Vor drei Wochen war ich bei einem großen Verlagshaus zu einem virtuellen Vortrag eingeladen. Ich sollte über „Neues normales Führen in Zeiten von Homeoffice“ sprechen. Die Themenwahl ist nachvollziehbar, die Sache betrifft und bewegt so ziemlich alle Unternehmen derzeit. Und das sollte es auch, denn Homeoffice bedroht die Leistungsfähigkeit von Unternehmen, und zwar substanziell.
Das Ende der Zeitverschwendung
Die Vorteile von Homeoffice für die Mitarbeiter liegen auf der Hand. So gibt es wohl keinen einzigen positiven Aspekt am Pendeln. Auch wenn der eine oder andere die Zeit nutzt, um sich einzugrooven beziehungsweise wieder herunterzukommen: Ich glaube nicht, dass irgendjemand das gerne macht. Für die meisten fühlt es sich einfach nur nach Zeitverschwendung an.
Diese Zeit lässt sich zu Hause viel sinnvoller nutzen. Zum Beispiel für die Kinderbetreuung, wenn Schule oder Kindergarten mal wieder zu sind. Oder um zwischendurch schnell mal zum Einkaufen zu gehen.
Die Umwelt profitiert sowieso. Und, ach ja, die Gefahr sich anzustecken, ist auch kleiner. Nun gut, dieses Argument wird ja hoffentlich über kurz oder lang wegfallen, aber die Gefahr ist groß, dass Führungskräfte wie Mitarbeiter auch in Nach-Corona-Zeiten sagen: “Lasst uns doch weiterhin im Homeoffice arbeiten. Klappt doch super!“
Das Ende der Hinterbühne
Tatsächlich gibt es vieles, was erstaunlich gut im Homeoffice funktioniert, sogar besser als vor Ort im Büro. Das sind all die Aufgaben, die sich prozessual erledigen lassen. Nach Plan und Checkliste. Das umfasst den großen Teil derjenigen Arbeiten, die bekannte Probleme lösen. Solche Probleme also, die schon mehrfach im Unternehmen gelöst wurden und für die ausreichend belastbares Wissen bereitsteht. Störungen stören hier nur. Endlich mal wieder vier Stunden unterbrechungsfrei durcharbeiten zu können, erhöht die Produktivität massiv. Das funktioniert im Homeoffice wirklich klasse.
Die Schwierigkeit ist: Alle Aktivitäten, die im Unternehmen auf der Hinterbühne laufen, kommen nahezu vollständig zum Erliegen.

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Wenn Sie mein Buch „Zurück an die Arbeit“ gelesen haben, dann wissen Sie schon, was ich mit „Hinterbühne“ meine. Das ist der informelle Teil der Organisation, der sich unter dem Radar der formalen Strukturen selbstständig entwickelt. Hier werden diejenigen Probleme gelöst, die Ideen benötigen, weil relevantes Wissen nicht vorhanden ist.
Die Hinterbühne vernetzt sich kontinuierlich neu und profitiert massiv von spontanen persönlichen Begegnungen. Und das wirkt extrem nachhaltig: Denn auf der Hinterbühne treiben Kollegen über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg miteinander Dinge voran und generieren den entscheidenden Teil der Wertschöpfung für das Unternehmen, während auf der Vorderbühne Business-Theater gespielt wird.
Und tatsächlich ist die Hinterbühne auch der einzige Ort im Unternehmen, wo Innovationen entstehen.
Kein Anfang des Innovationsmanagements
Ich weiß nicht genau, wer sich den Begriff „Innovationsmanagement“ hat einfallen lassen und in die Management-Lehre getragen hat. Ich vermute aber, dass sie oder er noch nie im Leben selber eine Idee gehabt hat. Denn Innovationen lassen sich nicht managen.
Innovationen entstehen in einem komplexen sozialen Prozess: Ein Kollege wirft eine erste schmutzige Idee in die Runde, ein anderer nimmt sie auf, verändert sie, spielt sie zurück – und ein dritter verwirft das alles und kommt mit einer ganz neuen Idee. Innovation ist ein Resonanzphänomen.
Sie können in diesem Vorgang zwar (ohne Garantie auf Erfolg) intervenieren – managen, sprich planen, Umsetzung einfordern und kontrollieren, können Sie ihn nicht.
Und diesem komplexen Geschehen entziehen Sie eine wesentliche Basis, wenn in Ihrem Unternehmen Homeoffice zum Normalfall wird.
Das Ende der Innovation
Klar, kann die bestehende Hinterbühne auch unter solchen Bedingungen notdürftig aufrechterhalten werden: Schließlich können Sie nach einem Zoom-Meeting bei Ihrem Kollegen anrufen und Ihre Idee weiterspinnen. Oder sich halt eben doch mal wieder auf einen Kaffee verabreden. Aber tun Sie das dann auch wirklich? Die Hürde ist schon ganz schön hoch.
Was definitiv ganz entfällt, sind alle spontanen Treffen: die zufälligen Begegnungen in der Küche oder im Fahrstuhl, der Austausch im Vorbeigehen, das verstohlene Zwinkern beim Verlassen des Meetings.
Ja, es gibt genügend Mitarbeiter, die im Homeoffice auch das gute Gefühl vermissen, das sie haben, wenn sie mit ihren vielen Kollegen zum Plausch zusammenfinden können. Diese Menschen sind wahrscheinlich etwas weniger misanthropisch veranlagt als ich. Ich bin definitiv nicht einer, der sich danach sehnt, endlich wieder viele Menschen um sich herum zu haben. Aber um dieses gute Gefühl geht es auch gar nicht: Es geht ganz knallhart um einen höchst relevanten Teil Wertschöpfung.
Denn Innovation ist etwas Soziales. Und das Soziale passiert nun mal auf der Hinterbühne eines Unternehmens – oder gar nicht.
Unfreiwillige Geburtenkontrolle
Noch ein letztes, in unser aller Zukunft reichendes Argument gegen Homeoffice möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Ich habe gelesen, dass mit dem Homeoffice der Partnermarkt in den Unternehmen massiv eingebrochen ist. Bisher – so die Aussage – habe jeder vierte bis fünfte seinen Lebenspartner innerhalb des eigenen Unternehmens gefunden. Es drohe eine Vermehrung der Singles. Mit fatalen Folgen. Denn bei uns in Deutschland ist die Geburtenrate eh schon so niedrig. Wollen Sie wirklich wissentlich in Ihrer Firma dazu beitragen, dass sie noch niedriger wird?
Lars Vollmerist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem aktuellen Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den Krisen in unserem Land Ideen von Selbstorganisation und Eigenverantwortung entgegen.