen?
Die Entscheidung, Twitter durch eine andere Person führen zu lassen, traf Musk bereits im Dezember des vergangenen Jahres. Er versprach damals, als CEO zurückzutreten, sobald er eine Person gefunden habe, die „dumm genug ist“, den Job zu machen. Ob es wirklich „dumm“ ist, als Twitter-CEO unter Elon Musk zu arbeiten, wird die Zeit zeigen. Linda Yaccarino brächte jedenfalls passende Voraussetzungen mit, um die wichtigsten Probleme des Kurznachrichtendienstes anzugehen.
Linda Yaccarino könnte Elon Musks Finanzchaos retten
Denn Yaccarino ist eine Werbeexpertin. Nach ihrem Studium an der Pennsylvania State University, welches sie 1985 beendete, benötigte sie lediglich sieben Jahre, bis sie bei Turner, einem US-Medienunternehmen, welches Kabelsender betreibt und mit Filmrechten handelt, zur Verantwortlichen für Werbeerlöse, Marketing und Übernahmen wurde. Nach fast 20 Jahren wechselte sie anschließend zu NBCUniversal. Zunächst wirkte sie auch dort als Sales-Chefin, bevor sie den Vorsitz für Werbung und Partnerschaften übernahm.
Da Musk bereits erklärte, weiterhin vor allem in Sachen Technik die Verantwortung übernehmen zu wollen, wäre die Rolle von Yaccarino klar: Sie müsste dafür sorgen, dass Twitter schnellstmöglich wieder Geld verdient. Zwar versuchte Musk mit Massenentlassungen und brutalen Sparmaßnahmen bereits, das Ruder rumzureißen, aber Twitter ist es bisher nicht gelungen, Gewinne zu erwirtschaften. Das liegt auch daran, dass dem Unternehmen viele Werbekunden fehlen, die aufgrund chaotischer Führung und zahlreicher Kontroversen nicht länger gewillt sind, sich auf Twitter zu zeigen.
Ausgerechnet in dem genannten Gespräch mit Yaccarino sprach er ausführlich über die Probleme, die Twitter derzeit hat – ohne konkrete Zahlen zu nennen (Elon Musk will Hassrede nicht löschen und setzt alles aufs Spiel). Vor rund einem Monat skizzierte er, wie er sich die Zukunft der Plattform vorstellt. Er erklärte, er wolle einen „Mittelweg“, der seinen Anspruch an die oft propagierte „Meinungsfreiheit“ erfüllt, gleichzeitig aber ein attraktives Werbeumfeld schafft. Zuletzt hieß es in einem Bericht des „Wall Street Journal“, dass 37 der ehemals 100 Top-Werbekunden seit der Übernahme von Musk keinen Cent mehr bezahlt haben sollen. Weitere 24 hätten ihre Ausgaben um mindestens 80 Prozent gekürzt.
Das – und viele, viele andere Probleme – wären die ersten Baustellen, um die sich Linda Yaccarino zu kümmern hätte. Sie selbst ist seit 2010 bei Twitter angemeldet und verlor über ihre mögliche Neuanstellung kein Wort. Auch eine Anfrage bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber blieb bislang ohne Ergebnis. Eine Presse-Anfrage bei Twitter wurde mit dem Kackhaufen-Emoji beantwortet.
Linda Yaccarino beriet Trump – und arbeitet für das WEF
Ganz unumstritten ist Linda Yaccarino allerdings nicht. So hat sie 2018 Donald Trump beraten und war für rund zwei Jahre im sogenannten „Rat des Präsidenten für Sport, Fitness und Ernährung“ tätig. In einem Protokoll des jährlichen Treffens von 2018 taucht sie mit mehreren Zitaten auf. Auch wenn daraus nicht hervorgeht, welche politischen Standpunkte Yaccarino vertritt, stößt eine freiwillige Zusammenarbeit mit dem ehemaligen US-Präsidenten vielen sauer auf. Zu Musk hingegen würde es passen – in den vergangenen Monaten näherte er sich zunehmend den Republikanern öffentlich an, deren Vorzeigefigur Trump noch immer ist.
Unter Musk-Fans und Personen, die mit einem blauen Abo-Haken ihre Zuneigung und Zahlungsbereitschaft zeigen, machte sich allerdings ebenfalls Unmut breit. Das liegt offenbar daran, dass Linda Yaccarino seit Anfang 2019 eine Vorstandsvorsitzende des Weltwirtschaftsforums (WEF) ist. Das WEF richtet jedes Jahr ein Treffen von Wirtschaftsbossen und Politikern im Schweizer Kurort Davos aus und ist immer wieder Ziel von Verschwörungsmythen.
Da dort die „globalen Eliten“ in geschützter Atmosphäre zusammenkommen, vermuten viele Menschen, dass dort über das Schicksal der Ottonormalbürger entschieden wird und besonders reiche Menschen aktiv Einfluss auf die Politik nehmen. Und weil sich Yaccarino im Zuge der Pandemie außerdem für Impfstoffe und Maskenpflicht stark gemacht hat, stellen sich besonders Personen, die der Querdenker-Bewegung zugerechnet werden können, schon jetzt gegen sie. Drohungen, Twitter Blue sofort zu kündigen, finden sich in entsprechenden Beiträgen zuhauf.
Yaccarino wäre Elon Musks Chefin – und er ihr Chef
Sollte Linda Yaccarino den Posten als CEO von Twitter wirklich übernehmen, fände sie sich in einer seltsamen Situation wieder, in der eine zumindest ähnliche Denke wie die von Elon Musk für das Überleben unabdingbar wäre. Denn obgleich Musk ankündigte, den Posten als Chef zu räumen und sich auf die technischen Belange des Unternehmens zu stürzen, bliebe er als Eigentümer der Plattform weisungsbefugt. Gleichzeitig wäre Yaccarino aber auch Musks Chefin, da der CTO der CEO untersteht. Wie das bei einem Hitzkopf wie Musk langfristig funktionieren soll, ist fraglich. Denkbar, dass er bei jeder Uneinigkeit sofort die Eigner-Karte zieht und Yaccarino in ihre Schranken weist. Es soll aber niemand sagen können, man habe sie nicht gewarnt. Wie bereits erwähnt, suchte Musk explizit eine Person, die „dumm genug“ ist, den Job zu machen. Mehr Red Flags können nun wahrlich nicht wehen.
Dieser Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen