Das Tannheimer Tal in Tirol wird oft als das „schönste Hochtal Europas“ bezeichnet. Völlig zu Recht, die beeindruckende Bergkulisse, umgeben von Almwiesen und Wäldern ist einzigartig – und bringt mich immer wieder ins Schwärmen. Allein die Natur also wäre Grund genug, diese Region zu besuchen.
Doch dieses Mal führt mich ein anderer Grund hierher. Mitten in dieser schönen Landschaft nämlich liegt das Wellness-Hotel „Der Engel“, das bereits zahlreiche Auszeichnungen für seine Verwöhnoase erhalten hat. Und das, obwohl das familiengeführte Haus im Markt eher leise auftritt und Marketing sowie Buchungsplattformen meidet. Was meine Neugier nur noch weiter steigert, wie auch die kürzliche Verpflichtung von Marius Eckl, einem der besten Spa-Manager Europas.
Familien-Business in siebenter Generation
Beim Betreten des Hotels fällt mein Blick zuerst auf einen Sitzbereich unter einer gläsernen Decke: Holztische, Samtsessel, ein aus Ziegelsteinen gemauerter Kamin – einfach urgemütlich. Das Interieur erinnert mich sofort an die heimelige Atmosphäre österreichischer Berghütten. „Der Engel“ wurde ursprünglich im Jahr 1748 als Gasthaus eröffnet, neben einer Kirche, daher der Name. Damals waren es Adelige und Gelehrte, die hier einkehrten, heute geht es definitiv lockerer zu. Ich sehe viele Gäste, die im Bademantel durch die Lobby gehen oder das Mittagsbuffet inspizieren, woran ich mich etwas gewöhnen muss.
Das Hotel wird in siebenter Generation von Familie Mattersberger geführt und gehört zu den besten Häusern der qualitativ anspruchsvollen Vereinigung „Alpine Wellness Hotels“. Aktuell kümmern sich die Geschwister Elke und Gerold um den „Engel“ und dieser familiäre Ansatz des Gastgebens ist überall spürbar. Schon am zweiten Tag begrüßt mich etwa die Kellnerin beim Frühstück mit den Worten: „Ihren Kaffee wie immer, Herr Rath?“
Ein Spa aus Treibholz und mit Bergsee
Das Hotel verfügt über 98 Zimmer und Suiten, die bei meinem Besuch vollständig belegt sind. Im Jahresmittel soll die Auslastung bei beeindruckenden 98 Prozent liegen. Der Wellnessbereich des „Engel“ erstreckt sich über stolze 8150 Quadratmeter, wovon der sogenannte „Orgänic Spa“ nur für Erwachsene etwa die Hälfte einnimmt. Insgesamt erwarten die Gäste zehn Saunen und Dampfbäder, vier Themen-Aufgüsse pro Tag, eine Infrarot-Kabine, fünf Ruhezonen, ein Innen- und drei Außenpools, ein Bergsee sowie ein Fitness- und ein Yogaraum.
Die Innenarchitektur ist ungemein aufwendig und geprägt von fließenden organischen Formen und natürlichen Materialien. Rund 43.000 Stücke von unterschiedlichstem Treibholz kamen dabei zum Einsatz. So schmücken echte Bäume die Gänge, natürliche Baumstümpfe hängen von der Decke und auf den Fliesen verlaufen schmale Furchen, die an Lebenslinien erinnern sollen. Die runde Lounge, das „Well-Nest“, wird von frischen Hängepflanzen umrahmt, während eine mit Moos bewachsene „lebendige“ Decke eine der anderen Ruhezonen dekoriert. Ich entdecke hier in jeder Ecke eine durchdachte und kreative Gestaltung, die die große Naturverbundenheit des „Engels“ zum Ausdruck bringt.
Der Geheimtipp-Status ist erwünscht
Ich muss zugeben, das Tannheimer Tal war mir vor allem durch das gehobene Hotel „… liebes Rot-Flüh“ bekannt. Vom „Engel“ hatte ich nur wenig gehört, weil sich das Haus eher zurückhaltend präsentiert und große Buchungsplattformen wie Booking.com eher meidet. Dafür gibt es einen guten Grund: Der Anteil der Stammgäste liege bei etwa 70 Prozent, wie mir Hoteldirektor Toni Schlachter erläutert. „Unser Ziel ist, den aktuellen Gast zu begeistern und zum Wiederkommen zu motivieren“, statt sich auf die Akquise von Neukunden zu konzentrieren. Erst seit wenigen Wochen besteht die Möglichkeit, direkt über die Hotel-Website zu buchen, schließlich stimmten die Zahlen auch vorher schon. Ebenso gibt es einen neuen Souvenirshop, der Tassen, T-Shirts und andere Artikel mit dem Hotel-Logo anbietet. „Der Engel“ scheint eine Lifestyle-Marke werden zu wollen.
An der Hotelbar herrscht abends eine lebhafte Stimmung. Viele, die morgens im Fitnessstudio schwitzten oder nachmittags durch die idyllische Umgebung wanderten, tanzen jetzt zu „Waterloo“ von ABBA. Da mag Barmann und Gin-Spezialist Thomas seinen Beitrag geleistet haben, der auch eigene Sorten destilliert. Überhaupt fällt mir auf, dass die Gäste sämtliche Angebote des „Engel“ voll auskosten und im Haus bleiben, statt andere Lokale in der Umgebung aufzusuchen. Ein sehr gutes Zeichen für jeden Hotelier.
Heimatgefühl und Entschleunigung in Tirol
Was ich ebenfalls schätze, ist das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Gästen. „Der Engel“ bietet eine Drei-Viertel-Pension an, bei der bis auf alkoholische Getränke und Massagen alles inklusive ist. Bestelle ich einen Wein, wird dieser auf die Rechnung gesetzt, ohne dass man jeweils unterschreiben muss. Ob bei der Mittagsjause oder dem 6-Gänge-Gourmetmenü. Ein Konzept, das zu weniger Diskussionen führen dürfte, als man erwartet und zudem die gegenseitige Wertschätzung unterstreicht.
Selbst in einem Haus, das von mir als Tester ein großes Lob verdient hat, gibt es ein paar Kleinigkeiten zu verbessern. So sind beispielsweise die Zahlen auf dem Telefon so klein, dass sie selbst mit Brille schwer zu lesen sind. Ebenso fällt die Schuhputzmaschine stilistisch aus dem Rahmen – und im Spa-Bereich begegnete mir eine (!) Yoga-Mitarbeiterin, deren Hilfsbereitschaft hinter dem hohen Standard des Hauses zurückbleibt. Doch diese Details können meinen positiven Gesamteindruck nicht trüben und ich verstehe, warum „Der Engel“ so viele treue Stammgäste hat. Weil das Hotel ein Gefühl von Heimat und Entschleunigung vermittelt, und zwar auf so ganzheitliche Weise, wie es nur wenige Konkurrenten vermögen.