Wie immer nach einem großen Ereignis wissen hinterher alle, warum es dazu kommen konnte und was alles falsch gelaufen ist. So ist es auch bei der Präsidentenwahl in den USA. Hier ein paar Worte zu den fünf größten Irrtümern.
Irrtum 1: „Die Umfrageinstitute lagen total daneben“
Ein Standardsatz in allen Kommentaren nach der Wahl. Gern auch in Kombination mit der Behauptung, „die Journalisten“ hätten das Trump-Amerika ignoriert, nicht dessen Probleme und Ängste berücksichtigt – und deshalb an der Realität vorbeiberichtet. Beides ist weitgehend Unsinn. Die meisten Umfragen in den USA sahen vor der Wahl Hillary Clinton landesweit vorne, und zwar im Schnitt mit etwa drei Prozentpunkten Vorsprung. Und tatsächlich hat die Demokratin die meisten Stimmen gewonnen, sie wird nach Abschluss der Auszählung etwa einen Prozent vor Donald Trump liegen – womit die Umfragen genauer waren als vor vier Jahren.
Stark geirrt haben sich einige – mit Betonung auf einige – Institute in einer kleinen Zahl von Bundesstaaten, die sich allerdings als die entscheidenden erwiesen. Wer jedoch am Morgen des Wahltags auf den Durchschnitt der Umfragen für Florida, Pennsylvania oder Michigan schaute, der konnte durchaus zu dem Schluss kommen, dass Trump eine reelle Chance hatte.
Nun zu der Behauptung, die Medien hätten Trumps Anhänger vergessen. Das ist nun wirklich komplett absurd. Wohl noch nie ist so ausführlich über eine Wählergruppe berichtet worden. In den nordamerikanischen Industrierevieren werden sie froh sein, dass die Wahl vorbei ist, weil jetzt endlich keine Reporter mehr kommen und sie nach ihrer Befindlichkeit fragen. Jeder ehemalige Stahlarbeiter in Youngstown, Ohio, dürfte in den vergangenen Wochen mindestens ein Interview gegeben haben. Es war kein Mangel an Informationen, der zu dem Ergebnis dieser Wahl geführt hat. Man konnte alles wissen, wenn man wollte. Es war vielen Menschen – jenen, die zur Wahl gingen und vor allem denen, die dies nicht taten – nur offenbar einfach egal.
Irrtum 2: „Mit Trump hat der Mann des Volkes gewonnen“
Vielleicht gerade auch weil so viel über die Trump-Fans berichtet wurde, haben wir den Eindruck, die Hälfte Amerikas bestehe aus feurigen Trump-Anhängern. Das ist falsch.
Am Ende haben wie zuvor beschrieben mehr Amerikaner für Hillary Clinton als für Trump gestimmt. Und nicht nur das: Trump wurde von weniger Menschen gewählt als der republikanische Verlierer Mitt Romney vor vier Jahren. Vor allem aber bleiben damit nur rund 60 Millionen Amerikaner von 318 Millionen übrig, die sich für Trump als Präsident entschieden haben. Das bedeutet: Verdammt viele Menschen, die überwältigende Mehrheit, sind am Donnerstag aufgewacht mit einem Präsidenten, für den sie nicht gestimmt haben oder dem sie zumindest nicht zujubeln.
Die 60 Millionen, die für Trump gestimmt haben, sind wiederum nicht allesamt leidenschaftliche Trump-Fans. Umfragen und Anekdoten haben gezeigt: Einige dieser Wähler wollten vor allem eine Präsidentin Clinton verhindern oder einfach republikanisch wählen, waren von Trump aber keineswegs ausnahmslos begeistert. Was die Sache zweifellos umso tragischer macht. Da ihnen als Kandidaten nur Clinton und Trump (neben den freien Kandidaten) blieben, musste sie sich für ein „Übel“ entscheiden. Dabei muss man sich auch bewusst machen: Nur 9 Prozent der Amerikaner haben in den Primaries über Trump und Clinton als Kandidaten abgestimmt – den anderen Wählern also diese Kandidaten vorgesetzt. Wie es der Economist kürzlich auf den Punkt brachte: „Many good people will vote for a bad man in this election.“ Dieses Bild entspricht sehr viel eher der Realität als die hysterische Furcht, wonach mittlerweile Mehrheiten gegen eine freie Gesellschaftsordnung stimmen.
Man sollte dies im Hinterkopf behalten für die Frage, wie schnell sich ein Trump entzaubern kann. Immer wieder sagte Trump im Wahlkampf vor nicht komplett gefüllten Hallen, es würden weitere Tausende vor der Tür warten, obwohl dort keiner stand. Wir sollten nicht den Fehler machen, dieses Wunschbild von Trump zu übernehmen, sondern ein realistisches Bild von seiner Gefolgschaft bewahren. Und damit die Hoffnung in die Vernunft des amerikanischen Volkes nicht verlieren. Es war vermutlich ein historischer Unfall, der durch eine ganz bestimmte, knappe Kombination verschiedener Faktoren zustande kam. Womit wir beim nächsten Punkt wären.
Irrtum 3: „Trump hat richtig abgeräumt“
Naja. Genau betrachtet war diese Wahl wahnsinnig knapp. Und genau das hat sich auch seit Monaten abgezeichnet. Entschieden wurde dieses Rennen dadurch, dass Donald Trump die Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin gewann – und damit auf eine Mehrheit im Wahlmännergremium kam. Und zwar allesamt mit einem so engen Vorsprung, dass Clinton sich ärgern wird, nicht ein paar zusätzliche Wähler im eigenen Auto ins Wahllokal gefahren zu haben. Insgesamt fehlten ihr in diesen drei Staaten etwa 107.000 Stimmen. Das sind 0,1 Prozent all jener, die am Dienstag zur Wahl gegangen sind. Und deutlich weniger als Clintons Vorsprung bei der Gesamtzahl der Stimmen am Ende ausmachen wird. Trump hat an den richtigen Orten mit Ach und Krach die meisten Leute mobilisiert. Und Clinton ist genau dies nicht gelungen. Daraus auf einen Gezeitenwechsel zu schließen – noch dazu bei gesunkener Wahlbeteiligung – ist einigermaßen gewagt.
Irrtum 4: „Trump hat die wirtschaftlich Abgehängten eingesammelt“
Und hier die Lieblings-Floskel aller Nachwahlbetrachter, die dann oft darauf verweisen, bei dieser Wahl sei die Rechnung für den „Neoliberalismus“ präsentiert worden (wobei nie ganz klar ist, was damit eigentlich gemeint ist). Im Grunde reicht ein einfacher Blick auf die Zahlen, um diese Behauptung zu entkräften. In den ärmsten Bevölkerungsgruppen, also jenen mit Haushaltseinkommen unter 50.000 Dollar, hat Clinton mit deutlichem Abstand gewonnen. Trump hingegen liegt in allen Einkommensgruppen darüber vorne.
Was allerdings stimmt, ist, dass Trump bei den weißen Amerikanern ohne College-Abschluss klar gewann. Menschen also, die weniger verdienen als besser ausgebildete Amerikaner aber immer noch deutlich mehr als Vertreter von Minderheiten wie Afroamerikanern oder Latinos. Da viele von ihnen im Rust Belt wohnen, den heruntergekommenen Industrierevieren entlang der Großen Seen, konnte Trump hier im Vergleich zu republikanischen Vorgängern zulegen. Es sind relativ gesehen keine Armen, aber Leute, die das Gefühl haben, dass sie seit Jahren nicht mehr vom Fleck kommen. Allerdings sind sie eben nur eine Wählergruppe Trumps. Er gewann nämlich auch bei den besser ausgebildeten weißen Amerikanern, wenn auch mit geringerem Vorsprung. An einer Erkenntnis aber führt kein Weg vorbei: Der entscheidende Unterschied zwischen dem typischen Trump- und dem typischen Clinton-Wähler war die Hautfarbe.
Irrtum 5: „Die Welt ist am Ende, Trumps Präsidentschaft wird eine Katastrophe“
Eines vorweg: Natürlich ist noch ziemlich unklar wie ein Präsident namens Trump handeln wird. Niemand weiß das. Aber es ist schon bemerkenswert, dass viele seine extremen Versprechen und Ankündigungen aus dem Wahlkampf beim Wort nehmen und nun mit dem Schlimmsten rechnen. Obwohl sich dieselben Leute gleichzeitig darauf einigen können, dass Trump stets maßlos übertreibt, lügt und man diesen Mann eben besser nicht beim Wort nehmen sollte.
Schaut man sich seinen Track Record an, die Natur seiner Versprechungen, dann müsste man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass man bei allem was er tut und ankündigt, locker 50 Prozent abziehen muss. Heraus käme ein recht zahmer, moderater Präsident – nicht was seine schrillen Auftritte und Ankündigungen angeht, aber was seine die konkrete Taten und Ergebnisse angeht. Wir kennen den Politiker Trump kaum, aber wir kennen den Unternehmer in ihm. Und der hat vor allem in einem Übung: Er ist ein Meister darin, das Geld anderer Leute auszugeben. Und jetzt sitzt er an der Kasse. Sollte nun ein Ausgabenfeuerwerk folgen, muss man also nicht allzu überrascht sein. Das ist nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich - wie ein Blick auf die Reagan-Ära zeigt. Die Märkte scheinen das schon einzupreisen.
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