Mit einer einzigen spitzen Bemerkung sorgte der österreichische Manager Peter Löscher vor gut zehn Jahren für einige Aufregung in der deutschen Wirtschaft. Der damalige Siemens-Chef kanzelte die Führung seines eigenen Unternehmens als „zu weiß, zu deutsch, zu männlich“ ab und trat damit eine Debatte über das gesamte Spitzenpersonal deutscher Konzerne los – die bis heute nicht enden will. Gerade macht sich SPD-Ministerin Franziska Giffey für ein Gesetz stark, das mehr Frauen in die Vorstände der 70 größten börsennotierten Unternehmen katapultieren soll. Nach Meinung des renommierten Personalberaters Heiner Thorborg trägt die Wirtschaft selbst eine gehörige Mitschuld an dieser Entwicklung: Wer sich dem Dialog über mehr Diversität verweigere, provoziere die „Keule des Gesetzes“.
Auf den ersten Blick hat sich in den Konzernen seit der Diagnose Löschers in der Tat nicht viel verändert: Capital hat die Vorstände aller Dax-30-Unternehmen unter die Lupe genommen. In acht Konzernen sitzt keine einzige Frau im Vorstand, in fünf Vorständen kein einziger Ausländer – und in vier Unternehmen fanden sich zum 1. Februar dieses Jahres sogar weder eine Frau noch ein Ausländer in der Spitze: Eon, Infineon, MTU und RWE. Im Schnitt aller 191 Dax-Vorstandsposten ist der typische Chef 53,9 Jahre alt, deutsch, männlich und Betriebswirt.
Und doch stimmt die These von der mangelnden Diversität nur noch zum Teil. Verheerend ist einzig die Bilanz für Frauen, sie besetzen nur 14,7 Prozent aller Vorstandsposten. Im M- und SDax sieht es sogar noch finsterer aus. Ministerin Giffey spricht von einer Quote von nur 7,7 Prozent in den 70 größten Unternehmen. Sehr viel weniger waren es auch nicht zur Zeit Löschers.
Dabei gilt seit vielen Jahren die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft, mehr Frauen in die Vorstände zu holen. Und seit Anfang 2016 schreibt das Gesetz für die Aufsichtsräte sogar eine zwingende Frauenquote von 30 Prozent vor. Sie ist inzwischen erreicht. Doch die Hoffnung, mehr weibliche Aufsichtsräte würden automatisch mehr weibliche Vorstände nachholen, hat sich nicht erfüllt. Viele Managerinnen wie die UBS-Europachefin Christl Novakovic, die früher vehemente Gegnerinnen einer festen Frauenquote waren, denken deshalb allmählich um: „Ich kämpfe hier selbst mit einer Antwort“, sagt Novakovic.
Ganz anders sieht es dagegen mit der Internationalisierung in den Chefetagen aus: „Zu deutsch“ stimmt nicht mehr, in den letzten zehn Jahren hat sich viel getan. 68 Manager, ein gutes Drittel aller Vorstandsmitglieder, geben in ihren Lebensläufen eine ausländische Nationalität an. Rechnet man Manager wie Beiersdorf-Vorstand Zhengrong Liu hinzu, die zwar einen deutschen Pass besitzen, aber nicht in Deutschland geboren sind, kommt man sogar auf über 40 Prozent. Auch im internationalen Vergleich ist das ein sehr guter Wert.
Heute spricht man Englisch
Auffällig auch: Vor zehn Jahren sorgten praktisch nur Manager aus direkten Nachbarländern – also Holländer, Österreicher, Schweizer, Angelsachsen und Skandinavier – für etwas Farbe in den Vorständen. Heute tummeln sich dort Spitzenkräfte aus 25 Nationen – darunter auch aus Sri Lanka, Indien, Südafrika oder Argentinien. Großunternehmen mit globaler Ausrichtung verlangen „immer seltener Deutschkenntnisse“, beobachtet der Berliner Personalberater Philipp Fleischmann. Nur in Familienunternehmen spielten Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur noch eine große Rolle.
In manchen Konzernen findet man eine wirklich globale Führungsriege. Im Adidas-Vorstand sitzen zwei Dänen, ein Australier und eine Britin (die inzwischen allerdings ausgeschieden ist) – und nur zwei Deutsche. Der Chef des Sportartikelherstellers, der Däne Kasper Rorsted, sorgt bis in die dritte Reihe des Managements für eine bunte Mischung. Auch bei der Allianz gehören die drei Deutschen im Vorstand zur Minderheit, ihnen stehen sieben Ausländer aus Italien, Österreich, Südafrika, Spanien und Sri Lanka gegenüber.
Nur noch wenige Konzerne mit großem globalem Geschäft präsentieren sich noch als „zu deutsch“ – darunter nach wie vor Siemens (sechs Deutsche und eine Amerikanerin) und die Münchener Rück (acht Deutsche und ein Brite). Immerhin sechs CEOs stammen aus dem Ausland, die meisten allerdings aus Österreich. Vor ein paar Monaten waren es noch sieben: Die Co-Chefin von SAP, die Amerikanerin Jennifer Morgan (zugleich erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns) ist aber mittlerweile zurückgetreten.
Schaut man sich die Ausbildung der Dax-30-Vorstände an, zeigt sich ebenfalls die Orientierung an internationalen Standards. Früher dominierten Juristen die Führungsetagen – heute stellen sie nur noch eine Minderheit von 8,4 Prozent. Beispiel Allianz: Vor zehn Jahren saßen fünf Juristen im zehnköpfigen Vorstand, heute noch einer. Die Hälfte aller Vorstandsmitglieder im Dax wartet heute – wie in anderen Industrienationen üblich – mit einem Wirtschaftsstudium auf. Zurückgegangen ist die Zahl der Ingenieure, die mit 21,5 Prozent aber immer noch die zweitgrößte Gruppe in den Dax-30-Vorständen stellen. 16,8 Prozent der Mitglieder verfügen über einen MBA-Abschluss – im Vergleich zu anderen Ländern also eher wenige.
Der gute alte deutsche Doktortitel gilt bei uns immer noch als wichtiger Karrieretreiber, ein Drittel aller Dax-30-Spitzenmanager können ihn vorweisen. In manchen Firmen geht es offenbar gar nicht ohne Doktortitel – etwa bei der Münchener Rück, wo sieben von neun Vorstandsmitgliedern eine Promotion im Lebenslauf anführen. In der Autoindustrie gilt der Doktor der Ingenieurwissenschaften nach wie vor als Nonplusultra für Manager.
Job-Hopper nicht gefragt
Mit Seiteneinsteigern hat die wachsende Diversität in deutschen Vorständen allerdings nichts zu tun. Noch immer führt in den allermeisten Fällen nur die gute alte Kaminkarriere, so wie auch früher, in die oberste Führung. Im Durchschnitt arbeiten die Vorstandsmitglieder seit 16,7 Jahren in ihren Unternehmen – doch diese Ziffer vernebelt eher die wahren Zustände in der deutschen Wirtschaft. Vier Konzerne drücken den Durchschnitt ganz allein massiv nach unten: der erst 2001 gegründete Immobilienkonzern Vonovia, wo die Vorstandsmitglieder erst seit sechs Jahren im Unternehmen arbeiten; RWE (wo ein neuer Mann im nur zweiköpfigen Vorstand den Schnitt auf acht Jahre senkt); sowie die Deutsche Telekom und Beiersdorf, die in den letzten Jahren auf einen Schlag einen großen Managementwechsel hinter sich gebracht haben.
Die Regel zeigen Konzerne wie MTU, wo die Vorstände seit 19 Jahren im Unternehmen arbeiten. Oder BMW, wo die Führungsriege auf durchschnittlich 22 Jahre im Konzern kommt. Bei BASF bringen es die Vorstandsmitglieder auf sagenhafte 27 Jahre Betriebszugehörigkeit, bei Daimler sogar auf 28 Jahre. Auch Siemens gehört mit einem Durchschnittswert von 25 Jahren zu den krassen Beispielen von Kaminkarrieren – Konzernchef Kaeser dient sogar seit 40 Jahren im Konzern.
Ähnliche Ausbildung, wenig Diversität, lange Betriebszugehörigkeit – die Homogenität in den Führungsetagen der Chemie- und Autoindustrie erweist sich in der Krise immer mehr als Hemmschuh. „Zu viele Diskussionen orientieren sich am gleichen Erfahrungshorizont, es fehlt an Impulsen von außen“, bemerkt ein Multi-Aufsichtsrat mit Erfahrung in beiden Branchen kritisch.
Im Konzern zu bleiben und langsam aufzusteigen, erweist sich nach wie vor als Königsweg, um ganz nach oben zu gelangen. Job-Hopper gelten dagegen in Deutschland als nicht vorstandstauglich. Wenn doch einmal ein Top-Manager wechselt, um anderswo Karriere zu machen – wie etwa die frühere BMW-Marketing-Expertin Hildegard Wortmann bei Audi – sorgt das für heftige interne Debatten und viel böses Blut. Und Seiteneinsteiger aus anderen Branchen sind weiterhin sehr selten.
Wenn sich trotz dieser verbreiteten Konzernkultur immer mehr Ausländer in deutschen Konzernvorständen finden, dann liegt das in erster Linie an den Programmen zur Nachwuchsförderung, die sich längst nicht mehr auf deutsche Uni-Absolventen beschränken. Das beste Beispiel dafür ist der neue Daimler-Chef Ola Källenius: Der Schwede startete seine Karriere 1993 in der „Internationalen Nachwuchsgruppe“ von Daimler-Benz, verbrachte sein ganzes Berufsleben im Konzern und kommt daher mittlerweile auf eine Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren, obwohl er erst 50 Jahre alt ist. Die Lebensläufe anderer Top-Manager lesen sich ähnlich.
Wenn die Nachwuchsförderung in den großen Konzernen inzwischen so viele ausländische Spitzenmanager in ihren Reihen produziert, warum gelangen nicht auch mehr Frauen in die Vorstände? Seit mindestens 20 Jahren, in vielen Konzernen länger, genießt die Förderung weiblicher Nachwuchsmanager höchste Priorität. Trotzdem bringen die Förderprogramme bisher wenig, – Theorien, warum das so ist, gibt es viele. Zeit allein, so viel kann man sagen, löst das Problem nicht.
Der Beitrag ist in Capital 4/2020 erschienen. Interesse an Capital ? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay