Marcel Fratzscher ist Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und einer der profiliertesten Ökonomen der Nation. Lange arbeitete er für die EZB, heute berät er die Regierung
Capital: Wie wahrscheinlich ist ein Austritt Griechenlands aus dem Euro, je nach Wahlausgang am Wochenende?
Fratzscher: Ich halte Grexit, also den Austritt Griechenlands aus dem Euro, für äußerst unwahrscheinlich. Ein Austritt würde unweigerlich zur wirtschaftlichen Katastrophe für Griechenland führen. Er würde über Nacht zu einer hohen Abwertung der neuen Währung führen, und damit viele Unternehmen in den Bankrott stürzen. Damit würde auch die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen und die Wirtschaft über Jahre geschädigt. Diese Tatsache ist jeder griechischen Partei, auch Syriza und Herrn Tsipras, bewusst.
Wieviel Sorge muss man aus deutscher Sicht bei einer griechischen Regierung unter Alexis Tsipras haben?
Die Äußerungen von Herrn Tsipras sind sicherlich nicht besonders vertrauenserweckend. Aber die alten Regierungen waren dies ja auch nicht. Alle Regierungen nicht nur der vergangenen fünf Jahren, sondern der vergangenen 30 Jahren, haben sich mehr um ihr eigenes Interesse gekümmert als wichtige Reformen umzusetzen. Europa und Deutschland sind in einer enorm starken Position. Denn der griechische Staat ist nach wie vor abhängig von europäischer Hilfe, und vor allem die griechischen Banken können ohne die Hilfskredite der EZB nicht überleben. Auch dies ist allen Politikern in Griechenland bewusst. Androhungen einer griechischen Regierung, einen Schuldenschnitt oder einen Euro-Austritt durchzuführen, sind daher nicht glaubwürdig.
Ist für die griechische Wirtschaft der von Tsipras vorgeschlagene Kurs möglicherweise das richtige?
Nein. Es gibt keine Alternative zu dem Reformkurs den Griechenland begonnen hat und bisher nur schleppend umgesetzt hat. Der griechische Staat hat nach wie vor große Defizite und der Wirtschaft fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit. Nur wenn die Wirtschaft wieder ein Zukunftsmodell hat, kann sich das Land erholen und aus der Krise kommen.
Populisten werfen der Bundesregierung vor, Steuergelder in Griechenland zu versenken. Hat Deutschland bislang eigentlich überhaupt Geld an Griechenland verloren?
Deutsche Banken und Investoren haben sehr wohl Geld in Griechenland verloren in den vergangenen Jahren. Der deutsche Staat hat jedoch - zumindest bisher - keine Steuergelder in Griechenland verloren. Denn man hat Kredite an Griechenland vergeben, und erhält dafür Zinsen die über den Zinsen für die Bereitstellung in Deutschland liegen. Und diese Kredite wurden vom Schuldenschnitt 2012 ausgenommen. Dies könnte sich jedoch in den kommenden Jahren ändern.
Ist ein Schuldenschnitt in Griechenland überhaupt noch unausweichlich?
Ein direkter Schuldenschnitt in Griechenland ist nicht unausweichlich. Natürlich wünscht sich eine griechische Regierung einen direkten Schuldenerlass. Für Europa und Deutschland sollte jedoch die wichtigste Frage sein, wie man die griechische Regierung dazu bekommt endlich Eigenverantwortung für die eigenen Reformen zu übernehmen und diese entschieden zu verfolgen. Denn nur dann hat das Land eine wirkliche Chance aus der Krise zu kommen, sich zu erneuern und seinen Menschen eine Zukunftsperspektive bieten zu können. Der Vorschlag des DIW Berlin ist es, das Troika-Programm zu beenden und die Kredite in solche Kredite umzuwandeln, deren Zinszahlungen an das Wirtschaftswachstum in Griechenland (und nicht das in der Eurozone) gekoppelt sind. Damit müsste die griechische Regierung endlich Eigenverantwortung übernehmen, und sie kann nicht länger die Verantwortung für die eigene wirtschaftliche Misere auf Europa und Deutschland abschieben. Damit werden auch die wirtschaftlichen Zukunftschancen des Landes besser, und letztlich würde ein höheres Wachstum in Griechenland auch zu höheren Zinszahlungen für Europa und Deutschland führen. Damit könnten Verluste, die unweigerlich mit einem direkten Schuldenschnitt einhergehen, zu einem großen Teil vermieden werden.
Wie bewerten Sie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Bezug auf die EZB und ihre Rolle in der Troika?
Die Empfehlung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs mahnt einen Rückzug der EZB aus den Hilfsprogrammen an. Auch wenn dies bisher nicht mehr als eine Empfehlung ist, so würde eine dementsprechende Entscheidung des Gerichts von der EZB einen Rückzug aus der Troika verlangen. Ich halte einen solchen Rückzug für überfällig. Denn auch wenn die EZB eine sinnvolle und wichtige Rolle in der Troika gespielt hat, so nimmt sie damit eine politische Rolle ein, die ihr nicht zusteht.