Capital: Frau Stephan, sind Gründer besonders burn-out-gefährdet?
UTE STEPHAN: Zu 100 Prozent wissen wir das leider nicht. Was wir aber herausgefunden haben: Sowohl Stress als auch Wohlbefinden und Glück sind bei Unternehmerinnen und Unternehmern besonders ausgeprägt. Sie haben eine Arbeit, die sie erfüllt und herausfordert, aber auch viel von ihnen selbst fordert, sie durchaus stresst. Ich nenne das das „Happiness-Paradox“. Unternehmer werden einem in der Tendenz immer sagen, dass sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind, weil sie so viel selbst gestalten und entscheiden können. Es fällt ihnen schwer zuzugeben, dass sie sich vielleicht auch gestresst fühlen. Aber wir können das auf anderer Weise feststellen, über physiologische Daten.
Wie misst man das Stresslevel?
Physiologisch kann man Stress über verschiedene Indikatoren messen, zum Beispiel, das Level an Stresshormonen wie Cortison, aber auch erhöhten Blutdruck oder erhöhte Ruheherzfrequenz. Alles zusammen ergibt dann einen Indikator. Und von dem wissen wir, dass er bei Unternehmerinnen tendenziell höher ausgeprägt ist.
Und das heißt, sie sind gefährdet?
Persistent hoher Stress macht krank. Eigentlich ist unser Körper ja gut belastbar. Und Stress an sich ist auch nicht schlecht, sondern eine sinnvolle Reaktion, die evolutionär bedingt ist: Wenn Gefahr droht, muss ich Energie mobilisieren, um wegzurennen. Wenn ich vor einem Investor eine Präsentation halten muss, dann gibt mir der Stress extra Energie, das gut zu machen.
Wo liegt dann das Problem?
Wenn ich dem Körper nicht gleichzeitig die Chance gebe, sich davon wieder zu erholen, sondern jeden Tag noch einen draufsetze, dann gibt der Körper irgendwann auf. Das kann sich als physische Krankheit manifestieren, was häufig Herz und Kreislauf betrifft, oder ganz oft auch als psychologische Störung.
Ich würde gerne noch einmal auf Ihr „Happiness-Paradox“ zurückkommen. Was unterscheidet die Gefühlslage eines Unternehmers von der eines angestellten Mitarbeiters?
Zum einen ist die Qualität der Arbeit anders. Unternehmer haben eigentlich eine tolle Arbeit, die unheimlich motivierend sein kann und ein hohes Glückspotenzial hat, weil sie ihre Arbeit weitgehend selbst gestalten können. Allerdings haben sie auch mit viel mehr Unsicherheit zu kämpfen. Und wenn man alles selbst gestalten kann, heißt das auch, dass man alle Entscheidungen treffen muss – häufig ohne über eine vollständige Informationsbasis zu verfügen. Über vieles hat man außerdem keine Kontrolle, über Kunden, Zulieferer, externe Krisen. Wenn man Mitarbeiter hat, ist man für die auch noch verantwortlich. Also viel mehr Unsicherheit, viel mehr Verantwortungsdruck und viel intensivere und mehr Arbeit.
Wie sieht es bei Angestellten aus?
Für einen Mitarbeiter gibt es ja fast immer jemanden, der die Arbeit organisiert, der auch mal sagt: Toll gemacht! Das ist etwas, das ein Unternehmer nur ganz, ganz selten hört. Ein Mitarbeiter hat zudem viel weniger Unsicherheit. Und wenn mal eine Krise kommt, dann kann es natürlich auch Entlassungswellen geben, aber meist gibt es erst einmal Kurzarbeit. Es gibt also meist einen Puffer.
Was ist mit der Identifikation mit der eigenen Arbeit?
Unternehmerinnen identifizieren sich mit ihrer Arbeit und ihrem Unternehmen viel stärker. Vor einigen Jahren hat man eine Studie gemacht, bei der die Hirnströme von Gründern gemessen wurden. Man hat ihnen das Logo ihres Unternehmens und ein Bild der eigenen Kinder gezeigt. Und sie haben auf beides gleich reagiert. Das heißt, die Bindung an das Unternehmen ist unheimlich tief – was natürlich daran liegt, dass der Unternehmer quasi alles selbst aufgebaut hat.
Und das kann dann auch umschlagen?
Wenn man alles selbst geschaffen hat, spürt man auch jeden Rückschlag viel stärker. Eine Krise, über die man keine Kontrolle hat, ist umso stressiger und bedrohlicher für das eigene Selbst.
Einen Unterschied gibt es ja vermutlich auch bei der Menge an Arbeit.
Unternehmerinnen sind tendenziell leistungsorientier als Angestellte. Sie setzen sich höhere Ziele, haben höhere Ansprüche an sich selbst. Ihre Arbeit ist, positiv ausgedrückt, unstrukturiert oder selbstorganisiert. Das heißt auch, dass man immer mehr machen kann: Man kann immer größere Marktanteile erzielen, immer mehr Kunden gewinnen, immer mehr Investitionen bekommen. Es gibt also kein Endziel. Für jemanden, der gerne viel erreicht und erfolgreich sein möchte, kann das eine Kombination sein, die schnell zu Selbstausbeutung führt.
Aber das gibt kaum jemand zu.
Unternehmer werden immer sagen, es gehe ihnen gut und die Arbeit mache auf alle Fälle Spaß und sei befriedigend. Aber gleichzeitig beuten sie sich und ihre Gesundheit über die Zeit hinweg eben dann doch aus.
Gibt es denn Persönlichkeitsmuster, die besonders anfällig sind für dieses Ausbeutungsmuster?
In älteren Studien hat man das Typ-A-Verhalten gesprochen. Das ist Menschen, die hohe Ziele und eine leistungsorientierte Persönlichkeit haben, die sich keine Ruhepausen gönnen.
Mit solchen Charakterzügen dürfte man auch ein ziemlich erfolgreicher Unternehmer werden, oder?
Es gibt nicht die eine Unternehmerpersönlichkeit. Aber in der Tendenz sind Unternehmer leistungsorientiert, proaktiv, nehmen Gelegenheiten wahr. Die warten nicht darauf, dass jemand sagt, was zu tun ist, sondern machen Dinge selbst und haben auch eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, ein hohes Selbstbewusstsein. Wenn einem das fehlt, kann man eine Gründungsphase vermutlich auch nicht überstehen. Wenn man aber immer davon ausgeht, dass man etwas kann und es vielleicht auch genießt, neue Sachen auszuprobieren und zu lernen, dann kann das schnell dazu führen, dass man zu viel macht und sich selbst überfordert. Insbesondere, wenn einem keine Grenzen gesetzt werden, wie sie es bei angestellter Arbeit natürlicherweise gibt.
Wie kann man sich selbst Grenzen setzen?
Zunächst sollte man Achtsamkeit dafür entwickeln, wann man selbst unter Stress ist. Das Schwierige bei ausgebrannten Unternehmern und Unternehmerinnen ist, dass die Personen selbst es oft nicht erkennen. Bei der Prävention kann es helfen, sich selbst Ziele zu setzen. Das klingt ganz einfach, aber wenn es keine natürlichen Grenzen gibt, dann muss man sich die Arbeit selbst strukturieren und Ziele setzen, zum Beispiel für Umsatz oder Profit. Und nicht noch immer mehr machen.
Was hilft sonst?
Unternehmerinnen zu sagen, sie sollen Stress abbauen, ist wahrscheinlich illusorisch. Es ist einfach eine sehr anstrengende Arbeit. Was man aber machen kann, ist die negativen Effekte abzumildern. Und da geht es um kleine Schritte, darum Routinen aufzubauen: sich Pausen gönnen, Zeit mit Freunden einplanen, auf guten Schlaf achten. Wir haben Unternehmern beispielsweise einmal 14 Tage und Nächte mit Messungen begleitet – und dann festgestellt, dass sie nach Nächten, in denen sie besser geschlafen hatten, kreativer und produktiver waren.
Sie hatten vorhin angesprochen, dass es Warnzeichen für Burn-out gibt, die man erkennen kann. Worauf gilt es zu achten?
Die Anzeichen sind für andere oft einfacher zu erkennen als für den Unternehmer oder die Unternehmerin selbst: Jemand kann zum Beispiel nicht mehr auf seine Erfolge stolz sein, nimmt gar nicht mehr wahr, dass er oder sie eigentlich etwas Wichtiges erreicht hat. Oder jemand hat ständig das Gefühl, nichts mehr zu schaffen, man arbeitet, aber ohne die gewünschten Ergebnisse zu erreichen und sieht die Schuld daran bei einem selbst. Man fühlt sich energielos, erschöpft und das geht auch nach einer Ruhepause nicht weg. Irgendwann stellt sich dann auch Zynismus ein. Häufig werden auch Hobbys verdrängt, es wird immer weniger Zeit mit wichtigen anderen Leuten wie Partner oder Familienmitglieder verbracht. Und Schlafprobleme sind ganz häufig.
Welche Rolle spielen externe Schocks? Mit Coronapandemie, Ukrainekrieg und Wirtschaftsflauten gab es ja zuletzt ein ganzes Paket an Krisen.
Wir sehen, dass Unternehmerinnen in ihrer psychischen Gesundheit von diesen Krisen mehr und negativer betroffen sind als Angestellte – bis zu dem Punkt, dass sie nicht weiter wissen und dann auch aufhören, Unternehmer zu sein. Wobei es natürlich auch Unternehmer gibt, die Krisen als Chance sehen, die Gelegenheit nutzen und damit sehr erfolgreich sind.
Ist Burn-out noch ein Tabu? Oder sehen Sie positive Anzeichen, dass wir als Gesellschaft damit inzwischen offener umgehen?
Wenn Corona ein Gutes hatte, dann die Tatsache, dass wir daher mehr über mentale Gesundheit und Wohlbefinden reden und das auch als wichtig einstufen. Gleichzeitig gibt es auch mehr Unternehmer, die über ihren Burn-out reden. Aber es sind noch wenige – die Dunkelziffer derjenigen, die das erleiden und nicht darüber reden, ist glaube ich noch viel höher als wir denken.
Ute Stephan ist eine der profiliertesten Expertinnen für die Psychologie des Unternehmertums. Sie ist Professorin am King's College London.