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Markus Väth Die Wirtschaft taugt nicht als Reparaturbetrieb gesellschaftlichen Versagens

Markus Väth
Markus Väth
© PR
Unternehmen sollen heute alles Mögliche für die Gesellschaft leisten, was nicht zu den ureigensten Aufgaben der Wirtschaft gehört. Es wird Zeit, dass sie sich wieder auf ihren Kern besinnt – sich um ihre Geschäfte zu kümmern und sonst nichts

Kürzlich wurde ich beim Event eines Kunden ehrlich überrascht. Statt in einer Diskussionsrunde über New Work zu plaudern, schütteten mir die Anwesenden (alles Unternehmer beziehungsweise Führungskräfte aus dem Mittelstand) ihr Herz zu einem ganz anderen Thema aus: der Überfrachtung der Wirtschaft mit gesellschaftlichen Wünschen.

Der berühmte Ökonom Milton Friedman prägte einst den Satz: „The business of business is business.“ Frei übersetzt: Die Wirtschaft soll sich um ihre Geschäfte kümmern und sonst nichts. Darin kennt sie sich aus; alles andere würde ihre Grenzen von Kompetenz und Zuständigkeit überschreiten. Doch das ist spätestens seit der Jahrhundertwende vorbei. Die Wirtschaft wird längst mit allen möglichen Forderungen überschüttet, die in der Regel in den Unternehmen massive Zielkonflikte produzieren:

  • Sie soll vernünftige Produkte und Dienstleistungen anbieten (und das möglichst billig).
  • Sie soll Natur und Umwelt schützen.
  • Sie soll Menschenrechte achten und ihre Lieferketten danach ausrichten.
  • Sie soll Mitarbeitern nach innen Sinn ermöglichen und nach außen einen positiven gesellschaftlichen Zweck erfüllen.
  • Sie soll immer mehr Arbeit mit immer weniger Menschen erledigen (siehe Fachkräftemangel).
  • Sie soll die deutsche Bildungsmisere kompensieren und junge Menschen vernünftig ausbilden und halten.
  • Sie soll innovativ sein und damit Wettbewerbsvorteile auf nationaler Ebene sichern.

Jedes dieser Ziele hat seine Berechtigung: Selbstverständlich sollten beispielsweise Menschenrechte und Umwelt geschützt werden, und selbstverständlich sind gute Produkte und Innovationen ein hohes Gut.

Wirtschaft wird zum Reparaturbetrieb gesellschaftlichen Versagens

Trotzdem konnte ich das Gefühl der Führungskräfte nachvollziehen, die Wirtschaft werde immer mehr zum „Ausputzer“ für Dinge, die in der Gesellschaft falsch laufen. Beispiel Bürokratie: Weil man in Deutschland immer noch dem Ideal der Einzelfallgerechtigkeit nachhängt (die noch das kleinstmögliche Detail juristisch regeln will), werden Unternehmen mit unsinnigen, möglichst präzisen Vorschriften gequält – anstatt diese als Leitplanken zu verstehen (wie das übrigens sogar im Strafrecht bei der Strafzumessung schon immer der Fall ist), die Unternehmen und Menschen dann gemeinsam vernünftig ausgestalten.

Beispiel GenZ: Nicht alle, aber auch nicht wenige junge Menschen kommen mit einer schlicht unrealistischen Erwartungshaltung in die Betriebe. Dabei geht es in erster Linie gar nicht um die großen Schlagworte wie Purpose oder Vier-Tage-Woche, sondern um die kleinen Dinge: eine selbstverständliche Leistungserwartung von Seiten des Unternehmens, eine eher unterentwickelte Fähigkeit zur Selbstkritik und zur realistischen Selbsteinschätzung. Hier schlägt das Versagen des Elternhauses und des sozialen Umfelds voll auf die Wirtschaft durch – die dann irgendwie das Kind aus dem Brunnen retten soll, in den es längst hineingefallen ist.

Wirtschaft kann in einer neurotischen Gesellschaft nur verlieren

Die Deutschen hatten immer eine eher defensive Haltung zur Wirtschaft. Das fängt bei einer moderaten, durchaus sinnvollen Form von Kapitalismus an und hört bei der Tatsache auf, dass immer mehr Deutsche beim Staat arbeiten und nicht in der normalen Wirtschaft. Wir Deutschen wollten (jedenfalls bis vor kurzer Zeit), dass die Wirtschaft läuft, wir aber als gesellschaftliches Thema nicht allzu viel mit ihr zu tun haben. 

Das ist seit längerem nun ins Gegenteil umgeschlagen. Die Wirtschaft sieht sich zunehmend als Spielball unterschiedlichster Interessen aus Politik und Zivilgesellschaft, die sie alle zugleich erfüllen soll und das in einem fast feindlichen Klima der Kapitalismuskritik und eines quasi-religiösen Wahrheitsanspruchs. 

Das eine Extrem (gesellschaftliches Desinteresse) ist so schlimm wie das andere (ökologische und technologische Missionierung). Beide Haltungen spiegeln letztlich die neurotische Haltung unserer Gesellschaft zur Wirtschaft, wobei letztere nur verlieren kann. 

Beenden wir unsere neurotische Projektionen

Wirtschaft ist nicht der kapitalistische Gottseibeiuns, der unter allen Umständen kontrolliert und bekämpft werden muss. Genauso wenig ist Wirtschaft zuständig für die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme:

  • Primärbildung ist zunächst Sache der Familien, dann der Schulen und ähnlicher Bildungseinrichtungen (und nicht der Wirtschaft). Das Gleiche gilt für das Erlernen von Sozialtechniken und Umgangsformen.
  • Purpose in allen Ehren; grundsätzlich aber gehören die individuelle Sinnsuche und das Ringen um ein gelingendes Leben in die dafür vorgesehenen Institutionen wie Kirchen, Glaubensgemeinschaften etc.
  • Antirassismus, Antikolonialismus etc. in allen Ehren; grundsätzlich brauchen wir hierfür jedoch die Arena der Zivilgesellschaft und der Politik und weniger die der Wirtschaft (wie das verstörende Beispiel von Bud Light in den USA sehr schön gezeigt hat).

Viele Unternehmen verknüpfen ihre wirtschaftlichen Ziele heutzutage mit moralischen, sozialen oder ökologischen Initiativen. Das ist völlig in Ordnung – solange alle Beteiligten nicht den ursprünglichen Zweck von Wirtschaft aus den Augen verlieren. „The business of business is just business?“ Vielleicht. 

Markus Väth gilt als einer der führenden Köpfe der New-Work-Bewegung und zählt zu den Top 99 HR-Influencern 2023 in Deutschland. Er ist Co-Founder der New-Work-Initiative humanfy und Verfasser der New Work Charta, die sich für eine klare, humanistische und soziale Version von New Work einsetzt. Er hat mehrere Bücher zu Neuer  Arbeit und Management verfasst und ist außerdem Lehrbeauftragter für Teamwork & Collaboration an der Technischen Hochschule Nürnberg. Mit seinem Ansatz des Organisationscoachings begleiten er und sein Team Organisationen in ihrer Transformation hin zu echtem New Work und einer neuen Arbeitswelt. Hier finden Sie weitere Kolumnen von Markus Väth

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