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Luxus Funkeln aus dem Labor: Ist die Ära der Minen-Diamanten vorbei?

Was auf der „Carrera Plasma Diamant d’Avant-Garde“ von TAG Heuer funkelt, stammt nicht aus dem Erdinneren
Was auf der „Carrera Plasma Diamant d’Avant-Garde“ von TAG Heuer funkelt, stammt nicht aus dem Erdinneren
© PR
Die Diamantenpreise sind im „freien Fall“ und selbst Branchenriesen wie De Beers greifen tief in die Rabattkiste, um kleinere Rohdiamanten in den Markt zu pressen. Derweil boomen Labor-Diamanten

Diese Meldung der Kollegen von „Bloomberg“ kam doch recht überraschend. Die Diamantenpreise seien im „freien Fall“, stand dort, und Branchenriese De Beers würde Kunden ungewohnt hohe Rabatte gewähren, um seine geschürften Rohlinge in den Markt zu drücken. Mehr noch, man biete zudem Rückkäufe an. Kurz: Es könnte sich bald ausgefunkelt haben für Klunker aus der Zeit der Dinosaurier.

Schuld an der Minen-Misere? Die lupenreine Konkurrenz aus dem Labor, also gezüchtete Diamanten in einer Vielzahl möglicher Farben – und zu einem Fünftel oder gar bloß zehn Prozent der Kosten für von Mutter Erde produzierte Steine. Mitverantwortlich, so der Artikel weiter, seien gleichermaßen umweltbewusste und knausrige US-Paare, die kaum Unterschiede machten, ob das Glitzern im Verlobungs- oder Ehering nun aus tiefliegendem Geröll oder einem Mikrowellen-Reaktor stammt.

Das drohende Aus für eine milliardenschwere und nicht zu Unrecht umstrittene Branche oder nur ein vergänglicher Hype wie rosafarbene „Barbie“-Birkenstocks? Für eine „Ja/Nein“-Antwort ist das Business zu komplex, nähern wir uns der Materie also einmal Facette um Facette.

Welche Marktdaten zum Diamantengeschäft sollte man vorab kennen?

Ein genaues Bild der Branche zu erhalten, ist ein schwieriges Unterfangen. Neben mehr oder weniger verlässlichen Zahlen zum weltweiten Minen-Output sowie Import- und Export-Strömen verkomplizieren dauerhaft im Umlauf befindliche Rohdiamanten aus früheren Schürfzeiträumen sowie erneute Ein- und Ausfuhren den Überblick.

Nach Angaben des Kimberley-Prozesses, einem 2003 gestarteten Zertifizierungssystem zur Unterbindung des Schmuggels von Konfliktdiamanten, wurden im Jahr 2022 Rohdiamanten von rund 120 Millionen Karat und mit einem Handelswert von 16,3 Milliarden Dollar zutage gefördert. Dieser Wert vervielfacht sich entlang der Lieferketten und Bearbeitungsschritte bis zur Fassung in einem Schmuckstück. Russland und Botswana führen das Ranking der Produzenten an, während Indien beim Schliff dominiert.

Etwa 60 Prozent der Minenförderung teilen die Unternehmen Alrosa (Russland), De Beers (Luxemburg) und Rio Tinto (Großbritannien/Australien) unter sich auf. Experten vermuten übrigens weitere 1,3 Milliarden Karat unter der Erdoberfläche, davon geschätzte 600 Millionen auf bzw. unter russischem Boden.

Wie stark fallen die Diamantenpreise gerade – und warum?

Im Mittelpunkt der „Bloomberg“-Story steht das Unternehmen De Beers, das bei der Vorstellung seiner Halbjahreszahlen kürzlich einen Rückgang des Umsatzes mit Rohdiamanten von 3,3 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 2,5 Milliarden Dollar bis Ende Juni 2023 einräumen musste. Auch der Bruttogewinn der Gruppe rauschte im Vergleich zu 2022 um 63 Prozent nach unten.

Die CFO Sarah Kuijlaars führte „makroökonomischen Gegenwinde“ (u.a. die Inflation) sowie große Restbestände an geschliffenen Steinen als Gründe an. Zudem seien die Jahre 2021 und 2022 außergewöhnlich gut und schwer zu wiederholen gewesen. Getrübte Verbraucherlaune also, gepaart mit einer Marktkorrektur nach dem Pandemie-Hoch für Gold, Edelsteine sowie (gebrauchte) Luxusuhren. Laut „Bloomberg“-Informationen passte De Beers die Verkaufspreise pro Karat in der Folge bereits mehrfach an, so beispielsweise von 1400 Dollar (Juni 2022) auf etwa 850 Dollar im Juli dieses Jahres. Wobei dieser Abwärtstrend keineswegs alle Gewichtsklassen von Diamanten betrifft, aber dazu gleich mehr.

Im Gespräch mit dem US-Medium räumte das Unternehmen weiterhin ein, dass die wachsende Nachfrage bei im Labor erzeugten Diamanten – mit der Tochter Lightbox ist De Beers auch hier aktiv – ein wenig „kannibalisierend“ gewirkt habe. Deren Anteil am Exportumsatz der Branche hat sich seit 2017 von einem auf neun Prozent gesteigert, und berücksichtigt man das niedrigere Preisniveau der LG-Diamanten („lab-grown“), dürfte sich ihr Mengenvolumen sehr deutlich erhöht haben. Einer der größten Produzenten in diesem Bereich ist China, gefolgt von Indien und den USA.

Warum boomen Labor-Diamanten (gerade jetzt)?

Die eben erwähnte Steigerung bei Produktion und Exporten von gezüchteten Diamanten, besonders innerhalb der letzten fünf Jahre, hat mehrere Gründe. Der offensichtlichste Faktor ist die sich rasant verbessernde Technologie, die Steine von höchster Güte und in Größen jenseits der 30 Karat ermöglicht. Dies führte zu einem wachsenden Interesse bei Schmuckmarken, die nicht geschürfte Diamanten zuvor als „bling“ für billige Dekorationsobjekte, Discount-Preziosen oder industrielle Zwecke abtaten. Dadurch gelang der Sprung vom Onlineshop für „Tinnef“ in die Auslagen der Juweliere und damit in den Mainstream.

Nicht zu unterschätzen ist auch die hohe Sensibilität der Käuferschichten aus Buchstaben-Generationen wie Y, Z oder Alpha gegenüber den sozialen und Umweltfolgen der Minenförderung von Edelsteinen. Gleichzeitig dürften Sanktionen gegen den russischen Konzern Alrosa, der knapp ein Drittel der weltweiten Rohdiamanten schürft, die Suche nach Alternativen beschleunigt haben.

Last not least trägt die andauernde Inflation in den USA und Europa dazu bei, dass Kunden empfänglicher für das gleiche Glitzern zu niedrigerem Preis werden und Marken wie Händler ein passendes Angebot schaffen wollen. Während ein lupenreiner nicht gefasster Neunkaräter aus einer Mine in Botswana für Millionenbeträge versteigert wird, ist die Laborvariante für um die 200.000 Dollar zu haben.

Dementsprechend „bullish“ blicken Analysten auf die Entwicklung des Marktes für von Menschen erschaffene Rohdiamanten: Im Jahr 2030 könnte er Schätzungen zufolge bereits 14,5 Milliarden Dollar wert sein. Große Optimisten sehen gar die Chance, dass die Kategorie „lab-grown“ bis dahin die Minen-Diamanten überholt – je nach Prognose im Karatvolumen oder Gesamtmarktwert, also vom Handel mit ungeschliffenen Steinen bis zum fertigen Ring oder Collier.

Wieso sind die USA bei dieser Entwicklung so wichtig?

Das liegt zunächst einmal daran, dass das Land einer der größten weltweiten Abnehmer für geschliffene Diamanten ist (2021: 54 Prozent). Somit machen sich Veränderungen im Kundengeschmack direkt bemerkbar. Weiterhin besitzen Anlässe wie der Valentinstag, eine Verlobung oder Hochzeit in Nordamerika ein ungleich größeres Verkaufspotenzial für Schmuck als in Deutschland. Nicht zufällig erfand der Juwelier Charles Lewis Tiffany dort anno 1886 den Prototyp des „Willst du mich heiraten?“-Rings mit einer speziellen Fassung, die Diamanten heller funkeln ließ.

Und genau in diesem Segment, bei den Ein- und Zweikarätern, erleben Produzenten wie De Beers derzeit einen Preisrutsch. Wohlgemerkt bei den Rohdiamanten, was eben nicht bedeutet, dass Eheringe zum Schnäppchen aus dem Kaugummiautomaten wurden. Die meist jüngeren Käufer sind jedoch äußerst preisbewusst, auf Nachhaltigkeit bedacht und nicht so stark traditionell auf Diamanten aus der Mine festgelegt. Salopp gesagt: Sollten sich US-Paare zwischen Verlobungsring oder Tickets für Taylor Swift entscheiden müssen, würden sie vermutlich beides wollen und dafür einem Labor-Diamanten den Vorzug geben.

Darauf haben Big Player wie Signet, der größte Diamantschmuckhändler der Welt mit Filialmarken wie Kay, Zales und Jared, mittlerweile reagiert und ordern fleißig gezüchtete Diamanten. Umfragen zufolge will es ihm etwa die Hälfte der inhabergeführten US-Juweliere gleichtun. Auch deshalb, weil sie in der gleichen Branchenumfrage (von MVEye) die Marge im Vergleich zu Diamanten aus der Erde, als zwischen 16 und 40 Prozent höher angeben.

Wie werden Labor-Diamanten eigentlich hergestellt?

Während die Natur zwischen 800 Millionen und drei Milliarden Jahre benötigt, um aus Kohle durch Hitze und Druck einen Diamanten zu formen, klappt das dank innovativer Technik innerhalb weniger Tage bis Wochen. Ein weiterer Bonus: Weder seismische Aktivitäten wie Vulkane oder Erdbeben sind nötig, um die kostbaren Bröckchen in Minne-Reichweite zu bringen, noch diplomatisches Geschick zur Vermeidung gefährlicher politischer Verwicklungen vor Ort.

Die zwei wichtigsten skalierbaren Herstellungsverfahren, in aller Kürze skizziert, sind aktuell:

HPHT („high-pressure, high-temperature“): Diese Methode imitiert recht genau das, was sich sonst unter der Erdoberfläche abspielt, um Rohdiamanten zu erzeugen. In einem Reaktor, der bis zu 6 Gigapascal Druck aufbauen und zwischen 1300 und 1600 Grad Celsius erzeugen kann, wird ein kleiner Kubus mit einem Diamantkeim oder -korn platziert. Nun löst man eine hochreine Kohlenstoffquelle wie Grafit in flüssigem Metall (Nickel, Eisen oder Kobalt) auf und lässt sie zum kühleren Keim fließen, wo das Karbon kristallisiert.

CVD („chemical vapor deposition“): Im Rahmen der chemischen Gasphasenabscheidung wird kohlenstoffhaltiges Gas (z. B. Methan) in eine auf 900 bis 1200 Grad erhitzte Vakuumkammer gepumpt. Mikrowellenstrahlen lösen die Karbonatome aus der Wolke, die sich in dünnen Schichten auf den Diamantkeim oder „Impfkristall“ legen. So lange, bis die gewünschte Größe erreicht ist. Zwischendurch wird der nicht-diamantenförmige Kohlenstoff auf der Oberfläche wegpoliert.

Sind Labor-Diamanten mit ihren „Brüdern“ aus der Mine vergleichbar?

Ja, es gibt keinerlei chemische oder physikalische Unterschiede und selbst die Lichtleistung, das Funkeln, fällt ebenso brillant aus. Deshalb untersagen sowohl die Federal Trade Commission (FTC) als auch das Gemological Institute of America den Produzenten und Schmuckmarken klassifizierende Zusätze wie „synthetisch“ oder „natürlich“. Das würde Konsumenten irreführen. Dennoch gibt es mikroskopische Tests, etwa mit Fluoreszenz, durch die erfahrene Gemmologen die verschiedenen Wuchsmuster eines Diamanten und damit seine Herkunft identifizieren können. Die stellt jedoch kein Qualitätsmerkmal dar.

Wie ethisch unbedenklich und „grün“ sind von Menschenhand erzeugte Diamanten?

Man muss nicht „Blood Diamonds“ mit Leonardo DiCaprio gesehen haben, um zu wissen, dass der Abbau von Rohdiamanten historisch betrachtet einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Und zwar von der Kolonialzeit bis zu den Quasi-Diktaturen der Gegenwart. Durch Laserkennzeichnungen wie De Beers' „Forevermark“, Selbstverpflichtungen und transparentere Lieferketten hat sich diesbezüglich gleichwohl einiges zum Besseren gewendet.

Eine lückenlose Verfolgung von Diamanten, die ja gleichermaßen ungeschliffen, aufgesplittet, facettiert sowie in Juwelen gefasst im Umlauf sind, ist nahezu unmöglich. Auch „saubere“ Minen kann es nicht geben, weil schon deren Errichtung erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, umliegende Siedlungen und deren Bewohner hat. Ganz zu schweigen vom jahrzehntelangen Betrieb und eventuell durch Subunternehmer verschleierte, sozial bedenkliche Jobs.

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich Labor-Diamanten fraglos mit einer ziemlich weißen Weste. Wäre da nicht der immense Energiebedarf ihrer Produktion bei hohen Temperaturen und großem Druck. Dieser führt, wenn fossilen und andere nicht erneuerbaren Brennstoffe genutzt werden, ersten Studien nach zu einem Ausstoß von durchschnittlich 511 Kilogramm Treibhausgas pro Karat. Mehr als das dreifache des CO2-Fußabdruckes eines geschliffenen Minen-Diamanten.

Das haben auch Produzenten wie Diamond Foundry in San Francisco erkannt und setzen ausschließlich oder verstärkt auf Alternativen wie Fotovoltaik. Leider hapert es noch an einer Kennzeichnung von Schmuckstücken, ob die gesetzten Steine mit Ökostrom oder Öl gezüchtet wurden. Anbieter wie Diavon aus Deutschland überwachen zudem ihre beauftragten Schleifereien in Indien auf adäquate Sozialstandards.

Alles Schritte in die richtige Richtung, damit den Labor-Diamanten-Machern kein ähnlicher Shitstorm droht wie manchem Fast-Fashion-Riesen, der seine T-Shirts zwar aus Bio-Baumwolle, jedoch in ausbeuterischen Sweatshops fertigen ließ.

Welche Marken sind unter den Frühstartern bei Labor-Diamantschmuck?

Neben der De-Beers-Tochter Lightbox, die sowohl selbst züchtet wie fertige Produkte anbietet, hat sich der größte Schmuckproduzent der Welt, Pandora aus Dänemark, bereits 2021 für den Verzicht auf Minen-Diamanten entschieden. Weitere „early adopters“ sind Vrai und Kimaï. Auch der österreichische Kristallkonzern Swarovski will in die Herstellung von Labor-Diamanten einsteigen. Und TAG Heuer stellte auf der letzten Fachmesse Watches & Wonders das Modell „Carrera Plasma Diamant d’Avant-Garde“ mit einem üppigen Besatz menschengemachter Diamanten vor. Mit circa 500.000 Schweizer Franken ist diese Uhr allerdings definitiv kein Schnäppchen.

Anziehend auf kreative Köpfe wirkt bei Labor-Diamanten generell deren On-Demand-Verfügbarkeit in diversen Formen, Farben und Größen – zu sehr moderaten Einkaufspreisen. Gerade bunte Diamanten, welche die Natur rein zufällig als Anomalie „zur Welt bringt“, lassen sich gezielt und in hervorragender Qualität züchten.

Wie unterscheiden sich die Diamanten-Typen beim Thema Wertentwicklung?

Tja, da wären wir nun bei der extrem offenen Flanke im Wettkampf Mine versus Labor angelangt. Denn was die „Bloomberg“-Kollegen ganz beiläufig im letzten Absatz verstecken, ist, dass strenggenommen die Preise für gezüchtete Rohdiamanten im freie(re)n Fall sind. Betrug ihr Preis vor fünf Jahren etwa 80 Prozent der Minen-Variante, sind es aktuell noch zwischen zehn und 20 Prozent. Tendenz weiter fallend. Fraglich ist zudem, wie sich der Wert eines Schmuckstückes mit Labor-Diamanten entwickelt – und ob solche Juwelen als Erbstück taugen. Ihre unendliche Verfügbarkeit gegenüber den Raritäten aus der Mine dürfte ihre emotionale Anziehungskraft ebenfalls schwächen.

Darin könnte ein Platinstreif am Horizont aufblitzen, für De Beers wie den übrigen klassischen Diamantenhandel. Dass der rapide Preisverfall also Schmuck mit Labor-Diamanten zukünftigen Eheleuten fast zu billig erscheinen lässt zur Besiegelung ihres Bundes fürs Leben. Und zu, nun ja, „künstlich“.

Das Zwischenfazit?

Hm. Vielleicht taugt hierfür der Vergleich zwischen Gold und Bitcoin als halbwegs sinnvolle Analogie. Ja, Diamanten- wie Goldminen sind zweifellos ein Graus. Doch weder sind Labor-Diamanten und Kryptomünzen komplett „grün“, noch eine verlässliche Wertanlage. Fest steht jedenfalls, dass den wichtigsten vier Qualitätskriterien zur Bewertung eines Diamanten – cut, colour, clarity und carats – ein weiteres hinzugefügt werden muss: CO2-Emissionen. Vielleicht auch (ethische) Korrektheit.

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