In meiner Arbeit mit Organisationen erlebe ich immer wieder folgende Situation: Die Eingangsgespräche, zum Beispiel über New Work oder New Leadership, sind gut und konstruktiv. Diese Gespräche laufen meist mit der Personalabteilung oder der Organisationsentwicklung – und dort sind meine Gesprächspartner in der Regel Frauen. Sie erlebe ich als offen, diskutierfreudig und innovativ. Allerdings sind sie meist nicht die Menschen mit Entscheidungsmacht – das sind oft immer noch Männer aus dem Top Management. Und die sind weit weniger offen, weniger risiko- und investitionsfreudig.
Woran mag das liegen? Über die Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Führung ist schon viel geschrieben worden, bis hin zur grundsätzlichen Frage, ob Frauen wirklich anders als Männer führen. Und wie immer, wenn man Persönlichkeit und Verhalten betrachtet, ist man unter Umständen mit einer statistischen Schwierigkeit konfrontiert: Die Unterschiede innerhalb einer definierten Gruppe (zum Beispiel Männer) können größer sein als die statistischen Verhaltensunterschiede zwischen den beiden Gruppen „Männer“ und „Frauen“. Und schon ist es Essig mit der Hypothese.
Männer beuten ihre Körper aus, Frauen pflegen sie
Trotz dieser Einschränkung möchte ich eine These präsentieren, die meiner Meinung nach wenigstens teilweise die unterschiedliche Führung von Männer und Frauen kennzeichnet – bis hin zu Eigenschaften wie Offenheit für neue Themen, Menschenbild und Entscheidungsfindung.
Diese These lautet folgendermaßen: Männer gehen anders mit ihrem Körper um als Frauen. Männer neigen dazu, ihren Körper als Instrument zu betrachten, das man benutzt, vielleicht sogar ausbeutet. Sie sind stolz auf ausgestandene Strapazen und das Image eines „harten Hundes“. Frauen hingegen neigen dazu, ihren Körper zu pflegen, in ihn zu investieren (wie viele Männer kennen Sie, die oft und ausgiebig mit Duftperlen in die Badewanne steigen?). Der menschliche Körper ist in den Augen von Frauen ein Wert an sich, keine Sache, die man instrumentalisiert und ausgebeutet.
Das eigene Körperbild bestimmt die Führungsentscheidungen
Kommen wir zurück zu meiner eingangs geschilderten Situation. Die Frau in der Personalabteilung oder der Organisationsentwicklung sieht das Invest in die Menschen und wie sie von gesundheitlichen Initiativen, echtem New Work oder einem Kommunikationstraining profitieren würden. Sie überträgt das Konzept von Investition in sich selbst auf die Mitarbeiter.
Nun gelangt diese Entscheidungsvorlage zum männlichen Manager an der Spitze. Der hat ganz andere körperliche (und emotionale) Erfahrungen gemacht: Oft sind Härte und Verzicht maßgeblich für die Sicht auf den eigenen Erfolg. Viele männliche Führungskräfte sind stolz darauf, nur mit vier Stunden Schlaf auszukommen oder einen Extremsport zu betreiben. Ein Invest in den eigenen Körper ist – außer es dient der offensichtlichen Leistungssteigerung – Schwäche. Und Schwäche ist nichts, was ein Mann anstrebt und schon gar nicht etwas, wofür man im Unternehmen Geld ausgibt. Doch genau solche „Schwächen“ adressieren moderne Programme zu Betrieblichem Gesundheitsmanagement, Wohlbefinden („Feelgod Manager“) oder New Work („Mensch im Mittelpunkt“).
Wir brauchen mehr Frauen in Führung – aber aus anderen Gründen als angenommen
Wie lösen wir diese Situation der unterschiedlichen Körperbilder und der daraus resultierenden Führungsentscheidungen zu „weichen“ Themen? Erstens sollten wir Jungen beibringen, dass es nicht „schwach“ ist, auf seinen Körper zu achten. Man kann seinen Körper leistungsgerecht fördern und auf ihn stolz sein, ohne ihn selbstzerstörerisch auszubeuten. Zweitens brauchen wir tatsächlich mehr Frauen in Führungsposition – allerdings nicht wegen irgendwelcher nebulöser Diversity-Quoten, sondern um ein Gegengewicht herzustellen zu den Entscheidungen, die aus negativen männlichen Körperbildern entstehen. Frauen verstehen intuitiv besser, welch hoher Stellenwert sich hinter der Verbesserung menschlicher Zusammenarbeit, hinter Gesundheitsinitiativen oder achtsamer Führung verbirgt.
Wir können nicht von New Work oder New Leadership sprechen, ohne die unterschiedlichen Körperbilder von männlichen und weiblichen Führungskräften zu thematisieren. Diesen Elefanten im Raum müssen wir abräumen, sonst werden moderne Initiativen zur Mitarbeiterförderung weiterhin abgewürgt – und das können wir uns in Zeiten von Arbeitskräftemangel und Wertewandel schlichtweg nicht mehr leisten.