Björn hat BWL studiert und ist von Haus aus eher zurückhaltend, man könnte fast sagen scheu. Er hat nach dem Studium als Vorstandsassistent in der Zulieferindustrie angefangen und ist seinem Vorstand mehrere Jahre nicht von der Seite gewichen. Danach ist er in den Vertrieb gewechselt und hat sich fast unbemerkt zur rechten Hand des wichtigsten Vertrieblers entwickelt. Entscheidende Kunden, permanenter Zahlendruck, gemeinsame Reisen. Der eine im Rampenlicht, Björn eher im Hintergrund. Als der Zuverlässige, der geräuschlos sicherstellte, dass alles funktioniert. Die Lorbeeren, die Aufmerksamkeit, den satten Bonus kriegte immer die Rampensau. Für Björn nie ein Problem.
Als ich ihn kennenlernte, erzählte er mir, dass er nach einem eher banalen Missverständnis im Büro so ausgerastet war, dass er sich selbst nicht wiedererkannt habe: Er sei für seine Verhältnisse laut geworden und habe danach nächtelang nicht geschlafen. Weil ihn das Gefühl nicht mehr losgelassen habe, dass er in seinem Leben grundsätzlich etwas ändern müsse. Um das Problem auf den Punkt zu bringen: Björn hatte sich am Anfang seiner Karriere unbewusst für ein Leben im Schatten entschieden. Aber letztlich nie für sich selbst, sondern immer für andere gearbeitet. Damit sei jetzt Schluss. Er wolle raus in die Sonne.
Ein kurzer Wutausbruch
Und was dann folgte, war die Verwandlung von Björn. Und zwar genauso ruhig und unaufgeregt, wie ich ihn kennengelernt hatte: Im ersten Schritt kündigte er seinen Job, befreite sich von allem Ballast und überführte für mehrere Monate ein Segelboot nach Thailand. Er schrieb mir, er habe sich nie so frei und leicht gefühlt wie an seinem 40. Geburtstag auf hoher See mit einem Dosenbier in der Hand. Insgesamt war er fast ein Jahr unterwegs.
Ich weiß, dass die Geschichte fast nach amerikanischem Selbsthilferatgeber klingt, aber ich erzähle sie trotzdem weiter: Als er wiederkam, hat er sich selbst versprochen, nicht ins Hamsterrad zurückzugehen. Stattdessen hat er das Pferd von hinten aufgezäumt und ist erst einmal in die Stadt gezogen, in der er leben wollte. Der Job kam danach.
Aus heutiger Sicht klingt die Veränderung logisch. Dabei standen am Anfang „nur“ ein Wutausbruch, eine Einsicht und eine kleine Entscheidung: nämlich, den Blinker links zu setzen und aus dem Windschatten herauszutreten. Oft sind es ja gar nicht die bewussten Entscheidungen, aus denen im Job der Frust wächst – sondern die Dinge, die sich über die Jahre eingeschlichen haben.
Und ist Björn nun selbst zur Rampensau geworden? Nein. Zufrieden ist er trotzdem. Er arbeitet wieder als Tandem: Mit einer Geschäftspartnerin hat er ein Softwareunternehmen gegründet. Sie mag das Rampenlicht und ist der Außenminister, er führt das Unternehmen nach innen. Diesmal allerdings als gleichberechtigter Partner.
Anne Weitzdörfer begleitet als Beraterin und Coach seit vielen Jahren Unternehmen und Führungskräfte. Hier schreibt sie jeden Monat über Themen aus der Berufswelt