Christine Lagarde lächelt zufrieden: „Wir haben“, sagt die Chefin des Internationalen Währungsfonds, „gute Fortschritte erzielt und können den Prozess hoffentlich bald abschließen“. Es ist 0:20 Uhr in der Nacht auf Donnerstag und vor wenigen Minuten ist das Treffen der Eurogruppe zu Griechenland zu Ende gegangen. Lagarde aber spricht nicht über eine Einigung mit Hellas, sondern über Finanzhilfe für die Ukraine.
Es herrscht entsetzte Sprachlosigkeit in Sachen Griechenland am Ende eines langen Verhandlungstags in Brüssel. Lagarde sitzt am einen Ende des Tisches im improvisierten Pressesaal hinter sich den azurblauen Himmel Europas mit dem Kranz der fünfzackigen Sterne. Neben ihr hat Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem Platz genommen, der seine Erschöpfung und Frustration offen zeigt. Dann kommen EU-Kommissar Pierre Moscovici und Klaus Regling, der Chef der Euro-Rettungsfonds ESM und EFSF. Das große Aufgebot. Helfer haben die Namensschilder Stunden vorher aufgestellt, als der Durchbruch geschafft schien: Die Einigung mit der neuen griechischen Regierung über den richtigen Weg aus der Misere des Landes. Wenigstens den ersten Schritt dazu, eine Vereinbarung über das weitere Vorgehen.
„Aber unglücklicherweise waren wir nicht imstande, das zu tun“, sagt Dijsselbloem. Es ist eine kurze Pressekonferenz, es gibt ja auch wenig zu berichten. Und nichts zu beschönigen. Nach knapp sieben Stunden Verhandlungen stehen die Unterhändler mit leeren Händen da.
Streit um Begriffe
Vor allem an einem Wort ist die Einigung gescheitert. „Extension“ - Verlängerung. Wird das Euro-Rettungsprogramm und die damit verbundenen Spar- und Reformauflagen für die Griechen „verlängert“? Oder wird Griechenlands Finanzproblem irgendwie „überbrückt“, wie sich das die neue Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Janis Varoufakis vorstellen? Es mag nur ein Wort sein, aber für Tsipras geht es um mehr: Kann er sein Wahlversprechen einhalten, die Griechen vom Joch des Spardiktates zu befreien und einen neuen Weg gehen? Oder bleibt ihm nur das Eingeständnis, dass auch seine Regierung von der Hilfe der Partner abhängt und letztlich deren Bedingungen erfüllen muss?
In der Runde der 19 Finanzminister plus Lagarde plus EZB-Chef Mario Draghi wird verhandelt, argumentiert, beratschlagt. Verschiedenen Versionen eines gemeinsamen Kommuniqués werden im Laufe des Abends erarbeitet. Das Verständnis für die Griechen ist begrenzt. Der Mindestlohn sei im eigenen Land niedriger als in Griechenland, sagt der Minister eines der osteuropäischen Beitrittsstaaten. Man habe selbst einen entbehrungsreichen Sparkurs hinter sich, argumentiert ein anderer. Die Deutschen sind genauso wie viele andere überrascht, dass Varoufakis kein Papier mitgebracht hat, in dem er seine Vorstellungen konkretisiert. Leidenschaftlich wirbt Varoufakis für einen neuen Kurs.
Zu ersten Zugeständnissen ist man auf Seiten der Sparbefürworter durchaus bereit: Die Troika der Sparkommissare soll nun „Experten“ heißen oder „Institution, vormals Troika genannt“, wie einer witzelt. Statt über ein weiteres Hilfsprogramm für die Griechen will man über neue „vertragliche Vereinbarungen“ sprechen. Die Griechen sollen das Gesicht wahren können. Irgendwann scheint endlich eine Einigung erreicht. Das jedenfalls glauben die meisten in der Runde. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bricht auf, er möchte noch in Tegel landen, bevor der Flughafen schließt. Zur Ausformulierung der Erklärung braucht man ihn nicht.
„Dem können wir nicht zustimmen“
Doch dann sagt Varoufakis, er müsse telefonieren. Wie Statisten stehen sie nun plötzlich herum, die IWF-Chefin, der EZB-Chef und viele andere hochrangige Politiker Europas. Dann kommt der griechische Finanzminister zurück und sagt nein: „Dem können wir nicht zustimmen.“ Offensichtlich hat er mit seinem Regierungschef telefoniert. Und der hat die Reißleine gezogen. Überall in Griechenland sind in dieser Nacht wütende Demonstranten auf die Straßen gegangen, um den harten Kurs der Syriza-Regierung zu unterstützen. Tsipras will nicht klein beigeben.
Denn in dem Entwurf steht das verhasste Wort: „Verlängert“ werden soll das Hilfsprogramm. Es habe keinen anderen Weg gegeben, heißt es in der Eurogruppe. Die Vereinbarung mit Griechenland sei keine politische Willenserklärung, die man freihändig umformulieren könne.
Die Interpretation der Griechen der Ereignisse steht aus. Ein wütender Varoufakis beschwert sich noch in der Nacht per Tweet an die FT über „dubiose Behauptungen“ aus „dubiosen Quellen“. Er hatte nach dem Treffen von einer „konstruktiven und ausführlichen Debatte über alle Facetten der griechischen Krise“ gesprochen. An der Pressekonferenz nahm er nicht teil.
Tsipras ist der sichere Verlierer
Und nun? Europa wäre nicht Europa, wenn man sich nicht noch eine Chance gibt. Es noch einmal versucht. Oder zweimal. Bis zur letzten Minute. Am Montag treffen sich die Finanzminister erneut. Vorher noch, am heutigen Donnerstag, kommen die Regierungschefs in Brüssel zusammen. Die Ukraine schien das drängendste Thema auf der Tagesordnung. Nun müssen sie sich auch mit dem Griechenland-Desaster herumschlagen.
Die Zeit drängt: Ende Februar läuft das Griechenland-Hilfsprogramm aus, im März braucht Athen Geld. Gibt es keine Einigung schlittert das Land in die Pleite. Am Ende stünde der Austritt aus der Währungsunion. Der Preis wäre auch für die anderen Eurostaaten hoch. Niemand vermag heute zu sagen, ob die Krise nicht doch wieder hochlodert und Länder wie Italien oder Portugal erfasst.
Eines aber scheint ziemlich sicher. Tsipras wird am Ende zu den Verlierern gehören. In politischer Hinsicht, wenn er doch noch nachgibt. Zu viel hat er seinen Landsleuten versprochen, zu laut in den Wochen seit der Wahl getönt. Oder in wirtschaftlicher Hinsicht, wenn er hart bleibt und sein Land in die Katastrophe des Grexit reißt.