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Business as Usual Auf der letzten Sprosse der Karriereleiter

Auf der letzten Sprosse der Karriereleiter
Auf der letzten Sprosse der Karriereleiter
© Drew Beamer / Unsplash
Die Berufung in den Konzernvorstand kann der Höhepunkt einer Karriere sein - oder der Anfang vom Ende.

Thilo ist Wissenschaftler durch und durch. Schon als Kind wollte er unbedingt die Welt verändern, und bis heute ist sein spürbarer Ehrgeiz von einer charmanten, immer noch fast kindlichen Neugier getrieben, die ihn schon das ganze Leben begleitet.

Die ersten Jahre seines Berufslebens verbrachte Thilo im Labor eines internationalen Industriekonzerns. Bis einem seiner Vorgesetzten auffiel, dass er neben dem Forscher-Gen auch über ein starkes kaufmännisches Talent verfügt. Diese Kombination, gepaart mit harter Arbeit, ermöglichte ihm eine Karriere auf der Überholspur.

Thilo und ich lernten uns vor vielen Jahren bei einem beruflichen Projekt kennen und sind seitdem gut befreundet. Entsprechend regelmäßig sehen wir uns. So war es für mich keine große Überraschung, als er mir irgendwann im Vertrauen mitteilte, dass er in den Vorstand berufen werden sollte.

Eine konsequente Entscheidung

Vielleicht formuliere ich es so: Was folgte, war je nach Blickwinkel eine konsequente Entscheidung oder eine Katastrophe. In jedem Fall war es das überraschende Ende einer besonderen Konzernkarriere.

Aber der Reihe nach. Thilo war es schon immer sehr wichtig, nach seinen Überzeugungen zu handeln. So hatte er als Wissenschaftler immer eine klare Vorstellung davon gehabt, in welchen Themenbereichen geforscht und investiert werden sollte. Nicht wenige Entscheidungen im Konzern waren in der Vergangenheit mit dieser Überzeugung kollidiert – insbesondere dann, wenn aus Thilos Sicht nicht nach fachlichen Gesichtspunkten, sondern nur nach monetären Kenngrößen entschieden wurde.

Als Mitglied des Vorstands, fürchtete Thilo, würde er künftig selbst Entscheidungen treffen und mittragen müssen, die ihm fachlich gegen den Strich gingen. Das Angebot, in den Vorstand zu wechseln, spitzte deshalb Zweifel zu, die er schon länger mit sich herumschleppte. Je mehr Thilo darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, wie fundamental der vor ihm liegende Karriereschritt seinen Werten und Überzeugungen widersprach.

Der Ego kann einem auch im Weg stehen

Hand aufs Herz: Wer von uns würde nach 20 Jahren steiniger Konzernlaufbahn freiwillig darauf verzichten, die letzte Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen? Wer würde den klingenden Titel, den schillernden Status, das üppige Gehalt eines Vorstandsmitglieds leichten Herzens ausschlagen?

Wochenlang hat Thilo mit sich selbst und seinem Ego gerungen. Und sich am Ende gegen den Posten entschieden – und für seine Überzeugung. Es wird Sie nicht überraschen, dass der Entschluss unter seinen Kollegen ausschließlich auf Unverständnis stieß. Aber das bestärkte Thilo nur noch in seiner Entscheidung. Er wird den Konzern zum Ende dieses Jahres verlassen. Und will sich danach in aller Ruhe neu orientieren. Ich vermute, er geht zurück in die Forschung.

Anne Weitzdörfer begleitet als Beraterin und Coach seit vielen Jahren Unternehmen und Führungskräfte. Hier schreibt sie jeden Monat über Themen aus der Berufswelt.

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