Wenn Europas oberste Währungshüterin Christine Lagarde dieser Tage verkündet, den Leitzins bei null zu belassen, entlockt das Marktbeobachtern kaum mehr als ein müdes Lächeln. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 71 Volkswirten zeigt: Alle rechnen damit, dass der Leitzins auch im vierten Quartal 2021 noch bei null Prozent liegen wird. Auch bei den Strafzinsen, die Banken zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken, dürfte sich bis dahin wenig tun. Die Befragten gehen mehrheitlich davon aus, dass der sogenannte Einlagezins bis Ende kommenden Jahres bei minus 0,5 Prozent liegen wird.
Für Hausbauer und -käufer sind das gute Nachrichten. Denn ein niedriger Leitzins führt dazu, dass Banken zu günstigen Konditionen Kredite vergeben können. Auch dass Finanzinstitute weiterhin Strafe zahlen müssen, wenn sie zu viel Liquidität halten, stimmt zuversichtlich für die Entwicklung der Bauzinsen. Im Oktober konnten sich Darlehensnehmer so günstig Geld leihen wie selten zuvor: Wer eine gute Bonität mitbrachte, konnte sein Eigenheim im besten Fall mit einem Zins von unter 0,5 Prozent pro Jahr finanzieren. Im Mittel lagen die Angebotszinsen für Baukredite bei deutlich unter einem Prozent, zeigt der Zins-Chart des Finanzdienstleisters Interhyp. „Über den Sommer sind die Zinsen infolge der wirtschaftlichen Unsicherheiten der Corona-Krise und der Niedrigzinspolitik der Notenbanken leicht gesunken“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin für das Privatkundengeschäft bei Interhyp.
Bauzinsen bleiben vorerst niedrig
Das Unternehmen fragt einmal im Monat bei zehn Kreditinstituten nach, wie sich die Bauzinsen in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln dürften. Das Ergebnis der Oktober-Umfrage überrascht auf dem ersten Blick wenig: Angesichts der grassierenden Pandemie und weiterer Unsicherheiten wie dem Ausgang der US-Wahl oder dem Brexit rechnen Banken unisono mit gleichbleibend günstigen Konditionen. Ein Institut hält sogar weiter sinkende Zinsen für wahrscheinlich – zumindest kurzfristig. Auf lange Sicht könnten Baudarlehen nämlich wieder teurer werden. „Auf Halbjahres- oder Jahressicht prognostizieren einige Banken etwas höhere Zinsen, besonders, wenn ein Impfstoff gefunden wird und eine breite wirtschaftliche Erholung einsetzt“, schreibt Interhyp.
Bereits kleine Zinserhöhungen können bei Baukrediten eine große Wirkung entfalten. Denn je weniger Zinsen Immobilienbesitzer an die Bank zahlen müssen, desto mehr können sie jeden Monat bei gleichbleibender Rate tilgen und desto schneller haben sie das Darlehen abbezahlt. Bei einer Laufzeit von 15 Jahren und mehr summiert sich die Zinsersparnis rasch auf mehrere Zehntausend Euro.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sich das aktuelle Zinsniveau mit einem sogenannten Forward-Darlehen für die Zukunft sichern. Mithilfe dieser speziellen Variante der Anschlussfinanzierung schreiben Darlehensnehmer und Bank den Bauzins vertraglich für maximal fünf Jahre fest. Das bietet Planungssicherheit – kostet aber Geld. Banken erheben nämlich in der Regel einen Aufschlag auf den Zins. Dabei gilt: Je länger Kunden das aktuelle Zinsniveau festschreiben, desto höher fällt der Forward-Aufschlag aus. Forward-Darlehen sind damit eine Wette auf steigende Zinsen. Stagniert das Zinsniveau oder fällt es gar, gewinnt die Bank: Kreditnehmer müssen das Darlehen trotzdem wie vereinbart abnehmen und zahlen im Vergleich zu einem herkömmlichen Kredit drauf.
Ob und wann der Alltag in Deutschland und Europa wieder zurück zur Normalität findet, ist offen. Zwar arbeiten viele Forscher mit Hochdruck an einem Corona-Impfstoff. Bislang konnten sie aber für keinen Kandidaten nachweisen, dass er wirklich vor der Krankheit schützt. „Wie unberechenbar der Pandemieverlauf und seine Folgen auf die Konjunktur sind, hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt", sagt Interhyp-Vorständin Mohr auch mit Blick auf die derzeit ansteigenden Infektionszahlen. Wann sich die Wirtschaft im Euroraum wieder gänzlich erholt, bleibt also ungewiss – und damit auch der Ausgang der Zins-Wette.