Herr Sohn, Sie sind einer der bekanntesten Fachanwälte für Baurecht im Land und vertreten Mandanten, die sich beim Hausbau oder Wohnungskauf geprellt fühlen. Wenn die Leute bei Ihnen im Büro sitzen, denken Sie dann manchmal: Mein Gott, warum bist du nicht eher gekommen?
PETER SOHN: Viel zu häufig. Ich komme mir manchmal vor wie ein Gerichtsmediziner: Man weiß vieles besser, nur leider fünf Minuten zu spät.
Das sagen Sie den Leuten aber nicht ins Gesicht.
Doch, natürlich erläutere ich die Fehler und Probleme, weil ich mir wünsche, dass die Mandanten es dann besser wissen.
Sie haben in Tausenden Konflikten vermittelt. Gibt es einen gemeinsamen Nenner bei all diesen Fällen?
Leider ja. Die Leute stürzen sich in das Abenteuer Hausbau oder Hauskauf, als gäbe es kein größeres Vergnügen.
Können Sie sich das erklären?
Ich glaube, das viele Geld macht die Leute leichtsinnig. Nie wurde in Deutschland so viel Vermögen vererbt, nie waren Kredite so billig, quasi umsonst. Und zu Immobilien existiert kaum noch eine Alternative als Geldanlage, also kaufen die Leute Betongold – oder das, was sie dafür halten. Hinzu kommt die Euphorie, in den Kreis der Immobilienbesitzer aufzusteigen. Da tritt die Vorsicht in den Hintergrund.
Dabei gibt es ja kaum eine kompliziertere Entscheidung als den Kauf einer Wohnung oder den Bau eines Hauses. Allein die Begriffe in den Verträgen und Vorschriften verstehen die wenigsten.
Deshalb: Lassen Sie sich beraten!
Zum Beispiel von einem Anwalt aus Hamm?
Ich sage das nicht, weil ich meinen Kollegen und mir mehr Umsatz zuschanzen möchte. Zumal die Gebühren in einem Gerichtsverfahren deutlich höher sind als das Beratungshonorar für eine Vertragsprüfung. Aber was sind 2000 Euro für einen Anwalt oder Gutachter im Vergleich zu einer halben Million, die Hauskäufer über 30 Jahre abstottern?
Die Leute sparen also zu oft an der falschen Stelle?
Ja. Nicht jeder kann Jurist oder Bauingenieur sein. Und wer es nicht ist, übersieht schnell kleine, aber entscheidende Dinge. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Hauskäufer zog einmal bis vor den Bundesgerichtshof. Er hatte sich eine Neubauvilla geleistet, innen mit Marmor bis unter die Decke, Luxus pur. Aber als er einzog, stellte er fest: Er hört im ganzen Haus den Lärm aus den Nachbarzimmern und den anderen Etagen – weil der Schallschutz viel zu gering war.
Ein Baumangel?
Nicht im eigentlichen Sinne. Im Kaufvertrag stand, der Schallschutz in der Villa sollte einer bestimmten DIN-Norm entsprechen. Dummerweise bezeichnete diese DIN aber nur den Mindestschallschutz, den die Baufirma auch verbaut hatte. Aber ohne genauere Kenntnisse konnte der Käufer unmöglich erkennen, dass nur von Mindestschallschutz die Rede war.
Wie haben die Richter entschieden?
Im Sinne des Käufers. Wenn man ein luxuriöses Haus bauen lässt, darf der Bauherr davon ausgehen, dass der Schallschutz der restlichen Ausstattung entspricht. Glück gehabt. Diesen Ärger hätte der Bauherr vermeiden können, wenn er vorher einen Profi gebeten hätte, den Vertrag zu prüfen.
Was ist denn so ein typischer Fall in Ihrer Kanzlei?
Ich bin immer wieder verwundert, wie oft Bauherren einen Kaufvertrag unterschreiben, der sie verpflichtet, bestimmte Raten zu zahlen, ohne dafür Gegenleistungen des Bauträgers zu vereinbaren. Ich meine Sicherheiten, die garantieren, dass der wirklich das macht, was er für das Geld schuldet. Ich bearbeite auch Fälle, bei denen die Bauherren die Gegenleistung nicht ausreichend definiert haben. Da heißt es etwa: Sie müssen zehn Prozent des Kaufpreises mit Beginn der Erdarbeiten überweisen …
… bei einem Haus für 500.000 Euro also 50.000 Euro …
… und dann steckt der Unternehmer ein Mal den Spaten in den Boden: Schon haben die Erdarbeiten begonnen – und 50.000 Euro sind fällig.
Wie schützen sich Bauherren vor solchen Problemen?
Indem man im Kaufvertrag für jede Ratenzahlung ganz konkrete Baufortschritte festhält, zum Beispiel die Fertigstellung des Rohbaus und so weiter. Ebenfalls ganz wichtig: Zu jedem Baufortschritt gehört ein konkretes Datum, bis wann das fertig sein muss – und erst dann sollten Sie Geld überweisen. Ich habe hier Mandanten, in deren Verträgen überhaupt keine Fristen stehen. Die warten Jahre darauf, dass ihr Haus fertig wird.
Wie sollte man es generell beim Bauen halten: Jeden Handwerkerauftrag selbst ausschreiben – oder lieber ein Unternehmen für alles beauftragen?
Auf keinen Fall selbst machen! Ich empfehle eindeutig einen Generalunternehmer, bei dem Sie das zu bauende Haus oder die Wohnung schlüsselfertig kaufen. Der ist verantwortlich, der muss aufpassen und sich kümmern – und der haftet auch, wenn es schiefgeht. Er muss dann herausfinden, wer den Fehler gemacht hat, nicht Sie.
Habe ich bei einem Generalunternehmer nicht ein größeres Insolvenzrisiko, weil ich als Bauherr von einem einzelnen Partner abhänge? Wenn der pleitegeht, gucke ich in die Röhre.
Erst mal ist dieses Risiko wegen der guten Auftragslage am Bau derzeit gering, auch wenn sich das wieder ändern könnte. Zweitens kann der Generalunternehmer im Vertrag seine Ansprüche gegenüber den Handwerkern an Sie abtreten. Heißt: Sie haben bei einer Insolvenz selbst direkten Zugriff auf die Leistungen, die der Generalunternehmer mit den Handwerkern ausgemacht hat. Zudem können Sie sich Sicherheiten einräumen lassen, etwa durch eine Gewährleistungsbürgschaft nach Abnahme der Immobilie. Die sollte fünf Jahre laufen, weil so lange auch die Gewährleistungsfrist für Mängel geht.
Das Institut für Bauforschung kommt in einer gemeinsamen Studie mit dem Bauherren-Schutzbund zu dem Schluss, dass 89 Prozent aller Wohnbauten hierzulande Mängel haben. Wieso ist die Zahl so hoch?
Meine Vermutung: In den vergangenen Jahren ist die Zahl an Bauvorhaben rasant gestiegen. In diesem kurzen Zeitraum konnten nicht so viele neue Facharbeiter ausgebildet werden, dass am Bau heute nur erstklassige Leute arbeiten würden.
Wann liegt überhaupt ein Baumangel vor?
Sobald die Ist-Beschaffenheit eines Bauwerks von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Einfacher ausgedrückt: wenn der fertige Bau nicht dem entspricht, was die Parteien im Vertrag vereinbart haben.
Wie schützen sich Bauherren am besten gegen Pfusch?
Jetzt wird es richtig spannend. Die Soll-Beschaffenheit, von der wir eben sprachen, richtet sich nach dem Leistungsverzeichnis oder der Bauleistungsbeschreibung. Darin muss jedes kleinste Detail meines neuen Hauses oder meiner neuen Wohnung geregelt sein. Wenn da drinsteht, ins Bad kommen Fliesen, sollte da auch drinstehen, was das für Fliesen sind. Nicht, dass Sie ein Bad in grauem Schiefer wollten – und Fliesen in Bahama-Beige bekommen.
Versteht sich das nicht von selbst?
Wenn das so selbstverständlich wäre, hätte ich hier nicht so viel zu tun. Bauherren unterschätzen schnell, wie konkret sie die Sachen im Leistungsverzeichnisregeln müssen.
Wie konkret ist konkret genug?
Bitte nicht reinschreiben: „Villeroy & Boch oder vergleichbare Qualität“. Dann bekommen Sie nämlich nicht Villeroy & Boch, sondern das, was der Bauunternehmer für vergleichbare Qualität hält – und dann stehen Sie da. Der Bauunternehmer sagt: Wieso, ist doch vergleichbar. Und Sie dürfen zum Anwalt rennen. Sie müssen vorher festlegen, welche Form, Größe, Marke und Farbe Sie wollen. Mein Rat: Nehmen Sie sich Zeit, auch im Fliesengeschäft. Wenn Sie sich später umentscheiden, ist das kein Problem, aber halten Sie das bloß im Vertrag fest.
Der Laie stellt sich vor: Wenn die Fliese springt, spreche ich den Fliesenleger an, wenn die Heizung kalt bleibt, den Heizungsbauer, und beim Fundament den Rohbauer. Stimmt das so?
Leider nicht. Wenn etwas schiefgeht, sagt der Handwerker nicht selten: Das war ich nicht. Stellen Sie sich vor, es dringt schon während des Baus Wasser in den Keller ein. Dann sagt der Handwerker, der gerade auf der Baustelle ist: Das war der Rohbauer. Der Rohbauer sagt: Nein, der Architekt hat die Wasserlast falsch berechnet. Und Sie müssen versuchen, allen einzeln ihre Schuld nachzuweisen.
Wer baut, weiß doch, welcher Handwerker was gemacht hat. Da kann der Nachweis doch nicht so schwer sein, wer welchen Fehler gemacht hat.
Doch. Häufig ergeben sich Mängel auch daraus, dass die Handwerker nicht gut zusammenarbeiten. Oder, anderer Fall: Ich hatte hier mal ein Ehepaar sitzen, das hat sich ein schönes, luxuriöses Einfamilienhaus mit einer tollen Dachkonstruktion bauen lassen, sah wirklich super aus. Aber: Keller undicht, Abdichtung mangelhaft. Da hat es nicht nur Jahre gedauert, bis wir den Fall gewonnen hatten. Es mussten auch die Wände wieder geöffnet werden, denn nur so konnten wir herausfinden, wer der Schuldige war. Und solche Bauteilöffnungen sind nicht nur aufwendig, man kann sie auch nicht wieder ungeschehen machen. Die Spuren sehen Sie!
Und das Haus des Ehepaars?
War am Ende total verschimmelt. Ich kann nur raten: Besuchen Sie die Baustelle nicht nur regelmäßig, sondern machen Sie auch von allem Fotos. Das kann dabei helfen, später nachzuweisen, wer wann welchen Fehler gemacht hat.
Jetzt haben wir viel über Neubauten gesprochen. Wie gehe ich vor, wenn ich ein altes Häuschen kaufen will?
Auch hier sind viele blauäugig. Die laufen ein-, zweimal durchs Objekt, sind begeistert – und gucken nicht genau hin. Dabei sollten Sie unbedingt einen Sachverständigen oder einen Architekten mitnehmen. Das kostet zwar ein paar Tausend Euro, aber der sieht, wo beim Altbau die Probleme lauern. Der Makler überprüft das Haus nicht auf Mängel – und der Notar schon gar nicht, der ist völlig neutral. Es gibt Sachverständige, die machen bloß die Kellertür auf und sagen sofort: Danke, reicht schon – ist feucht. Die riechen das!
Muss der Verkäufer auf solche Mängel nicht hinweisen?
Sicher – wenn er sie kannte. Das Problem ist nur, dass im Kaufvertrag steht: „Unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung“. Heißt: Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Keller feucht ist, ist das Ihr Problem. Als Käufer müssen Sie dann nachweisen, dass der Verkäufer vom feuchten Keller wusste, ihn aber verschwiegen hat. Das wäre dann ein Fall von Arglist, für den er sich zur Rechenschaft ziehen lässt.
Klingt kompliziert.
Ja, das ist es auch. Ein Beispiel: In feuchten Kellern stehen schon mal Schränke an den Wänden. Dann sehen Sie als Käufer oder auch als Vorbesitzer die Nässe nicht. Da brauchen Sie einen Sachverständigen, der sagt: So feucht, wie die Wände sind, muss der Regen in Rinnsalen hier runtergelaufen sein – unmöglich, dass jemand das nicht mitbekommen hat. Erst dann haben Sie die Chance, Arglist zu belegen.
Wie oft gelingt Ihnen das?
Dass der Beleg nicht erbracht werden kann, ist leider häufiger der Fall, als dass Arglist nachzuweisen ist.
Würden Sie sagen, dass Bauherren und Käufer generell selten Recht bekommen?
Nein, aber es ist selten, dass alle beanstandeten Mängel anerkannt werden – dafür ist das zu vielschichtig. Vor allem dauern die Fälle oft lange. Ich bin seit mehr als 30 Jahren Anwalt und kann sagen: Ein Prozess unter zwei Jahren ist die riesige Ausnahme – und dann haben Sie nur die erste Instanz hinter sich. Ich versuche daher, in wirklich allen Fällen vor dem Prozess einen Vergleich zu erzielen.
Das Interview ist erschienen im Capital-Soderheft „Der große Traum vom Haus“ . Bestellen können Sie es im Capital Shop