„Entrepreneurship“ ist das Mantra der Stunde. Manager deutscher Konzerne pilgern seit Jahren ins Silicon Valley, versuchen sich von Start-ups inspirieren zu lassen und verwandeln Büros in „Office Spaces“. So richtig scheint das aber noch nicht zu funktionieren, denn als Unternehmensberaterin habe ich die Frage „Wie schaffen wir es, dass unsere Mitarbeitenden unternehmerischer denken?“ von (ohne Übertreibung) mindestens 50 Vorständen allein in den letzten zwölf Monaten gehört. Dienst nach Vorschrift ist nicht mehr gefragt. Eigeninitiative, Biss, Veränderungen anstoßen – darauf kommt es an. Und scheint doch selten zu gelingen. Warum eigentlich? Wollen Mitarbeitende – und speziell die aus der Gen Z – nicht so dringend Verantwortung übernehmen?
In unserer Arbeit fallen uns immer wieder dieselben zwei Gründe auf, die der Entfesselung unternehmerischen Denkens und Handelns im Wege stehen. Der erste: Mit der Vorbildrolle der Führungsetage ist es regelmäßig nicht so weit her, wie man meinen müsste. Auch Vorstände sind meist Angestellte, die ihre Karriere sorgfältig planen und es penibel vermeiden, Angriffsflächen zu bieten. Also liegt der Fokus klar auf der „Pflicht“: Mit dem Reporting von Kennzahlen, dem Schmieden von internen Allianzen, und nicht enden wollenden Meetings und Ausschüssen ist der Tag schnell gefüllt. Da bleibt wenig Zeit für die Kür.
Unternehmer*innen lösen Probleme. Und zwar nicht primär ihre eigenen, sondern die ihrer Kund*innen. Gerade in der Führung von großen Unternehmen oder Konzernen geht aber genau dieser Leitgedanke gerne unter vor lauter realen Problemen, die der Management-Alltag so mit sich bringt. Ich rate daher Vorständen als ersten Schritt gerne dazu, einmal das eigene Angebot als besonders kritische Kundin oder Kunde zu erleben. Es handelt sich um eine Fluglinie? Ab in die Economy Class, aber mit einem vorher eigenhändig zweimal umgebuchten Ticket, sowohl online als auch über das Callcenter. Auch hilft es, das eigene Unternehmen als Investor*in zu betrachten: Würde ich selbst die Aktie kaufen, wenn ich nur öffentlich verfügbare Kennzahlen und Medienberichte kenne? Es gibt Dutzende Perspektiven, die sich einzunehmen lohnen, um unternehmerischer zu denken. Und so für die eigene Belegschaft tatsächlich ein inspirierendes Vorbild zu sein, das ein klares Ziel vorgibt und sie auf dem Weg dorthin motiviert.
Teams brauchen echte Handlungsspielräume und Kompetenzen
Aber – und das führt zur zweiten großen „Entrepreneurship-Barriere“ – wollen Vorstände dies überhaupt? Und sind sie bereit, auch ein unternehmerisches Risiko einzugehen? Denn wenn man will, dass Angestellte Unternehmer*innen im Unternehmen werden, ist es nicht ausreichend, dies in Newslettern und Townhalls zu fordern. Teams müssen echte Handlungsspielräume und Kompetenzen übertragen werden. Sie müssen in der Lage sein, Risiken einzugehen – und auch einmal falsch zu liegen. Von einer solchen Kultur sind die meisten deutschen Unternehmen noch weit entfernt. Meist sind Angestellte besser bedient, wenn sie nicht weiter auffallen, „ihre“ Kennzahlen optimieren, keine kritischen Fragen stellen und nicht aus Sicht der Kund*innen, sondern auf die Erwartungshaltung der nächsten Führungsebene hin optimieren. Denn wer Fehler macht, nicht jede Entscheidung mit Marktforschung und monatelanger Arbeit in Ausschüssen und „committees“ absichert, macht sich schnell angreifbar und gefährdet die eigene Karriere.
Der Wandel hin zu einer unternehmerischen Kultur, die ja so vehement gewünscht wird, ist kein einfacher. Aber: Man kann ihn aktiv gestalten und einfacher machen. Statt zu rufen „Wir müssen alle Unternehmer sein!“ und den großen Wurf zu erwarten, ist es sinnvoller, ganz klein in einem oder zwei Unternehmensbereichen oder Abteilungen zu beginnen, erste Projekte zu initiieren, zu lernen und unternehmerisches Denken und Handeln zu üben – denn nicht jede*r ist ein geborener Entrepreneur. In unserer Arbeit sehen wir immer wieder, wie solche unternehmerischen Keimzellen eine große Energie freisetzen, erste Erfolge gefeiert werden, die Motivation steigt, andere Abteilungen dieses Denken übernehmen – und auch das Zu- und Vertrauen der Führungskräfte in die eigene Belegschaft steigt.
Fazit: Wer unternehmerisches Denken und Handeln will, muss a) bei sich selbst anfangen und b) der Belegschaft Freiräume geben und Eigeninitiative belohnen, statt sie zu sanktionieren. So kann Entrepreneurship tatsächlich freigesetzt werden, mit all den positiven Effekten auf Innovationskraft, Produkt- und Servicequalität und wirtschaftliche Performance. Vor allem aber auch: Die Arbeit dort, wo man tatsächlich unternehmerisch handeln kann und soll, macht einfach mehr Spaß.