

Bernd Slaghuisist Karriere- und Business-Coach in Köln. Er hat sich auf Karriereplanung und Neuorientierung sowie das Coaching von Führungskräften aus dem mittleren Management spezialisiert. Er schreibt im Karriere-Blog Perspektivwechsel über seine ganz eigenen Sichtweisen auf Karriere, Bewerbung und Führung.
Wie sieht Ihr Kalender für die nächsten Wochen aus? Regelmäßige Jour-fixe-Meetings, Abstimmungsrunden im Team und immer mehr Projekte sowie Ad-hoc-Termine bestimmen bei vielen Führungskräften das Tagesgeschäft. Allein das erbitterte Ringen um die knappen Ressourcen der Kollegen wird zum gehassten Zeitfresser. Um sich einen Slot zu ergattern, werden Meetings mit dreifach rotem Ausrufezeichen und oberster Vorstandspriorität für den späten Freitagnachmittag terminiert. Wie auch sonst soll das Unternehmen die nächste Woche überleben? Geht es tatsächlich heute nur noch um das tägliche Überleben? Das Aufpolieren der nächsten Quartalsbilanz zur Besänftigung der Shareholder? Konzentrieren sich Manager heute lieber auf die reaktive Abwehr von Gefahren als auf das aktive Wahrnehmen sich bietender Chancen? Operatives Geschäft geht vor, so die immer gültige Entschuldigung. Ist die Konsequenz, dass Strategie nur auf der jährlichen Tagung zur Mobilisierung des Vertriebs öffentlich zelebriert wird, dann lebt ein Unternehmen von der Substanz und seinem guten Namen.
Strategie? Fehlanzeige!
Viele Studien zeigen heute ein sehr einheitliches Bild vom strategischen Denken und Handeln: Das Top-Management verfolgt zwar strategische Ziele und wird nach ihnen vergütet, doch die Kommunikation in Richtung Mitarbeiter und erst recht die Umsetzung strategischer Maßnahmen bleiben im hyperaktiven Tagesgeschäft allzu oft auf der Strecke. Noch erschreckender wird es bei einem Blick in die einzelnen Bereiche: So verfügen heute weniger als ein Drittel der Unternehmen über eine eigene HR-Strategie und wenn doch, dann passt sie nicht zur Unternehmensstrategie oder das Top-Management kennt sie erst gar nicht, so das Ergebnis der Studie „HR aus Unternehmenssicht“ von Caroline Bratton und Christoph Müller. In Zeiten von Fachkräftemangel und den zu erwartenden Folgen der demographischen Entwicklung schier unvorstellbar. Und so sind viele Vorstände und ihre Führungsmannschaft weiter im Sichtflug unterwegs. Ihr Blick ist auf das Gestern und Heute statt auf das zunehmend unsichere Morgen gerichtet. Eine Haltung, die sich schnell auf die ganze Belegschaft überträgt: Es ist Routine geworden, die Dinge lieber richtig zu tun, anstatt zu hinterfragen, ob sie noch die richtigen Dinge tun. Zu dieser Erkenntnis kommt auch das Malik Management Zentrum St. Gallen in einer Untersuchung: „Die Dominanz des operativen Geschäfts ist der Grund, warum Strategien häufig scheitern.“
Zukunft erfordert Freiräume
Freiräume werden das Luxusgut der modernen Arbeitswelt 4.0. Zeit, um innezuhalten und das eigene Handeln zu reflektieren. Muße für strategisches und konzeptionelles Denken. Und schließlich auch den Raum, wieder mehr von dem zu tun, was den persönlichen Werten und Zielen entspricht und so grundlegend wichtig ist, um auf Dauer gesund und leistungsfähig zu bleiben. Ein Meistern des operativen Tagesgeschäfts darf nicht mit gutem Management verwechselt werden. Es ist vielmehr die Konsequenz guter Führung: dem effizienten, zielgerichteten Einsatz vorhandener Ressourcen sowie der Identifikation von Chancen und der Entwicklung von Mitarbeiterpotenzialen. Wirksame Führung und strategische Steuerung kosten Zeit, wenn sie nachhaltig Früchte tragen sollen. Hierfür braucht es heute erst einmal Freiräume. Veränderung erfordert die konsequente Unterbrechung unliebsamer Routinen und das Verlassen vermeintlich sicherer Wege zugunsten von etwas Neuem. Wer nicht länger nur Löcher im Tagesgeschäft stopfen, sondern Zukunft strategisch gestalten möchte, hat die Möglichkeit, sich hierfür bewusst zu entscheiden und genau dies im Tagesgeschäft als neue Routine zu etablieren.
Von Bernd Slaghuis ist bereits veröffentlicht: 4 Denkfehler von Managern auf Kuschelkurs