Mitte Januar hatte Deutschlands höchste juristische Instanz, der Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), Freisprüche des Landgerichts Braunschweig für Volkswagen-Manager revidiert. Konkret ging es um den Vorwurf der Untreue durch Billigung von überzogenen Gehältern für Betriebsräte. Anders als das Landgericht hielten es die BGH-Richter für nicht ausgeschlossen, dass sich die früheren Manager des Konzerns in diesem Zusammenhang der vorsätzlichen Untreue schuldig gemacht haben. In ihrer schriftlichen Begründung verwarfen sie zugleich die Praxis der Betriebsratsvergütung entlang einer sogenannten hypothetischen Karriere.
Was sich nach rechtstechnisch langweiligen Details anhört, birgt Sprengkraft in der betrieblichen Realität. Vereinfacht ausgedrückt geht es um die Frage, ob und wie Betriebsräte Karriere machen können. Dafür regelt das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1972, dass kein Betriebsrat in seiner Vergütungs- und Karriereentwicklung begünstigt oder benachteiligt werden darf.
Das ist grundsätzlich sinnvoll. Ein Praxisbeispiel illustriert aber den Kernkonflikt: Eine junge Frau ist Maschinenschlosserin in einem Konzern, wird dort Betriebsrätin und steigt nach entsprechenden Weiterbildungen und Erfahrungszuwächsen zur Betriebsratsvorsitzenden auf. Der BGH urteilt nun, dass sich die anzuwendende Karrierestufe wie auch Vergütungsentwicklung ausschließlich nach der Mehrheit der Ausgangskohorte zu richten hat – im Beispiel: alle damaligen Maschinenschlosser. Weder darf die Karriere im Unternehmen hypothetisch fortgeschrieben werden, noch dürfen Erfahrungszuwachs und Weiterentwicklung in der Betriebsratslaufbahn berücksichtigt werden. Mehr noch: Eine nach oben abweichende Vergütungsfestlegung kann laut BGH-Urteil den Straftatbestand der Untreue erfüllen. Und genau in dieser Kombination entfaltet das Urteil seine betriebliche Brisanz.
Unternehmen profitieren von kompetenten Betriebsräten
Nun sind Betriebsratsmitglieder nicht zu jeder Zeit die besten Freunde der Unternehmensleitung. Das scheint im Stellenprofil als konstruktiver Begleiter unternehmerischen Wirkens aus Perspektive der Belegschaft so angelegt. Aber die Mitbestimmung ist nun mal ein fester Bestandteil unseres Systems der sozialen Marktwirtschaft und in einer immer komplexeren Welt braucht es eben auch hohe Kompetenz auf Betriebsratsseite. Unternehmen profitieren von kompetenten Betriebsräten als Ansprechpartner für komplexe Sachverhalte, die sich aus der Geschwindigkeit, Digitalisierung und industriellen Transformation unseres Wirtschaftssystems ergeben. Diese Sichtweise wird mittlerweile sogar von institutionellen Investoren geteilt, für die ein hoher Grad an Organisiertheit von Mitarbeitenden positiv auf viele „Social“-Kriterien aus dem Bereich Nachhaltigkeit, oder kurz ESG (Umwelt, Soziales und Governance) einzahlt. Insofern ist es auch auf Unternehmensseite mehr als nur sinnvoll, sich über Fragen des Talentmanagements bei Betriebsräten Gedanken zu machen.
Jeder Mensch hat einen natürlichen Drang, sich zu entwickeln, zu gestalten und voranzukommen. Insofern sind Betriebsräte keine besondere Spezies. Aber nach aktueller Rechtsprechung haben ihre Karrieren mit der in der Regel aus inhaltlicher Überzeugung gefällten Entscheidung, in die Betriebsratsarbeit einzusteigen, ihr Ende erreicht. Wer sich für die Betriebsratsarbeit entscheidet, muss also reichlich Altruismus mitbringen. Wenn wir aber im großen Stil über die veränderten Fähigkeiten und Fertigkeiten von Mitarbeitenden, sogenannten Skills, sprechen und darüber, dass diese permanent weiterentwickelt werden müssen und Entwicklung und Lernen lebenslang erfolgen muss, dann sollten doch auch ähnliche Mechanismen in der Betriebsratsarbeit möglich sein. Und ja, auch bei Betriebsräten gibt es bessere und schlechtere und solche mit mehr oder weniger Entwicklungsappetit. Aber warum sollten derartige Unterschiede nicht gerecht abgebildet werden können?
Für die beschriebene Herausforderung gibt es keine einfache Lösung und für viele Betriebsräte funktioniert das weiterhin mögliche kollektive Karrieremodell auch. Aber für auf Augenhöhe agierende Betriebsräte großer, global tätiger Konzerne passt an dieser Stelle der Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht (mehr). Das liegt schon daran, dass das Gesetz den „Konzern“ gar nicht adressiert, sondern vom rechtlichen Begriff des Betriebs ausgeht. Wenn an dieser Stelle der rechtliche Rahmen für Betriebsratsrollen in großen globalen Unternehmen nicht passt, dann muss man den Rahmen verändern. Wer biegt sonst mit großen Ambitionen schon gerne in die Karriere-Sackgasse Betriebsrat ein?