Je älter China wird, desto mehr verzweifeln Chinas KP-Funktionäre an ihrem Problem mit den grauen Haaren.
Anfang April drohte ein Mandarin in Schanghai seinen Bürgern, er werde sie auf eine schwarze Kreditliste setzen lassen, ihnen ein Bankkonto verweigern oder ihnen sogar den Bibliotheksausweis entziehen, wenn sie ihre alten Eltern vernachlässigen. Man muss die Menschen eben da treffen, wo es richtig wehtut: in der Tasche mit den Büchereiprivilegien. Es muss so viel Spaß machen, ein chinesischer Funktionär zu sein: Anscheinend gibt es keinerlei Tabus. Man stelle sich vor, Donald Trump könnte verfügen: Muslime kriegen keinen Kredit. Oder Hispanics keine Visa-Card. Oder “Tussis” dürfen keine Bücher ausleihen.
Es war ein gewisser Luo Peixin, Vizedirektor der Rechtsabteilung in der Kommunalverwaltung von Schanghai, der es auf sich nahm, die Bürger seiner Stadt daran zu erinnern, dass ihnen qua Gesetz all diese Restriktionen drohen, wenn sie ihre alten Eltern nicht regelmäßig besuchen. Sie befänden sich damit in derselben Kategorie wie die Leute, die Fahrerflucht begehen oder in der U-Bahn schwarzfahren, teilt die amtliche Zeitung China Daily mit.
Immer mehr ältere Chinesen leben heute getrennt von ihren erwachsenen Kindern, und ein Gesetz aus dem Jahr 2013 verfügt, dass der Nachwuchs verklagt werden kann, wenn er seine alten Eltern nicht regelmäßig besucht. Die Grauhaarigen können vor Gericht ziehen, um sich Aufmerksamkeit zu erklagen. Wenn sie gewinnen, dann kann das Gericht die Durchsetzung dieses Urteils erzwingen, indem es die Kinder zum Beispiel beim Bibliotheksausweis packt. Ab 1. Mai werden Altenheime in Schanghai das gesetzliche Recht haben, die Kinder herbeizuzitieren und herunterzuputzen, falls sie nicht oft genug zu Besuch kommen.
Can´t buy me love
Ich bin in diesem Jahr 60 geworden, also interessiere ich mich dafür, was dieses Gesetz für Ausländer bedeutet: Vielleicht kann ich es ja nutzen, um meine beiden chinesischen Teenager-Kinder dazu zu zwingen, am Abendbrottisch der Familie zu erscheinen und höflich zu antworten, wenn man mit ihnen spricht (oder wenigstens überhaupt zu antworten). Ich werde ihnen sagen, dass sie andernfalls niemals einen Hypothekenkredit bekommen werden.
Die Gesetze über die Pflichten des Nachwuchses sind allerdings ein bitterernstes Thema: China hat einen massiven Überhang an älteren Menschen, eine Folge eben jener Ein-Kind-Politik, die das Bevölkerungswachstum jahrelang bremste und dadurch ein starkes Wirtschaftswachstum ermöglichte. Der Staat kann es sich nicht leisten, all diese Alten zu versorgen, und muss deshalb auf moralische Appelle zurückgreifen (denen durch Drohungen in Sachen Kreditwürdigkeit Nachdruck verliehen wird). Schanghai hat ein spezielles Problem: Laut China Daily überschritt es im vergangenen Jahr als erste Stadt in der Volksrepublik die Schwelle eines Ü60-Altenanteils von mehr als 30 Prozent. Im nationalen Durchschnitt war der Anteil der Über-60-Jährigen 2014 mit 15,5 Prozent rund halb so hoch. (Neuere Daten gibt es auf nationaler Ebene noch nicht.)
Nun wissen aber alle: "Money can´t buy you love" - Liebe kann man mit Geld nicht kaufen, und es sieht so aus, als ob auch Gesetze über Treuepflichten das nicht leisten können. Das neue Gesetz über die Besuchspflichten erwachsener Kinder gibt es seit drei Jahren, aber nur sehr wenige Ältere haben bislang erfolgreich geklagt. Im vergangenen Februar berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, dass eine 90-jährige Mutter ihre sechs Kinder verklagt hatte, die alle zwischen 50 und 60 sind. Das Gericht sollte die Kinder zwingen, ihre Heimkosten zu zahlen und sie jede Woche zu besuchen. Bis dahin hatten ihre drei Söhne sie gelegentlich besucht, die Töchter seltener. Schließlich tauchte monatelang niemand mehr auf. Die "Kinder" behaupteten allesamt, sie hätten zu tun. Ein Mediator vermittelte einen Deal, wonach die sechs ihre Mama reihum einmal pro Woche besuchen sollten. Xinhua hat bisher nicht berichtet, wie das so klappt.
Der Staat mischt sich sogar noch mehr ein, wenn die Kinder Eltern ehren wollen, die bereits verstorben sind. Ein Bericht in den Staatsmedien über die jüngsten "Grabpflege"-Feiertage Anfang April teilte mit, dass lokale Beamte in Peking 200 Kilo “Banknoten für das Jenseits” konfisziert haben: Falsches Papiergeld, das traditionell am Grab verbrannt wird, um den Ahnen Wohlstand im Totenreich zu wünschen. Anscheinend ist es illegal, irgendetwas zu drucken, das so aussieht wie ein Renminbi-Schein, selbst wenn es nur zum Verbrennen gedacht ist. (Aus Umweltgründen wird das Verbrennen sowieso nicht gern gesehen.) Das sicherste Verfahren könnte die neue Mode der "Baum"-Begräbnisse sein: Man vergräbt die Asche der Liebsten in einer biologisch abbaubaren Urne unter einem Baum, wo sie sich dann mit der Erde vermischt, ohne Platz für einen Friedhof zu verbrauchen.
Wer die Beerdigung mit Kreditkarte bezahlen will wird darauf achten, dass er zuvor die gebrechlichen Alten regelmäßig besucht, damit der Dispo erhalten bleibt. Immer daran denken: Nur die Treuen erben das gute Kreditrating (von Omas Bibliotheksausweis gar nicht zu reden.)
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