Die beiden österreichischen Journalistinnen Carolin Rainer und Cigdem Elikci berichten beim Branchendienst Brutkasten eigentlich über Pleiten und Erfolge von Gründern – bis sie 2022 mehrere Übergriffe bei einer Start-up-Veranstaltung miterleben. Daraus entsteht die Initiative #growrespect, eine Aufklärungsserie über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Und sie bekommen auf einmal Nachrichten von weiteren Betroffenen.
Mit ihrer Arbeit haben sie dazu beigetragen, die Übergriffe beim Münchner Start-up Finn Auto aufzudecken. Dessen Gründer hatte auf einer Weihnachtsfeier neun Frauen sexuell belästigt – und durfte mit dem Segen der Investoren wieder auf seinen CEO-Posten zurückkehren. Erst eineinhalb Jahre später zog die Firma Konsequenzen, nachdem Capital über die Vorwürfe berichtet hatte.
Rainer und Elikci sagen: Finn Auto ist kein Einzelfall. Im Interview sprechen sie über den Grund für ihre Initiative, die Reaktionen und die Lehren, die sie bisher aus den Erfahrungsberichten von Betroffenen gezogen haben.
Capital: Sie haben im vergangenen Jahr die Initiative #growrespect gegründet, um auf sexuelle Belästigung und Diskriminierung in der Start-up-Branche aufmerksam zu machen. Was war der Auslöser dafür?
CIGDEM ELIKCI: Wir waren Anfang 2022 auf einem dreitägigen Start-up-Event in Österreich und haben dort selbst einige Erfahrungen gemacht und beobachtet.
Inwiefern?
CAROLIN RAINER: Cigdem und ich haben zusammen Video-Interviews gedreht, ich stand vor der Kamera. Es gab von meinen Gesprächspartnern immer wieder übergriffe Kommentare, etwa: „Du bist so groß. Wie läuft’s denn mit den Männern?“. Ein Typ hat mir sogar vor laufender Kamera einen unangenehmen Klaps auf die Hüfte gegeben. Die Aufnahme war dann für die Katz.
ELIKCI: Ein entscheidender Moment war, dass andere Frauen auf uns zugekommen sind und uns ähnliche Erfahrungen geschildert haben. Auf dem Heimweg dachten wir uns: Es kann doch nicht sein, dass sexuelle Belästigung die Norm ist – und dass man sich das vor allen anderen Leuten traut und offenbar keine Konsequenzen fürchtet. Später in der Redaktion ist dann daraus die Idee für #growrespect entstanden.
Worum geht es Ihnen bei der Initiative?
RAINER: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass es sexuelle Belästigung auch in der Start-up-Szene gibt – und dass das Folgen für die Betroffenen hat. Es kann jedem passieren.
ELIKCI: Uns ist wichtig, über die Grenzen zu informieren. Etwa: Wo fängt sexuelle Belästigung überhaupt an? Welche Rechte habe ich? Und was kann man dagegen tun?
RAINER: Dazu haben wir bei Brutkasten eine Informationsplattform ins Leben gerufen und mit vielen Expertinnen und Experten gesprochen, zum Beispiel mit Rechtsanwälten, der österreichischen Arbeitskammer und der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Welche Reaktionen haben Sie darauf bekommen?
ELIKCI: Kurz nach dem Start haben uns die ersten Berichte von Betroffenen erreicht, die selbst Belästigungen im Job erlebt haben. Viele haben uns gesagt, wie toll und wichtig es ist, dass wir das Thema angehen. Wir haben aber auch viel Kritik bekommen, wurden teilweise ins Lächerliche gezogen. Ein bekannter und einflussreicher Mann aus der österreichischen Start-up-Szene sagte mir: „Damit kann man ja sehr leicht die Karriere von Männern zerstören.“ Offenbar gibt es viele, die für das Thema nicht sensibilisiert sind. Das hat uns nochmal bestärkt.
RAINER: Bisher haben sich bei uns vor allem Frauen gemeldet, dir am Anfang Ihrer Karriere stehen. Gerade Anfängerinnen und Praktikantinnen haben oft wenig Handlungsmacht. Aber Belästigungserfahrungen können natürlich auch Männern betreffen.
Sie haben unter dem Schlagwort #growrespect auch mehrere Belästigungsfälle veröffentlicht, ohne die Namen der Protagonisten und Firmen zu nennen. Bei einem Bericht ging es um den CEO des Münchner Start-ups Finn, der inzwischen alles eingeräumt hat und zurückgetreten ist. Weshalb haben Sie den Fall anonymisiert?
ELIKCI: Die betroffenen Frauen haben uns in dem Fall um Anonymität gebeten. Ihre Angst vor Konsequenzen, oder dass sie gar ihren Job verlieren könnten, hat uns dazu veranlasst, anonym zu veröffentlichen.
RAINER: Da kommen natürlich viele Sorgen hoch: Finde ich eine Alternative auf dem Jobmarkt? Wie reagieren die Kollegen? Wie geht man damit um, wenn sich die Firma verteidigt? Das kann ja auch retraumatisierend sein.
Was schließen Sie aus den Gesprächen mit Betroffenen? Gibt es Parallelen zwischen den Fällen?
ELIKCI: Ich habe den Eindruck, dass die Investoren oft Teil des Problems sind, weil sie keine Konsequenzen einfordern. Wenn man viel Geld in ein Start-up investiert hat, ist so ein Belästigungsfall natürlich schlecht fürs Business. Da schaut man lieber weg. Und wenn es um die Investoren selbst geht? Dann gibt es für Betroffene keine richtige Anlaufstelle.
RAINER: Natürlich gibt es aber auch Investoren, die sensibel damit umgehen. Das Problem ist eher, dass MeToo-Themen bei der Due Diligence hierzulande kaum ein Thema sind – anders als zum Beispiel in den USA.
Was kann man aus Ihrer Sicht daraus für den künftigen Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz lernen?
ELIKCI: In der Start-up-Szene ist man stolz darauf, dass man sich von Großkonzernen unterscheidet. Die flachen Hierarchien führen aber leider auch dazu, dass man sich im Fall von sexueller Belästigung an niemand wenden kann.
RAINER: Deswegen ist eine gesellschaftliche Debatte darüber so wichtig. In den Unternehmen müssen Strukturen entstehen, die Sexismus und Machtmissbrauch adressieren und ein Bewusstsein für den Umgang damit schaffen. Ganz wichtig ist auch, externe Organisationen für eine neutrale und professionelle Aufarbeitung zu Rate zu ziehen.