Die Deutschen trinken zu wenig Wein – zumindest, wenn es nach den Weinbauern im Land geht. Denn Wein schmeckt zwar, aber vielen Kundinnen und Kunden ist er in den vergangenen Jahren zu teuer geworden. Gerade von einkommensschwachen Haushalten und im Restaurant wird er weniger konsumiert als früher.
Damit machen sich nach schwierigen Corona-Jahren nun die nächsten Krisen in der Weinwirtschaft bemerkbar. Die Weinbauern klagen über historisch schlechte Absatz- und Umsatzzahlen und müssen überschüssigen Wein vernichten. Um ihr Überleben zu sichern, müsse das Angebot an Wein kleiner werden, sagen sie. Nur wie, wenn Rebanlagen meist auf Jahrzehnte angelegt sind? Die Weingärtner selbst machen nun einen radikalen Vorschlag: Die Rodung ganzer Weinberge könnte die Lösung sein.
Deutsche Weinbauern fordern Rodungsprämien
Dafür fordern nun mehrere deutsche Weinbauverbände Geld von der Europäischen Union (EU). Marian Kopp hält die Forderung nur für fair. Er ist Geschäftsführender Vorstand der Genossenschaft Lauffener Weingärtner im Landkreis Heilbronn. In Weinbaugenossenschaften schließen sich die Wengerter eines Gebietes zusammen, keltern ihren Wein und vermarkten ihn im Anschluss unter einem gemeinsamen Namen. Sie nennen sich deshalb einen „Mehr-Familien-Betrieb“. In der beliebten Weinregion am Neckar bewirtschaften die Mitglieder-Betriebe Rebflächen von fast 900 Hektar. Davon sind gerade erst zehn Hektar zur Rodung oder Umwidmung zu anderen landwirtschaftlichen Kulturen angemeldet.
Dass Weinberge gerodet werden müssen, steht für Kopp außer Frage. Um rentabel arbeiten zu können, müsse das aktuelle Überangebot an Wein reduziert werden – sprich, es dürfen weniger Trauben produziert werden. „In Frankreich, wo die Krise übrigens noch viel größer ist als hier, gibt es schon sehr viele Rodungsprämien“, sagt Kopp im Gespräch mit Capital. „Wir fordern, dass diese Programme, die es in anderen Ländern bereits gibt, auch für Deutschland gewährt werden.“
Denn ein Überangebot an Wein droht den Markt in Europa zu destabilisieren. Weltweit geht der Weinkonsum zurück, weil Lebensmittel inflationsbedingt teurer geworden sind und gleichzeitig waren die Ernten zuletzt wider Erwarten gut. 2022 produzierte Frankreich sogar 21 Prozent mehr Wein als im Vorjahr. Deutschland kam auf ein Plus von sechs Prozent, wie die internationale staatliche Organisation für Wein und Rebe OIV angibt.
Kartoffeln statt Wein
Armin Gemmrich, Vorstand des Deutschen Instituts für Nachhaltige Entwicklung, das Mitglied im Deutschen Weinbauverband ist, hält die finanzielle Förderung von Rodungen deshalb ebenfalls für richtig. Sonst würden wohl viele Weinbauern pleitegehen. „Das wird eine der wichtigen Lösungen für die Zukunft sein“, sagt Gemmrich zu Capital. „Freiwillig wird in der Landwirtschaft kaum etwas gemacht. Wenn es aber finanzielle Unterstützung gibt und den Bauern ihr Verlust ausgeglichen wird, kann etwas passieren.“
Die Rodung an sich könne man aus Nachhaltigkeitsgründen zwar kritisieren, aber die Entwicklung der Flächen danach biete durchaus Chancen. Diskutiert werden etwa Photovoltaikanlagen an den sonnigen Steilhängen, die sogar für Einnahmen sorgen würden. Allerdings unterliegt ihre Installation Regularien, weshalb sie eher für sehr großflächige Weingüter infrage kommen als für kleine Familienbetriebe.
Auch der Deutsche Weinbauverband hält Photovoltaik für ein relevantes Thema, hat aber noch keine genauen Zahlen vorliegen. Im Jahr 2022 war die bestockte Rebfläche in Deutschland zum ersten Mail seit 2016 leicht rückläufig und betrug knapp 104.000 Hektar, teilt der Verband auf Capital-Anfrage mit. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre sei insgesamt aber noch ein leichtes Wachstum von 1,2 Prozent zu verzeichnen gewesen.
Eine alternative Nutzungsmöglichkeit der Weinberge wären Brachflächen – „so wie in Zeiten vor dem Weinbau“, sagt Gemmrich. „Die Natur erobert den Weinberg dann wieder zurück, aber für die Winzer ist das natürlich schlecht.“
Kopp aus der Hölderlin-Geburtsstadt Lauffen am Neckar glaubt deshalb nicht, dass viele Flächen brachliegen werden. Die sogenannte Konversion von Flächen, also ihre Umwidmung, sei in der Landwirtschaft durchaus üblich, für Weintrauben gelte das genauso. Mehrere Mitglieder-Betriebe der Genossenschaft bauen neben Wein ohnehin schon andere Produkte an wie Kartoffeln, Getreide oder Obst. Als Reaktion auf die Krise könne man das weiter diversifizieren.
Bei den Lauffener Weingärtnern haben sie zuletzt vor allem versucht, sich mit qualitativ höherwertigen und teureren Weinen am wettbewerbsintensiven deutschen Markt zu behaupten und trotzdem sind die Zahlen historisch schlecht. „Wir haben 2023 sieben Prozent weniger verkauft als im Vorjahr und hatten vier Prozent weniger Umsatz“, sagt Kopp. „So einen Rückgang hatten wir seit Jahrzehnten nicht mehr.“ Aus seiner Sicht hat das vor allem zwei Gründe: zum einen den Konsumrückgang bei Verbraucherinnen und Verbrauchern direkt, zum anderen mehr Schließungstage und höhere Preise in der Gastronomie.
EU hat bereits eingegriffen
Um überschüssigen Wein vom Markt zu nehmen, erlaubte die EU vergangenen Sommer bereits die sogenannte Krisendestillation. Dabei wird Wein zu billigem Industriealkohol verarbeitet und so immerhin noch verwendet. Aber wirtschaftlich ist das nicht. Allein im Januar dieses Jahres hat die EU 71 Mio. Euro dafür ausgegeben, der größte Anteil ging an Frankreich.
Auch wenn das Verfahren dort schon gängig sein mag, ist Krisendestillation keine Dauerlösung – mit Brachflächen die Biodiversität zu fördern oder die Steilhänge zur Erzeugung von Sonnenenergie zu nutzen hingegen schon. Zumindest die Umwidmung der Flächen vom Wein- zum Olivenanbau wird in Frankreich auch schon finanziell gefördert.