Eine Immobilie zu finanzieren, ist unmöglich geworden – das glauben heutzutage viele Deutsche. Nur wer reich ist, sechsstellig verdient oder viel erbt, könne in Betongold anlegen. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) liegen sie damit falsch.
Bei einem Wahlkampfauftritt der SPD in Bayern am Wochenende verteidigte er die jüngsten Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB). „Es sind nicht die Zinsen das Problem“, so Scholz. Das aktuelle Niveau von etwa 4 Prozent sei niedrig im Vergleich zum Anfang der 1970er-Jahre, als es 9,5 Prozent waren.
„Fragen Sie Ihre Eltern: Mit welchen Zinssätzen habt ihr eure Häuser gebaut?“, forderte er seine rund 200 Zuhörer auf der SPD-Wahlkampfkundgebung in Nürnberg auf. Die schwiegen und so gab er sich selbst eine Antwort: „Sie werden hören, damals wurde einfach Geld gespart. Die Zinssätze sind nicht das Problem.“
Problematisch sei derzeit vielmehr, dass in den vergangenen Jahren vor allem hochpreisige Wohnungen gebaut worden seien, die sich viele nicht leisten können. Die Bauträger und Projektentwickler hätten eine falsche Annahme getroffen, nämlich dass die Zahl der Vermögenden im Land „unendlich groß“ sei. Deshalb würden zu viele Wohnungen zu Preisen geplant, die Menschen hierzulande nicht bezahlen könnten.
Doch hat er damit wirklich recht? Konnten sich die Menschen früher tatsächlich häufiger Eigentum leisten, weil günstiger gebaut wurde?
„Vergleich ist fehl am Platz“
Konstantin A. Kholodilin ist Experte für Immobilienmärkte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er sagt: „Formell ist es natürlich richtig, dass auch 1970 umfänglicher Wohnungsbau möglich war – trotz mehr als doppelt so hoher Zinsen. Aber vor 40 oder 50 Jahren war auch die Wachstumsrate des Produktionspotenzials deutlich höher.“
Produktionspotenzial ist ein Begriff der Volkswirtschaftslehre. Er bezeichnet die höchste Produktion, die möglich wäre, wenn alle wirtschaftlichen Ressourcen voll ausgelastet wären. Das Produktionspotenzial zeigt im Grunde an, wie stark eine Volkswirtschaft wachsen könnte. Und je höher es ist, desto höhere Zinsen können wir uns auch leisten, so Kholodilin. Für viele potenzielle Eigentümer heißt das: Obwohl das jetzige Zinsniveau aus historischer Sicht eher niedrig ist, lässt die schwächelnde deutsche Wirtschaft mit eher mauen Aussichten den Traum vom Eigenheim platzen.
„Der langfristige Zinssatz ist an die langfristige Wachstumsrate der realen Einkommen gebunden. Bei einem höheren Zinssatz wäre die Wirtschaft nie in der Lage, die Kredite auszuzahlen. Deshalb ist der Vergleich fehl am Platz“, so Kholodilin. Die Gegebenheiten von 1970 und heute zu vergleichen, funktioniere einfach nicht. Damals befand sich die deutsche Wirtschaft und die Immobilienbranche im Boom, heute schwächelt sie.
Drei Gründe für Baukrise
Laut Kholodilin gibt es drei Gründe für die Baukrise. „Erstens ist die spekulative Preisblase geplatzt, die sich seit 2010 gebildet hat. Deshalb haben die Immobilienpreise Mitte 2022 angefangen zu fallen.“ Die sinkenden Preise sieht der Kanzler wohl als Argument für den Immobilienkauf, so Kholodilin.
„Zweitens sind die Baukosten 2021 sehr stark angestiegen. Und drittens: Auch der Anstieg der Zinsen hat eine wichtige Rolle gespielt.“ Denn jetzt sei die Zinsbelastung noch höher als vor zwei Jahren – trotz gefallener Immobilienpreise. Das zeige sich auch in dem Volumen der Neubaukredite, das sich seit dem Zinsanstieg halbiert habe, so Kholodilin.
„Eine der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit“
Im Kanzleramt findet heute ein Wohnungsgipfel zu den aktuellen Problemen der Baubranche statt. Mit insgesamt 14 Maßnahmen will die Ampelkoalition erreichen, dass wieder mehr gebaut wird. Die zentralen Punkte: zunächst kein Dämmstandard EH 40, dafür Steuervorteile und ein höherer „Klimabonus“.
„Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist eine der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit“, heißt es in einem Regierungsschreiben, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Angesichts des schwierigen Umfelds für den Wohnungsbau und der hohen Zinsen und Baukosten „ist die Verankerung von EH 40 als verbindlicher gesetzlicher Neubaustandard in dieser Legislaturperiode nicht mehr nötig und wird ausgesetzt“, heißt es weiter.
Die Ampel-Koalition hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, den Energiesparstandard EH 40 bis 2025 einzuführen. Dies wurde von der Baubranche aufgrund der stark gestiegenen Baukosten seit Monaten heftig kritisiert.